Frank Alves

Sampa Girls - Fußballfieber


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       SAMPA GIRLS

       Fußballfieber

       Impressum

       Copyright: © 2014 Frank Alves

      Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

      ISBN 978-3-7375-0173-6

      1

       Es ist Freitag 19:30 Uhr an einem lauwarmen Maiabend im Jahre 2014, als Janaina dos Santos mit ihrem roten VW Polo auf der Rua Melo Freire in Tatuape Richtung Stadtzentrum fährt. Es sind nur wenige Wochen bis zum Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft zwischen Brasilien und Kroatien im Stadion Itaquerão, der zukünftigen Heimspielstätte von Corinthians. Der Verkehr läuft sehr schleppend wie so häufig in São Paulo. Einige andere Verkehrsteilnehmer versuchen durch dauerhaftes Hupen ihrem Unmut freien Lauf zu lassen. Janaina sieht die Situation eher gelassen, sie summt zur Musik von der Rapgruppe Racionais MCs, die gerade im Radio läuft. Ihr Wochenende hat gerade begonnen, und sie freut sich sehr darauf.Janaina ist 28 Jahre alt, 1,77 groß, schlank, Mulattin mit langen glattem Haar und lebt mit ihrer 56-jährigen Mutter in einem Zweizimmer-Apartment in der Cohab II im Distrikt Itaquera in der Ostzone von São Paulo nicht weit entfernt vom Stadion, wo die Weltmeisterschaft eröffnet wird. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Er hat ihre Mutter schon vor der Geburt verlassen. Sie hat ihn auch nie vermisst. Es war normal für sie, dass kein Vater im Haus war, sondern nur eine Mutter. Ihr Bruder ist sieben Jahre älter als sie, hat eine eigene Familie mit drei Kindern und wohnt in São Miguel Paulista. Als Kind verbrachte Janaina viel Zeit bei ihren Großeltern, die auch in Itaquera wohnten. Leider sind beide schon verstorben. Seit zwei Jahren arbeitet sie bei der Polizei des Landes São Paulo als Ermittlerin in der Mordkommission IV. Sie hat sich dorthin nach einigen Jahren bei der uniformierten Bereitschaftspolizei weiterentwickelt. Am Abend ist sie mit ihrer Freundin Laura Ferreira in einer Bar im westlichen Stadtteil Vila Madalena verabredet. Sie wollen sich dort gegen 21 Uhr treffen, um das Wochenende mit ein paar Drinks einzuleiten. Laura hat zusammen mit Janaina bei der Mordkommission begonnen. Sie kannten sich schon flüchtig aus der Zeit bei der Bereitschaftspolizei. Sie ist 27 Jahre alt, 1,74 groß,schlank, hellhäutig mit langem schwarzen Haar. Sie lebt allein in einem kleinen Apartment in Jabaquara in der Südzone. Ihre Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen als sie erst sieben Jahre alt war. Sie wuchs bei ihrem Onkel in einer Favela im Distrikt Grajau auf. Ihr Onkel hat eine Tochter namens Elvira Maria, die im gleichen Alter wie Laura ist. Vor fünf Jahren zog es den Onkel und die Cousine von Laura zurück nach Bahia, von wo die gesamte Familie Ende der 80er Jahre nach São Paulo kam. Das erhoffte bessere Leben in der Metropole begann für die Familie sehr schleppend. Schon kurz nach der Ankunft verließ die Frau von Lauras Onkel die Familie, und der Onkel wurde zum alleinerziehenden Vater. Dann kam noch der tragische Autounfall ihrer Eltern dazu. Er ereignete sich auf der Via Anchieta als die beiden auf dem Weg zu einem Wochenende zu zweit nach Praia Grande waren. Ein anderes Auto drängte ihren Wagen mit überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn. Laura war bei ihrem Onkel in São Paulo geblieben, somit war ihr Onkel plötzlich alleinerziehender Vater von zwei Mädchen.

       Als der Verkehr zum Stehen kommt, klingelt Janainas Mobiltelefon. Sie schaut auf das Display, sieht die Nummer von Laura auf der Anzeige und nimmt den Anruf an:

       „Hi Laura, ich bin schon auf dem Weg. Leider steht der Verkehr im Moment, aber bis neun Uhr bin ich bestimmt in Vila Madalena.“

       „Vergiss Vila Madalena“, antwortet Laura. „Charly hat mich gerade angerufen. Wir haben einen neuen Mordfall. Charly ist 58 Jahre alt und Leiter der Mordkommission IV. Sein richtiger ist Carlos Rainoldo Morreira. Den Spitznamen hat er in Anlehnung an die US-Fernsehserie „Drei Engel für Charly“ bekommen, weil die Polizeieinheiten, die er leitete meistens nur aus jungen Frauen bestanden.

       „Was hat Charly gesagt? Wo sollen wir hinkommen?“ fragt Janiana verärgert, denn sie hatte sich so sehr auf das Wochenende gefreut.

       „Der Mord passierte irgendwo in Jardim Miriam in der Südzone. Ich werde Dir eine SMS mit der genauen Adresse schicken. Du sollst noch Naomi zu Hause abholen. Charly hat sie bereits informiert. Sie wartet auf Dich“.

