Tasche verschwinden.
„Die Dame, bitte!“ Jose zieht einen Stuhl vom Tisch vor.
„Nein, danke“, antwortet Janaina. „Ich will nicht lang bleiben. Ich habe nur ein paar kurze Fragen. Kennen Sie Pedro Garcia?“
„Ja, klar“, entgegnet Jose höflich. „Der ist doch aus seiner Wohnung 'raugeworfen wurden, und jetzt lebt er irgendwie auf der Straße. Meistens sieht man ihn im Umkreis der Bushaltestelle an der Avenida Cupece.“
„Gibt es Fotos von Ihm mit Ihrer Webcam, wie von Mia?“
„Nein, nein, ich mache eigentlich keine Fotos von der Straße. Ich nutze die Webcam für Internetkommunikationsprogramme wie Skype. Die Fotos von Mia waren reiner Zufall. Ich wollte die Qualitäten der Kamera bei ferneren Motiven testen.“
„Ok, wissen Sie eventuell, wo sich Pedro aufhalten könnte, denn wir suchen ihn dringend?“ fragt Janaina weiter.
„Nein, ich hatte nie näheren Kontakt mit ihm. Ich kenne ihn eigentlich nur vom Sehen und von dem, was die Leute sagen.“
„Das war's schon, Tschau!“ verabschiedet sich Janaina.
„Tschau!“ Jose reicht Janaina die Hand, aber diese ignoriert diese Geste. Sie geht zurück zu ihrem Auto. Als sie dort ankommt, empfängt sie eine SMS von Charly auf ihrem Handy. Er teilt ihr mit, dass sie die Befragungen für heute beenden kann und einen freien Sonntag bekommt.
4
Laura und Naomi parken den Corsa an der Avenida Cupece zwischen Bar und Bushaltestelle. Sie gehen zuerst zur Bushaltestelle und fragen ein paar Passanten nach Pedro, aber niemand weiß etwas, und niemand kennt Pedro. Sie beschließen, dann zur Bar zu gehen und eventuell später nochmal zur Bushaltestelle zurückzukehren, um weitere Passanten zu befragen. Sie gehen zur gleichen Bar, wo Janaina am Vorabend Jose kennengelernt hat, der die Fotos vom Mordopfer auf seinen Computer gespeichert hat. Die Bar ist gut besucht. Die meisten Gäste schauen auf den Fernsehschirm, wo gerade ein Bericht vom Training der brasilianischen Fußballnationalmannschaft läuft. Als die beiden Polizistinnen in der Eingangstür stehen, richten sich die Blicke der zahlreichen männlichen Besucher auf sie. Ein leises Raunen geht durch den Raum und ein paar Männer pfeifen.
„Kriminalpolizei!“ ruft Naomi und zeigt ihre Polizeimarke in den Raum. „Mein Name ist Naomi Watanabe, und das ist Laura Ferreira. Wir sind von der Mordkommission IV der Polizei von São Paulo. Wir möchten gern mit Pedro Garcia sprechen.“
„Pedro ist nicht hier“, ruft der Barkeeper.
„Erzählen sie uns keine Märchen“, bringt sich Laura ein. „Ein Passant hat ihn vor wenigen Minuten hier gesehen.“
Die beiden Polizistinnen versuchen, die Barbesucher mit dieser Geschichte in die Defensive zu drängen, dass sie sich angegriffen fühlen und dadurch mehr Informationen preisgeben.
„Was?“ entgegnet der Barkeeper aufgebracht. „Das kann doch gar nicht sein. Der Pedro hat hier schon seit einigen Wochen Lokalverbot, weil er nie bezahlt hat. Er hat eine offenen Rechnung von mehr als hundert Reais. Ich habe das auch bei der Polizeistation in Jardim Miriam angezeigt. Also sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wenn der diese Bar betritt, werde ich mich sofort bei Ihnen melden.“
„Hat sonst jemand in den letzten Tagen Pedro gesehen oder weiß, wo er sich derzeit aufhalten könnte?“ will Naomi wissen. Da steht der 60-jährige Guilherme Andrade von seinem Stuhl auf und ruft:
„Ein Onkel von Pedro hat einen kleinen Laden an der Estrada de Itapecerica nicht weit entfernt von der Metrostation Capão Redondo. Dort wollte er arbeiten und wohnen. Das sagte er schon vor einigen Wochen. Ob er da jetzt wirklich ist, kann ich leider nicht sagen. Zumindest lungert er nicht mehr an der Bushaltestelle herum.“
„Wie heißt dieser Onkel?“ fragt Laura weiter.
„Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur das, was ich eben gesagt habe, nicht mehr“, antwortet Guilherme achselzuckend.
