Monika Starzengruber

Was dieses Weib so alles treibt


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sich allerdings nur langsam für die Aussicht erwärmen, seine Schwiegermutter stets um sich zu haben. Jedoch ein Blick in Luisas bittende Augen genügte, um ihn schließlich dafür einzunehmen. „Wann zieht sie ein?“

      „Am Freitag.“

      Klaus sah dumm drein. „Doch nicht morgen.“

      Luisa gab sich betreten.

      „Um Himmels willen, wo willst du sie unterbringen?! Wenn es in diesem Tempo weitergeht, sind die Tapezierer nächstes Jahr noch da.“

      Davon wollte Luisa nichts hören. Eine wegwerfende Handbewegung unterstrich ihre Worte: „Ach, eine Schlafgelegenheit wird sich schon finden in der kurzen Zeit. Als Mutter schließlich einlenkte doch zu uns zu ziehen, wollte ich nicht mehr warten. Sonst überlegt sie es sich womöglich wieder anders.“

      Klaus zeigte um sich. „Weiß sie, was sich hier tut?“

      Was für eine Frage. „Klaus, ich bin mir bewusst, dass es der ungünstigste Moment ist. Doch Mutter meinte, mit ihrer Hilfe würden wir das Haus schneller wieder in Ordnung kriegen und damit hat sie Recht. Wir können jede Hilfe brauchen.“

      Er war anderer Meinung. „Mutter wird das Zuviel. Sie ist älter als du, falls dir das entgangen ist.“

      Liusa wurde ärgerlich. „Vielen Dank für die Aufklärung, aber ich kenne Mutter seit meiner Geburt.“ Musste er unbedingt ein Drama aus der Situation machen? Einlenkend fügte sie hinzu: „Sie braucht ja nicht die schwersten Dinge zu erledigen. Ich finde, wenn Mutter sich das zutraut, sollten wir es ihr auch zutrauen.“

      Das Argument überzeugte Klaus zwar auch nicht, doch hatte er keine Lust noch länger mit seiner Frau über eine Sache zu debattieren, die sich ohnehin von selbst zeigen und erledigen würde. In in komischer Verzweiflung resignierte er.

      „Aber sagt dann nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.“

      Somit war der "Familienzuwachs" beschlossene Sache.

      „Nun hättest du fast den Hund überfahren!“

      Florian, der noch immer sein Bestes tat und krampfhaft die Schachteln mit seinen Armen stützte, blickte vorwurfsvoll auf seine Mutter.

      „Auch Hunde können nicht über die Straße laufen, wenn es ihnen gerade passt“, versuchte Luisa sich herauszureden. Dabei gab sie ihrem Sohn insgeheim Recht. Sie fuhr zu unkonzentriert. Rasant bog sie in die nächste Straße ein und hielt nach ein paar Metern den Wagen an, was Florian zwang, einen letzten, verzweifelten Kampf mit den Kartons durchzustehen. Leider nur mit halbem Erfolg. Luisa brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass weitere Lebensmittel sich dank der Fliehkraft selbständig gemacht hatten. Sie stöhnte. Das Geklirr und Geplumpse zerrte nicht nur an ihrem Geldbeutel.

      „Ich kann nichts dafür“, fuhr Florian auf, „du bist zu wild gefahren.“

      Luisa setzte eine Verschwörermiene auf: „Das behältst du aber für dich, klar?“

      Florian hielt ohne zu überlegen die Hand auf. „Kostet einen Euro.“

      Der Geschäftssinn ihres Jungen beeindruckte sie nicht so, wie seine Unbescheidenheit. „Du wirst mit jedem Mal teurer“, meinte sie, kletterte aus dem engen Wagen und öffnete den Kofferraum. Florian unterdessen lief einen Rennwagen nachahmend, aufs Haus zu. Luisa rief ihm nach: „Sag Marie sie soll mir helfen!“

      Warum mussten Bierkisten so schwer sein, durchfuhr es Luisa, während sie eine anhob. Gleich darauf setzte sie die Kiste wieder ab, weil ihr ein roter, nasser Fleck in die Augen stach. War das Blut? Wie hypnotisiert fixierte sie den Fleck auf der Rücksitzlehne. Sie fuhr mit dem Zeigefinger darüber und kostete. Ketchup. Mit unheilvoller Ahnung im Bauch beugte sie sich vor und ächzte: „Oh, nein!“ Der ganze Sitz war verschmiert. Der rote Brei war im Überfluss vorhanden, nur von der Verpackung war nichts mehr zu sehen. Und wenn schon, mit einer zerbrochenen Ketchupflasche wollte Luisa sich nicht aufhalten, die musste warten. Weil die Armbanduhr ihr sagte, es war höchste Zeit. Jeden Augenblick konnte Klaus mit Mutter eintreffen. Und bisher war sie bloß zum Einkaufen gekommen. Von der Arbeit im Haus, die noch auf sie wartete, ganz zu schweigen. Ziehender Stress machte sich in ihr bemerkbar und der steigernde Wunsch nach zehn Armen und acht paar Beinen. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn sie ihren Großeinkauf auf einen anderen, ruhigeren Tag verschoben hätte. Dieser plötzliche Weitblick half ihr aber auch nicht, den stressigen Druck unter ihrer Haut loszuwerden. Im Gegenteil. Er steigerte sich und drohte in Panik auszuarten. Aber dann fiel ihr Marie ein und ihre Nerven beruhigten sich. Wie sie Marie kannte, hatte sie schon damit begonnen, den Tapezier-Dreck gleichmäßig zu verteilen.