       „Ok, ich mache mich auf den Weg zu Naomi. Wir sehen uns dann in ungefähr eineinhalb Stunden am Tatort.“ Es ist kurz nach 20 Uhr als Janaina bei Naomi zu Hause im japanisch geprägten Stadtteil Liberdade ankommt. Naomi wohnt noch mit ihren Eltern Tama und Yoshio Watanabe zusammen. Sie ist 26 Jahre alt und kam ein Jahr nach Janaina und Laura zur Mordkommission IV. Die Familie ist japanischer Abstammung. Die Urgroßeltern sind von Japan nach São Paulo migriert. Naomis Eltern sprechen noch fließend japanisch, Naomi spricht die Sprache nur sehr gebrochen. Sie hat wenig Interesse an Tradition.

       Janaina parkt ihr Auto direkt vor Naomis Hauseingang, steigt aus und klingelt an der Tür. Tama Watanabe empfängt sie freundlich:

       „Hallo Janaina, schön Dich zu sehen. Komm' rein ins Wohnzimmer. Was kann ich Dir zu trinken anbieten ?“

       „Guten Abend Frau Watanabe, danke, ich habe leider keine Zeit, denn wir haben einen neuen Mordfall und müssen zum Tatort. Wo ist Naomi?“

       „Hier bin ich.“ Naomi kommt im Flur zum Vorschein. „Lass' uns gleich losfahren, Janaina. Tchau Mama!“

       „Tchau Frau Watanabe!“

       „Tchau ihr beiden, passt auf Euch auf!“ Die beiden jungen Frauen verlassen das Haus der Familie Watnabe, steigen in Janainas Auto und fahren auf der Avenida Vinte e Tres de Maio Richtung Südzone. Als sie eine dreiviertel Stunde später in die Avenida Cupece einbiegen, kommt die SMS mit der Adresse des Tatortes auf Janainas Mobiltelefon an. Nach drei Kilometern erreichen sie ihr Ziel. Das Haus, in dem der Mord geschah, befindet sich in einer engen Seitenstraße. Es ist eine kleine Baracke aus rotem Ziegelstein mit einem Wellblechdach. Die Durchfahrt ist durch mehrere Streifenwagen der Polizei versperrt. Es wimmelt von uniformierten Polizisten im Eingangsbereich des Hauses. Janaina parkt ihren kleinen Polo in der nächsten Seitenstraße. Als sie und Naomi aus dem Auto steigen, kommt ihnen auch schon Charly entgegen und ruft von weitem:

       „Endlich seit Ihr da, warum hat das so lang gedauert? Laura ist schon in der Nachbarschaft unterwegs und sucht nach Zeugen.“

       „Wer ist denn das Opfer und wie geschah der Mord?“ will Janaina wissen.

       „Das Opfer ist eine 25 bis 30-jährige Frau. Sie wurde scheinbar mehrfach mit einem stumpfen Gegenstand auf dem Kopf geschlagen. Von der Tatwaffe fehlt noch jede Spur. Die Identität des Opfers ist auch noch unbekannt.“

       „Ist schon klar, wann die Tatzeit war?“ fragt Naomi.

       „Die Kriminaltechniker gehen derzeit davon aus, dass die Tote schon mindestens einen halben Tag dort liegt.“

       „Wann und von wem wurde das Opfer gefunden?“ erkundigt sich Janaina.

       „So gegen 18 Uhr haben ein paar Kinder die Leiche gefunden als sie Verstecken gespielt haben. Sie sagten, dass sie oft in dem Haus spielten, da es häufig leer stand und man durch ein offenes Fenster einsteigen konnte“, antwortet Charly und dreht sich um, als er einen Ruf von hinten hört. Da kommt Laura aus einem Nachbarhaus. Sie geht direkt auf Janaina und Naomi zu und gibt beiden einen Begrüßungskuss.

       „Kein Nachbar hat etwas gehört oder gesehen“, erklärt sie ihren Kollegen. „Das Opfer nennt sich Mia. Den Nachnamen kennen die Nachbarn aber nicht. Sie sagen die Frau lebt sehr zurückgezogen und spricht kaum mit jemanden hier in der Straße, höchstens 'Guten Tag' und 'Guten Abend'.“

       „Gibt es ein aktuelles Foto von der Frau?“ fragt Charly Laura. „Im Haus haben wir bisher noch keins gefunden, und das Gesicht wurde von brutalen Schlägen so entstellt, dass es fast unkenntlich ist.“

       „Nein, von einem Foto oder etwas ähnlichen hat kein Nachbar etwas gesagt: Ich glaube, wir müssen ein Phantombild erstellen“, antwortet Laura.

       „Leider muss ich Euch Euren freien Samstag streichen. Wir treffen uns am morgen früh zu unserer Konferenz in meinem Büro. Lasst uns jetzt erst einmal weiter herumfragen, ob jemand etwas gesehen hat. Janaina geh' Du 'mal runter zur Avenida Cupece, da ist eine Bar. Naomi, hör' Du Dich weiter oben in der Favela um! Und Laura, Du kannst erst mal nach Hause