Joseph Delmont

Die Stadt unter dem Meere (Roman)


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Mittel halfen nichts, die Dr. Katzberg heimlich ins Essen praktizierte.

      Verschiedentlich hatte man Versammlungen abgehalten und die Frage erörtert, ob man heimkehren solle. Immer wieder wurde nach langen Beratungen, auf Grund der aufgefangenen Funkberichte, beschlossen, in der »Stadt unter dem Meere« zu bleiben und normale oder wenigstens bessere Zeiten zur Rückkehr abzuwarten.

      Niemand von den Leuten wollte die Heimat in den Händen unfähiger Politiker wiedersehen.

      Die Funkstationen brachten stets Berichte über die Auswüchse des Kommunismus, der ganz im Fahrwasser des russischen Bolschewismus segelte.

      Durch Vorträge waren die Leute in der »Stadt unter dem Meere« aufgeklärt worden, daß man mit der sogenannten allgemeinen Verbrüderung der Völker einen allgemeinen Zusammenbruch erlebt hatte.

      Wo waren die französischen, die englischen, die italienischen Brüder, die helfend und versöhnend die ausgestreckte deutsche Hand nahmen?

      Wo blieb die Verwirklichung der Versprechungen, die seit Jahren von den phrasendreschenden Agitatoren in Aussicht gestellt worden waren?

      Keine Hand rührte sich. Der französische Proletarier war von derselben Rachgier und dem gleichen Haß gegen alles Deutsche beseelt wie der Bürger. Der englische Arbeiter ist ein zu großer Ignorant, um auch nur darüber nachzudenken, ob etwas wahr oder erlogen. Er haßt den Deutschen, weil er – wenn auch oft unbewußt – fühlt, daß ihm der Deutsche, insbesondere der deutsche Arbeiter, an Geist, Auffassungsgabe und Allgemeinbildung weit überlegen ist. Der Engländer, ob Adel, Bürger oder Proletarier, verschlingt die mit handgreiflichen Lügen gespickten Zeitungen, und wenn er auch nicht immer glaubt, was darin steht, so hält er sich doch daran und sagt einfach: »Well, it is in the newspapers and that settles it.« (Es steht ja in den Zeitungen und das genügt.)

      Mader dachte häufig über diese Dinge nach.

      Kommunismus?! Das, was diese Leute Kommunismus nennen, ist gar keiner. Die Herrschaft einer einzigen Klasse wollen sie. Jede Individualität soll unterdrückt werden. Den Intellekt in eine Zwangsjacke sperren, einseitig denken und fühlen ist ihr Wunsch.

      In dieser kleinen Gemeinde, in der »Stadt unter dem Meere«, herrschte eigentlich der wahre Kommunismus. Doch hier überwog die Liebe zum Vaterlande alles. Hier kannte man keine Diktatur, es gab einen allgemeinen Willen und nicht den des Einzelnen. Der Bolschewismus Rußlands hat sich als krasser und brutaler Absolutismus, schlimmer als jener der Zarenherrschaft, gezeigt. Wenn früher eine Clique reaktionärer Hofschranzen in Rußland die Politik beeinflußte und despotisch jede Aufklärung unterdrückte, so geschieht dasselbe jetzt, in entgegengesetzter Richtung, auf noch viel einseitigerem Wege.

      Jede Musikkapelle und jedes gute Orchester braucht einen Dirigenten. Wenn jeder Musiker den Taktstock schwingen wollte, was wäre damit gewonnen?

      Bis zur Stunde ist das Weltbeglückende der Lehre des Bolschewismus nicht in Aktion getreten. Noch ist das Elend übergroß und eine Gegenströmung darf sich nicht hervorwagen, da sonst die Todesurteile viel rascher vollstreckt werden, als in den ärgsten Zeiten des Zarismus.

      Mader hatte eine Besprechung mit seinen Kameraden abgehalten und berief nach Schluß der Arbeitsstunde die Mannschaften nach Dom 9.

      Die Leute merkten, daß es etwas Besonderes gab und warteten ungeduldig auf die Eröffnungen des Kapitäns.

      Als Mader vor die Versammelten trat, war er sehr bewegt. Mit stark vibrierender Stimme begann er:

      »Wie Ihr aus den heutigen Nachrichten erseht, ist in unserer Heimat die Unordnung größer denn je. Immer wieder muß ich betonen, daß ich nicht für mich spreche. In den vielen Jahren unseres Beisammenseins hat sich manches geändert. Doch unwandelbar bleibt die Liebe zur Heimat. Wir haben hier ausgeharrt. Wir wollen nicht zurück, bevor nicht geordnete Zustände in unserer Heimat eingetreten sind. Wir hofften, daß in einiger Zeit, in Wochen, Monaten, sich alles einrenken werde. Bald drei Jahre sind es her, daß der Krieg beendet und noch immer ist kein Ende der feindlichen Bedrückungen, kein Ende der inneren Kämpfe abzusehen.«

      Aufmerksam lauschten die Männer.