„Ok, danke, hat sonst noch irgendjemand hier im Raum weitere Informationen?“ fragt Naomi in die Menge.
Die beiden Polizistinnen schauen sich um. Niemand der Anwesenden macht Anzeichen, etwas ergänzendes zu sagen. Sie verabschieden sich kurz und verlassen den Raum, um zum Auto zurückzugehen. Auf dem Weg dorthin bekommen beide die gleiche SMS von Charly, die Janaina bekommen hat. Sie beschließen, dass Laura Naomi zur Metrostation Jabaquara bringt, von wo sie dann mit der Metro nach Hause fahren kann.
„Das scheint ja ein eindeutiger Fall zu werden“, beginnt Laura das Gespräch während der Autofahrt zur Metrostation. „Wir müssen nur noch diesen Pedro finden, ihn verhaften und zu einem Geständnis bewegen.“
„Wer weiß das schon“, entgegnet Naomi zweifelnd. „Ich bin mir noch nicht so sicher, dass der Kerl wirklich der Täter ist. Das sieht mir alles zu einfach aus, und am Ende ist vielleicht doch jemand anderes der Täter.“
„Naja, wir werden es sehen. Morgen sind wir erstmal wieder gemeinsam im Stadion“, Laura wechselt das Thema.
Am Sonntag gehen die drei Polizistinnen zusammen ins Stadion Pacaembu zum Fußballspiel zwischen Corinthians und Flamengo aus Rio de Janeiro.
„Ich freue mich auch schon darauf und hoffe, dass wir Corinthians 'mal wieder siegen sehen. Dann können wir Charly am Montag aufziehen“, bemerkt Naomi erfreut.
Nach kurzer Fahrt erreichen sie die Metrostation in Jabaquara. Die beiden Frauen verabschieden sich mit einem Wangenkuss und Naomi steigt aus dem Auto.
Als Laura Naomi im Eingang zur Metro verschwinden sieht, entschließt sie sich, da sie heute keine besonderen Verpflichtungen hat, auf eigene Faust weiter nach Pedro zu suchen. Sie fährt mit ihrem in westlicher Richtung nach Vila Santa Catarina, passiert die Avenida Washington Luis. Über Santo Amaro erreicht sie den Rio Pinheiros. Sie überquert den Fluss über die Brücke Ponte Joao Dias und schon befindet sie auf der Estrada de Itapecerica in Jardim São Luis. Da sie sich in diesem Teil der Südzone nicht so häufig bewegt und sich auch deshalb nicht so gut auskennt, hält sie an einer Bushaltestelle an, wo ein paar Leute stehen, die auf den nächsten Bus warten. Sie dreht Scheibe der Beifahrerseite herunter und fragt in die Menge der Leute, ob jemand weiß, wie man zur Metro Capão Redondo kommt. Ein ungefähr 16-jähriger Junge tritt hervor und sagt:
„Ich muss auch dorthin. Ich kann Ihnen den Weg zeigen.“
„Also, steig' ein!“ antwortet Laura.
Der Junge öffnet die Beifahrertür und setzt sich zu Laura in den Wagen. Sie fahren weiter auf der Estrada de Itapecerica stadtauswärts.
„Ist es noch weit?“ fragt Laura, um ein Gespräch anzufangen.
„Ein paar Kilometer sind es noch“, antwortet der Junge.
Laura fragt weiter: „Wie heißt Du?“
„Carlos“
„Wohnst Du in Capão Redondo?“
„In der Nähe“
Da Carlos scheinbar nicht reden will, ist Laura erstmal still und hört auf zu fragen. Sie fahren weiter geradeaus auf der Estrada de Itapecerica. Die Gegend wird immer ärmer. Mehr und mehr Favelas befinden sich rechts und links der Straße. Plötzlich spürt Laura etwas kaltes an ihrer rechten Schläfe.
„Fahr die nächste Straße rechts 'rein!“ schreit Carlos aggressiv und hält eine Pistole an Lauras Schläfe.
„Ganz ruhig“, versucht Laura ihn zu beruhigen.
„Halt Dein Maul, sonst jage ich Dir eine Kugel in den Kopf“, der Junge wird aggressiver und wirkt sehr entschlossen.
Sie biegen ab in die Rua Teresa Maia Pinto und folgen der Straße, überqueren die Avenida Carlos Caldeira Filho in die Rua Praia de Carreiros. Laura überlegt, ob sie versuchen soll, ihre Dienstwaffe zu ziehen, die sich im Waffengürtel unter ihrer Jacke versteckt befindet. Ein Griff zur Waffe während der Fahrt wäre zu umständlich und könnte eine Überreaktion bei dem Jungen hervorrufen. Sie entscheidet sich, erstmal abzuwarten bis der Wagen zum Stehen kommt. Als sie an