Adalbert Kuhn

DER UNDANKBARE ZWERG


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gezeigt werden.

      »Das wichtigste Element des Märchens ist das Wundersame, wo dieses fehlt, ist ein wenn noch so gut erzählter und dichterisch bearbeiteter Stoff kein Märchen. Es muss im Märchen etwas geschehen, das im alltäglichen Leben nicht geschieht: z.B. dass Tiere reden, dass Menschen und Tiere sich verwandeln oder verwandelt werden, dass Verstorbene wieder erscheinen, dass mythische Wesen oder auch Gespenster, Tote, um nur einige zu nennen, in den Kreis der Handelnden treten, dass der Teufel eine Rolle spielt, dass die Begabungen mit ungeheurer Kraft, mit Unsichtbarkeit und allem, was in das Gebiet der Wunschdinge gehört, vorkommen.« (Ludwig Bechstein)

      Die Sage, ist dem Märchen sehr ähnlich. Wie diese basierten auch sie zunächst auf eine mündliche Überlieferung, die jedoch von fantastischen, die Wirklichkeit übersteigenden Ereignissen berichtet. Da sie auf reale Geschehnisse, Personen oder örtliche Gegebenheiten Bezug nimmt, entsteht der Eindruck eines Berichtes, der auf Wahrheiten beruht. Auch ihr möchten wir in dieser Zusammenstellung Platz einräume, denn Sagen sind auch heute noch durchaus erzählenswert.

      In diesem, den bereits erschienen und allen folgenden Bänden wenden wir uns den eher nicht überall bekannten und bereits zuhauf veröffentlichten Geschichten und deren Fassungen zu. Unser Ziel ist es, gerade die etwas unbekannteren und trotzdem nicht minder schönen, gar zauberhaften Märchen, Sagen und Erzählungen aus aller Welt zusammenzutragen, manchmal eben auch in einer etwas abgewandelten oder ursprünglicheren Version der überall bekannten.

      Aber auch die bekannten Märchen und Sagen werden wir aus diesen Bänden nicht verbannen.

      Alle hier veröffentlichten Märchen, Sagen und Erzählungen wurden von mir umfassend überarbeitet.

      Ich wünsche allen Kindern und jenen Erwachsenen, die sich ein kleines Stück Kindheit bewahren konnten, mit diesem Band viel Freude, wenn es wieder einmal heißt: Es war einmal …

      Ihre Ines Schweighöfer

      Französisches Märchen (Übersetzung von Dr. Kletke)

      Es war einmal eine Königstochter, die war so schön, dass es nichts Schöneres auf der Welt gab, denn sie besaß eine glockenhelle Stimme und ihr goldgelbes Haar war viel feiner als Gold und fiel ihr in langen Locken bis zu den Knien herab. Sie war wie eingehüllt darin, trug fast immer einen bunten Blumenkranz auf dem Kopf und Kleider, die mit kostbaren Edelsteinen und Perlen besetzt waren. Niemand konnte sie ansehen, ohne sie zu lieben, und deshalb nannte man sie Schönchen Goldhaar.

      Im benachbarten Königreich gab es einen jungen König, der noch unverheiratet war, sehr hübsch und überaus reich. Als er vernahm, was man alles von Schönchen Goldhaar erzählte, empfand er, ohne sie überhaupt jemals gesehen zu haben, eine so heftige Liebe zu ihr, dass er alle Lust zum Essen und Trinken verlor und sich entschloss, einen Gesandten auszuschicken und sie zu seiner Gemahlin zu verlangen. Er ließ seinem Gesandten eine prächtige Kutsche bauen, gab ihm eine reich verzierte Truhe mit den wunderbarsten Geschenken, mehr als hundert der edelsten Pferde sowie eine große Anzahl von Dienern mit und forderte von ihm, unter allen Umständen die Prinzessin in sein Königreich mitzubringen.

      Als der Gesandte von dem König Abschied genommen hatte und abgereist war, sprach man im ganzen Schloss von nichts anderem. Und der König, der keinen Augenblick zweifelte, dass Schönchen Goldhaar »Ja« sagen werde, ließ für sie schon prächtige Kleider nähen und wunderschöne Möbeln bauen.

      Während sich nun die Schneider und Handwerker in voller Emsigkeit an ihre Arbeit machten, die Aufträge des Königs bis zum Eintreffen der künftigen Königin zu dessen vollster Zufriedenheit zu erfüllen, traf der Gesandte bei Schönchen Goldhaar ein und unterbreitete seinen Auftrag.