      »Wir haben hier in diesen Jahren Kulturarbeit geleistet. Ohne Hilfsmittel von außen wurden große Errungenschaften auf dem Gebiete der Technik gemacht. Und nicht nur der Technik. Unser guter Möller hat es sogar zustande gebracht, uns hunderte Meter unter der Erde einen Garten und ein Feld zu schaffen. Möller ist der Erfinder des hellen Grases.«

      Die Leute schmunzelten.

      »Man braucht darüber nicht zu lachen«, fuhr Mader fort, »wer weiß, zu welch weiteren Entwicklungen die Erfindung Möllers führt, wenn sich ihrer die Wissenschaftler bemächtigen?

      Aber ich will nicht, daß wir ganz von allem abgeschlossen bleiben.«

      Mader hob die Stimme:

      »Wieder muß ich die Frage stellen: Will einer von euch zurück, so möge er es sagen. Wir werden fest zusammenstehen und ihn von seinem Schwur entbinden.«

      Es meldete sich niemand, obwohl einzelne verlegen zu Boden blickten und aufseufzten.

      »Wir wollen niemanden zwingen, sich länger den Entbehrungen auszusetzen. Obwohl weder ich noch einer der Herren den Wunsch hat, nach Deutschland zurückzukehren, solange dort nicht Ordnung herrscht, so sind wir doch übereingekommen, es jedem freizustellen, nach eigenem Ermessen zu handeln.«

      Alles blieb still.

      »Ick gläuw, wi bliewt hier, Herr Kaptain«, sprach Möller in seinen langen Spitzbart hinein.

      Keiner meldete sich sonst.

      »Nun«, sprach Mader weiter, »ich habe mit den Herren beschlossen, daß wir mit unserem Klein-U.1000, der neuen Erfindung, morgen abend ausfahren und einige Mann, ziemlich nahe bei den Felsen von Bergeggi, auf eines der Ruderboote aus Dom 1 mit kleinem Mast und Segel aussetzen.«

      Überrascht hörten die Leute zu.

      »Die Leute sollen die großen alten Postsäcke, aus denen alle Inschriften herausgeschnitten werden, mitnehmen, sich in die Dörfer begeben und dort einkaufen. Göbel, Maxstadt, Herdigerhoff und Rinseler sind der italienischen Sprache vollkommen mächtig, sehen südländisch aus und werden als vernünftige Männer alles richtig besorgen.«

      Die vier Genannten sahen überrascht auf Mader.

      »Alleräußerste Vorsicht ist dringend geboten. Ihr dürft nicht beisammen bleiben, sondern jeder hat sich nach einem anderen Orte zu begeben. Möglichst unauffällig muß euer Benehmen sein. Eure Uniform müßt Ihr nach Belieben abändern, denn Ihr dürft nicht gleichmäßig gekleidet sein. Wenn die Gelegenheit gegeben ist, so kauft euch alte Kleider.

      Rinseler! Sie müssen bis Savona. Dort telefonieren Sie Fratello Rossi, Speditionsgesellschaft in Genua, an, und fragen, ob nicht eine Tasche für Sennor Almeida aus Zürich dort lagert. Seien Sie vorsichtig und antworten Sie auch portugiesisch, wenn man Sie fragt, ob Sie Portugiese sind.«

      Rinseler nickte.

      »Ist die Tasche oder sonst etwas dort, so bitten Sie, daß man es bahnpostlagernd nach Savona unter demselben Namen schickt. Verstanden?«

      »Jawohl, Herr Kapitän.«

      »Klappt die Geschichte, so werden wir es so einrichten, daß bald ein anderes Quartett auf ›Landurlaub‹ geht.«

      Alle lachten. Die Aussicht, wieder mal Tageslicht zu sehen, war zu verlockend.

      »Am Abend, nach Dunkelheit, findet Ihr euch wieder bei eurem Boote ein und rudert gegen zweitausend Meter SSW. Punkt neun Uhr tauchen wir auf und nehmen euch an Bord. Eure Laterne wird uns den Weg weisen.«

      »Vergeßt bloß nicht, Vogelfutter und Zwiebeln und Möhren und Butter zu bringen!«

      Möller sprudelte das hastig hervor.

      »Mensch, und Priem, son ordentlichen dicken swatten Priem!«

      »Jo, un wat to smöken!«

      Tausende