Joseph Delmont

Die Stadt unter dem Meere (Roman)


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lächelten sie: »So komme doch! Küsse mich! Fühlst du nicht, wen du in deinen Armen hältst? Bist du blind?«

      Maxstadt sah mit heißem Brennen in der Brust in den Saal. Wie lang ist es her, daß er ein Mädchen in den Armen gehalten, geherzt und geküßt? Wie lange ist es her? Undenkliche Zeiten.

      Er wandte den Blick ab und wollte weiter gehen, doch ein Schwindelgefühl packte ihn. Fast wäre er gefallen. Langsam ließ er sich auf dem Rand des Postaments am Gitter nieder. Seine Zähne schlugen hörbar aneinander.

      Der Kies im Garten knirschte plötzlich ganz in seiner Nähe.

      Ein Herr und eine Dame blieben kurz vor dem auf dem Stein kauernden Maxstadt stehen. Sie sprachen kein Wort. Der Mann legte den Arm um die Hüfte des Weibes und küßte sie. Ihre Arme flogen um seinen Hals und preßten den Kopf des Mannes in heißer Leidenschaft an die Lippen. Unbeweglich standen die Beiden Mund an Mund. Im Kusse vergehend.

      Maxstadt wollte schreien, doch er konnte nicht. Der Duft des Weibes drang herüber und verursachte einen Rausch in seinem Gehirn. Er raffte sich auf und taumelte die Straße entlang.

      Durch das schlafende Spotorno ging der Weg. Dann kam wieder die Landstraße.

      Mit zusammengepreßtem Munde stapfte Maxstadt vorwärts. Seine Lippen waren heiß und trocken. Nur weiter, weiter.

      In Noli war noch pulsierendes Leben.

      Noli, die pittoreskeste Stadt Italiens. Das bildhaft schönste Nest am Ligurischen Meer.

      Maxstadt schritt durch die engen, von Bogen überspannten Gäßchen. Die Laternen baumelten an Ketten in der Mitte der Straßen und wurden vom Wind leise bewegt. Die Schatten an den Hauswänden und auf dem Pflaster bewegten sich gespenstisch hin und her.

      Über Treppen, durch nur zwei bis drei Meter breite Gäßchen schritt der erregte Maxstadt hinauf und hinunter.

      Ein kleiner freier Platz mit mehreren Heiligenstatuen breitete sich im Sternenlicht der Nacht aus.

      An einer Haustüre lehnte ein Weib. Schwarzes Haar in der Stirne. Spuren einstiger Schönheit. Sie weinte still vor sich hin.

      Sie wollte ihren Mann aus der Schenke holen. Seit fünf Tagen war er nicht draußen auf dem Wasser gewesen. Aber bei Martino, dem Hafenwirt, war ein neues großes Faß Barbera angekommen. Schwarzrot, dickflüssig. Eine Gabe Gottes.

      Sie muß darben und der Mann versäuft die letzten Soldi.

      Maxstadt biegt um die Ecke, sieht die Frau und geht auf sie zu.

      Sie nimmt das Tuch von den Augen.

      »Kann ich hier wo über Nacht bleiben?«

      Ohne fremden Akzent stößt er die Frage hervor.

      Die Frau sieht in das weiße Gesicht des Mannes und erschrickt vor seinen glühenden Augen. Langsam zieht sie sich in den Torweg zurück und deutet wegweisend mit dem Finger die Straße hinab.

      Er geht nicht, sieht die Frau nur an. Bittend hebt er die Hände. Sie ist unfähig, sich zu rühren.

      Da packt er ihre Hände und preßt sie an seinen Mund. Heiß vom Fieber sind seine Lippen. Die Frau will ihre Hände zurückziehen; er aber hält sie an den Mund gepreßt.

      Schritte erschallen in der Ferne.

      Erschreckt zieht das Weib Maxstadt in die Toreinfahrt. Um Gottes willen, nicht gesehen werden! Kein Mensch würde ihr die Geschichte glauben. In diesem kleinen Nest würde man nur das Schlechteste von ihr denken.

      Draußen kommen die Schritte näher. Ängstlich preßt sie sich in die Ecke hinter der Tür.

      Maxstadt mißversteht ihre Bewegung und drückt sie heftig an sich heran.

      Die Schritte verhallen.