      Vielleicht war die Königstochter an diesem Tag nicht bei guter Laune, oder ihr gefielen die in schönsten Worten vorgetragenen Kompliment nicht, denn sie entgegnete hochmütig: »Ich danke dem König vielmals, habe aber kein Verlangen mich mit ihm zu verheiraten.«

      Sehr betrübt über diese Antwort, verließ der Gesandte kurz darauf den Hof der Prinzessin und nahm auch alle die Geschenke wieder mit, die er ihr von Seiten des Königs überreicht hatte; denn wohlerzogen wie sie war, gab sie diese selbstverständlich zurück. Sie wusste, dass die Kostbarkeiten für die künftige Königin gedacht waren und wollte daher weder die schönen Edelsteine, noch alles Übrige behalten. Nur einen Brief in feiner Schrift verfasst nahm sie an, um den König nicht zu beleidigen.

      Als der Gesandte in das Schloss des Königs, wo er bereits mit großer Ungeduld erwartet wurde, wieder anlangte, waren alle sehr traurig, dass er Prinzessin Schönchen Goldhaar nicht mitbrachte. Darüber weinte der König bitterlich; alle Bemühungen, ihn zu trösten, waren vergebens.

      *

      Am Hofe des Königs lebte auch ein junger Mann. Der war schön wie ein sonniger Frühlingstag, klug und aufrichtig. Daher hatte man ihm den Namen Liebhold gegeben. Von nahezu allen wurde er geliebt. Es gab nur einige neidische Höflinge, die sich über ihn ärgerten und darüber Bitterkeit verspürten, dass der König ihn bevorzugte und zu seinem Vertrauten machte.

      Als Liebhold sich einmal unter diesen Höflingen befand, die ihm nicht wohlgesonnen waren, und von der Rückkehr und der erfolglosen Reise des Gesandten gesprochen wurde, äußerte er unvorsichtigerweise: »Wenn mich der König zu Prinzessin Schönchen Goldhaar geschickt hätte, so bin ich mir sicher, sie wäre mit mir gekommen.«

      Sofort gingen diese boshaften Menschen zum König und sprachen: »Majestät, wisst Ihr was Liebhold soeben verkündet hat? Er sagte: Wenn er zu Prinzessin Schönchen Goldhaar geschickt worden wäre, er hätte sie mitgebracht! Seht nur den Hochmut, er will schöner sein als Ihr und bildet sich ein, die Prinzessin würde so entzückt von ihm gewesen sein, dass sie ihm überall hin gefolgt wär’.«

      Auf diese Rede hin geriet der König in Zorn, so sehr in Zorn, dass er ganz außer sich war und ausrief: »Ha! Macht sich dieser Schönling etwa über mein Unglück lustig und glaubt er klüger zu sein als ich? Man bringe ihn sogleich in den großen Turm und lasse ihn dort verhungern!«

      Die Leibwache des Königs ergriff Liebhold, der gar nicht mehr an das dachte, was er kurz zuvor gesagt hatte, und warf ihn in den dunklen und schmutzigen Kerker, wo er mit der äußersten Härte behandelt wurde. Der arme Mann erhielt nichts weiter als einen Sack mit Stroh, den er sich als Schlafstätte zurechtlegte. Er wäre längst verdurstet, würde nicht eine winzig kleine Quelle hinten in der Ecke durch sein Verlies fließen, von der er trinken konnte.

      Eines Tages, da er kaum noch atmen konnte und geschwächt auf seinem Strohsack lag, sagte er seufzend: »Weshalb ist der König nur so zornig auf mich? Er hat kein treuerer Untertan als mich, ich habe ihn nie hintergangen oder beleidigt.«

      Genau in diesem Augenblick ging zufällig der König an dem Turm vorüber und als er die Stimme des Menschen vernahm, den er einst so sehr geliebt hatte, blieb er stehen, um seinen Worten zu lauschen, obgleich seine Begleiter, welche Liebhold hassten, den König davon abzuhalten wollten, indem sie sagten: »Wozu verweilt Ihr, Majestät? Ihr wisst doch, dass er ein Bösewicht ist.«

      Aber der König antwortete: »Lasst mich, ich will hören, was er zu sagen hat.«

      Als er die Klagen vernahm, konnte er sich der Tränen nicht erwehren, öffnete rasch selbst die Tür zum Kerker und rief den völlig entkräfteten Mann. Liebhold erschien in seinem verwahrlosten Zustand, warf sich vor ihm auf die Knie, küsste seine Füße und sagte zu ihm: »Wodurch, mein König, habe ich diese harte Behandlung verdient?«

      »Du hast dich über mich und meinen Abgesandten lustig gemacht«, versetzte der König. »Du hast gesagt, wenn ich dich zu Prinzessin Schönchen Goldhaar geschickt hätte, du würdest sie wohl mitgebracht haben.«

      »Ganz recht, mein König«, erwiderte Liebhold, »denn ich würde Eure herausragenden Eigenschaften so gewandt geschildert haben, dass ich überzeugt bin, sie hätte sich durchaus nicht weigern können und damit glaube ich nichts gesagt zu haben, was Euch missfällig sein könnte.«

      Der