      Marie war das Hausmädchen und hieß eigentlich Viktoria. Aber diesen Namen fand Luisa zu lang für das Amt einer Haushaltshilfe. So kam sie auf Marie. Und da "Marie" nicht auf das zusätzliche Geld verzichten wollte, das sie bei Luisa verdienen würde, musste es ihr recht sein, fortan so zu heißen. Zweimal in der Woche, Montag und Freitag, war sie bei Luisa Mädchen für alles. Ursprünglich hätte Luisa Marie ja für drei Tage in der Woche eingestellt. Jedoch gleich zu Anfang verkündete die Gute, nicht öfter als zwei Tage erscheinen zu können, denn: Dienstag und Donnerstag sei sie bei Frau Emmerich und Mittwoch bei Regierungsrat Holte in Stellung. Samstag helfe sie an einem Kiosk aus und Sonntag gedenke sie flach zu liegen. Schließlich sei man kein Roboter. Dem war nichts hinzuzufügen, fand Luisa, und da keine andere Hilfe in Aussicht stand, machte sie Marie mit ihren zukünftigen Arbeiten im Haus vertraut. Die hauptsächlich aus Schuhe und die Fenster zu putzen, bügeln und die Böden zu pflegen bestand. Zum größten Bedauern von Marie, die nichts so sehr hasste, wie putzen und bügeln. Doch da Luisa für diese Arbeiten ebenso empfand, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich dafür zu „opfern“. Arme Marie. Aber auch arme Luisa. Denn, wenn einer glaubte, sie konnte nun wenigstens an zwei Tagen in der Woche ausspannen – weit gefehlt. Marie arbeitete zwar wie ein Pferd, jedoch ausschlaggebend war, wie sie arbeitete. Ob sie es nicht bemerkte oder nur nicht bemerken wollte, würde Luisa wohl ewig ein Rätsel bleiben. Marie besaß die Angewohnheit, um nicht zu sagen, den Tick, nie eine angefangene Arbeit zu beenden. Bügelte sie, blieben garantiert ein paar Wäschestücke ungebügelt liegen. Trotzdem pflegte sie strahlend zu verkünden: „Ich bin fertig. Diesmal noch schneller.“

      Wollte sie einen Rekord aufstellen? Einmal schoss Marie den größten Vogel ab, indem sie den Parkettboden von nur einem halben Zimmer mit Glanzextrakt einließ. Darauf angesprochen erklärte sie: „Das ganze Zimmer einzulassen ist unnötig, wo man den Glanz nur im Gegenschein zum Fenster richtig sieht. Haben Sie noch nie was von Putzmittelersparnis und Umweltentlastung gehört?“

      Wie oft meinte Klaus, Luisa sei zu nachsichtig mit Marie, und wie oft nahm sich Luisa vor, strenger mit ihr zu sein. Aber Personal war rar, und schließlich war es besser eine schlechte Arbeitskraft zu behalten, als alles selbst zu tun.

      Luisa sah sich um. Wo blieb Marie? Keine Spur von ihr. Was bestätigte: die eigene Arbeitskraft war die verlässlichste und so fing Luisa schon mal an, das Auto von den Lebensmitteln zu befreien. Ächzend hob sie Karton für Karton heraus und stellte sie daneben, auf den Boden. Anschließend sammelte sie die verstreut herumliegenden Sachen im Fond des Wagens ein, die, oh Graus, mit Ketchup vollgeschmiert waren. Und während sie auf der Suche nach einem Taschentuch war, um den roten Tomatenbrei von ihren Händen abzuwischen, drang aus einiger Entfernung eine allzu bekannte Stimme an ihr Ohr: „Juhuuu, Frau Karl!“

      Luisa machte auf taube Ohren. Gleichzeitig wünschte sie ihre Nachbarin wer weiß wohin, denn die liebe Frau hieß zwar Stumm, aber zum Leidwesen aller in der Straße war sie es nicht. Äußerlich unterschied Frau Stumm nichts von ihren weiblichen Mitmenschen in der Straße. Äußerlich sah sie aus, wie eine Frau und sie benahm sich auch, wie eine Frau. Und es gab manchmal kleine, nichts sagende Meinungsverschiedenheiten mit ihr, wie sie unter femininen Nachbarn oft üblich sind. Der große Unterschied lag innerlich. In einem tragischen Geburtsfehler. Er war genetisch bedingt. Was bewirkte, dass die Arme als wandelndes Tratschblatt ihr Dasein fristen musste. Bedauerlich für alle, die mit ihr in Berührung kamen. Luisa erinnerte sich nicht, jemals wieder so viel über ihre umliegenden Nachbarn erfahren zu haben, als in den Minuten, in denen Frau Stumm ihr die Zeit verkürzte. Da Luisa für Tratsch überhaupt