      Maxstadt hat mit seinem brennenden Munde den ihren gefunden und gräbt seine Zähne in ihre Lippen.

      Sie will schreien und kann nicht. Fest hält er ihren Mund verschlossen. Ihr schwindelt.

      Seit Wochen wurde sie von ihrem Manne, dem Trunkenbold, vernachlässigt und geschlagen. Dreißig Jahre war sie erst alt. Heißes italienisches Blut durchbrauste ihre Adern. Alles um sich her vergessend, erwiderte sie brünstig seine Küsse. Sie zog ihn über den Hof in ihre Wohnung. Es war keine Gefahr, daß sie überrascht würden. Der Säufer von Ehemann torkelte erst immer morgens schwergeladen nach Hause.

      Im Zimmer brannte nur unter einem Heiligenbild ein Öllämpchen.

      In wilder Glut hatten sich die Beiden umfaßt.

      In Fetzen reißt er ihr das Kleid, das Hemd. Wie ein wildes Tier wirft er sich über sie. Sie setzt ihre Zähne in seinen Hals und saugt seinen Lebenssaft in ihren glühenden Mund. Das Lämpchen flackert und wirft gespenstische Schatten an die Wand.

      Ein Luftzug verlöscht den Docht an der Lampe.

      Zwei Menschen in heißer Umschlingung vergessen Gott, Pflicht und die Welt.

      Im ewigen Kreislauf des Lebens, das alte Lied der sündigen Lust.

      26

      Während Göbel im Boot lag und durch die ungewohnte Aufregung ermattet, bald einschlief, marschierte Rinseler mit festen und raschen Schritten auf Bergeggi zu.

      Der Himmel war mit Sternen besät und einige Male fielen wunderbare Sternschnuppen ins Meer. Eine Feuergarbe schoß hinterher.

      Der Mond legte eine glitzernde Straße durch das Wasser des Golfes.

      Irgendwo bellte ein Hund.

      Nur nicht denken müssen. Kein Heimweh aufkommen lassen!

      Schlanke Pinien strebten himmelwärts. Der starke Duft von Jasmin drang aufdringlich aus einem Gärtchen. Ein einsam stehendes Haus. Dunkel und trüb die Fenster mit den geschlossenen Holzjalousien.

      Hinter dem Haus, hügelwärts, ein Olivenhain.

      Horch!

      Eine schöne Männerstimme summt ein neapolitanisches Lied:

      »Oh povero Merlo mio!«

      Es glüht im Herzen Rinselers.

      Die Gedanken wandern gewaltsam in die Heimat zurück. Nicht meistern ließ sich die Sehnsucht.

      1912 verlebte er den letzten Urlaub in Schönau bei Neckarsteinach.

      Von Kiel war er nach Heidelberg durchgefahren.

      »Alt Heidelberg, du Feine …«

      Sein Herz weitet sich, als ihm die Gedanken das wunderbare Bild vorgaukeln.

      Sein erster Besuch galt dem Schloßberg. Auf der Terrasse unterm Schloßhotel stand er und blickte auf das herrliche Bild zu seinen Füßen. Der Abend dämmerte herauf und Lichter sprangen hoch. Silbrig floß der Neckar dahin.

      Welchen Zauber übte das Wort Neckar auf ihn aus!

      »Neckar«. Immer wieder flüstert er es vor sich hin, als er die staubige Straße an der italienischen Riviera dahinschritt.

      Zurück wandern die Gedanken.

      Wie er am nächsten Morgen sein Billett nach Neckarsteinach verfallen ließ und den Weg zu Fuß antrat.

      Zwei Stunden hätte er bis zum Abgang des Zuges warten müssen.

      Über Ziegelhausen, Neckargemünd ging’s nach Neckarsteinach. Die alten kleinen Häuschen grüßten. Die Jugend kehrte in ihm zurück. Bub war er wieder, als er die alten Burgen oberhalb Neckarsteinach erblickte.

      O goldene, schöne Kinderzeit! Wie der Vater ihn überall herumgeschleppt und ihm die herrlichen Sachen mit faustdicken, lachenden Lügen erklärte. Wie die Mutter den Vater zurechtwies, damit er den Buben nicht verderbe.

      In drei Viertelstunden, übern Brünnlberg, wanderte er der Heimat, seinem lieben Schünau zu. Unten lagen die saftigen Wiesen im vollen duftigen Grün. Überall