Alwin Sand

Hype in Hintertupfing


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       Impressum

       Hype in Hintertupfing

      Alwin Sand

      Copyright: © 2012 Alwin Sand

      published by: epubli GmbH, Berlin

      www.epubli.de

      ISBN 978-3-8442-3071-0

      Erdacht 2004, geschrieben 2007, redigiert 2012.

      Kontakt: [email protected]

      Ein kleines Musikfestival macht große Schlagzeilen nach einem Beinahe-Amok und wird von Schaulustigen überrannt. Nach einer spontanen Verlängerung der Veranstaltung suchen die Medien ihren Helden und immer mehr Besucher das authentische Erlebnis. Die Organisation ist davon völlig überfordert, die Behörden machen Schwierigkeiten, aber egal: Es wird so lange weitergefeiert, bis sich im kreativen Chaos massenweise die Einsichten verdichten.

       Gewidmet allen, die dabei sein werden.

       Prolog

      „Ich könnt dir jetzt viel erzählen, Cousinchen. Aber weil ich das so im Ganzen gar nicht rüberbringen kann … sollst du die Idee … und dazu sag ich nur: Yeahyeahyeah! … direkt vor Ort erfahren. Die Möglichkeiten selber sehen und so. Und dann kannst du mir sagen, was du davon hältst. Du brauchst gar nicht weiterfragen. Ich werd nichts verraten, bis wir da sind." Während Pankraz erklärt, oder eben auch nicht erklärt, was er vorhat, kramt er eine Kassette aus dem Handschuhfach und steckt sie ins Autoradio. Seine schnelle Stimme überschlägt sich mehrmals dabei, so aufgedreht ist er. Dann, als ein wildes Gitarrenriff losdröhnt und die Boxen zum Wackeln bringt, schaut er Anemone schelmisch grinsend an, startet den Wagen und gibt Gas wie ein Kavalier.

      Eigentlich und ganz gewöhnlich heißt Pankraz Peter-Michael, aber irgendwann hat er des Andersseins wegen den Namen seines Großvaters angenommen. Er und Anemone machen ziemlich oft was zusammen. Okay, sie sind miteinander verwandt, das macht die Beziehung unsexy, doch auf dem Land ist die Auswahl an Leuten eingeschränkt. Das ist schon alles in Ordnung so, wie es ist. Anemones Eltern finden es natürlich nicht sonderlich gut, wenn sie mit Älteren abhängt, dabei haben sie nicht mal annähernd eine Ahnung, in welchem Ausmaß ihr Cousin viel zu krass und sein Einfallsreichtum bezüglich Methoden der selbstzerstörerischen Zeitverschwendung grandios ist. Oberflächlich betrachtet ist Pankraz angepasst, dahinter tiefgründig abgedreht. Genau der falsche Umgang für ein unerfahrenes Unschuldslamm wie sie. Zumindest hat er schon öfters gut auf sie aufgepasst. Er ist ihr Großerbruderersatz, auch wenn man sich um ihn manchmal mehr Sorgen machen könnte als um einen kleinen.

      Diese hinausschiebende Heimlichtuerei, nachdem er sie vor ein paar Tagen zum ersten Mal aufgestachelt hat, ärgert Anemone schon ein wenig. Wie sie ihn kennt, würde aber jegliches Nachfragen keine Antworten bringen und das Objekt ihrer Neugier nur noch verrätselter werden lassen. Deshalb verdirbt sie ihm das Spiel und sagt gar nichts. Sie hat momentan – was sie nicht gerade in die beste Laune versetzt – genug nachzudenken. Über sich selbst und wie es weitergehen wird. Denn die Schule ist vorbei und ein neuer Lebensabschnitt beginnt, der Ernst des Lebens, blabla, wie man das halt so nennt. Und schon ist sie demotiviert, weil desillusioniert. Dabei sollte sie doch jung, dynamisch, voll Hoffnung und Elan sein. Am besten noch ehrgeizig, zielstrebig und maximal flexibel. Es genügt ein Blick über den Schatten des eigenen Tellerrands, ein Blick auf die weite Welt wie im Fernsehen, und schon erscheint im Spiegel der Tatsachen alles verdreht, gemein falsch und raubt einem jegliche Illusion. Flexibelfickt euch selber! Vielleicht liegt es daran, wie es nach fadenscheinigen Argumenten ringend so oft heißt, dass sie noch allzu pubertierend allerlei Stimmungen ausgesetzt und halt noch nicht erwachsen ist – was das auch heiße, vernünftig und bodenständig oder schon ganz betört von der Scheiße –, aber der Scheißhaufen hat ein Wahnsinnswachstum und die Welt ist in keinem schönen Zustand. Ja, so viel hat sie schon verstanden, ist ja jetzt auch nicht so schwer. Selbst wenn in ablenkenden Propagandaeinblendungen fortschreitend die neueste das Leben verbessernde Technik zum Umgang mit Wirklichkeit zur Auswahl vorgeschrieben wird, es überrumpelt einen so vieles, und besonders so viel Übelkeit Erregendes, dass fraglich ist, was für dich selbst überhaupt noch möglich ist zu tun. Mal ehrlich, was, das von Bedeutung ist, soll man selbst noch großartig erreichen oder verändern können?

      „Warts nur ab, du steigst bestimmt voll drauf ein!" Dem im Punkrock-Takt auf das Lenkrad klopfenden und mit dem Finger fuchtelnden Pankraz fällt es offenbar schwer, seine Begeisterung zu zügeln und nicht sein Vorhaben auszuplaudern.

      „Weißt du, Cousinchen, ich hab da ne echt grooooße Idee. Ich will was richtig Fettes, total Geiles, Übermäßiges machen. Was sich hier noch keiner getraut hat! Die werden … einfach alle voll drauf einsteigen … und noch lange drüber reden, was WIR hier als Erste gemacht haben." Die Aussage steht für sich und stört sich nicht an fehlender Respons, sie will nur gehört werden und wirken.

      Anemone schnauft tief und atmet mit einem Seufzer wieder aus. Sie stellt den Sitz zurück und kneift die Augen zusammen, bis das Bild verschwimmt. Hinter der Windschutzscheibe vermengen sich saftiges Landschaftsgrün und nicht mehr ganz so helles Himmelblau, zwischen beiden etwas frühe Abendröte und ein immer noch gegenwärtiges warm-güldenes Strahlen zu einem Brei, zu einem abstrakten, ineinander verlaufenden und dadurch offenen Farbfeld, das durch das Schwarz ihrer verdeckenden Lider doch begrenzt wird. Ein leicht zitterndes permanentes Blinzeln lässt dahinter, oder aus ihr selbst, kleine Punkte, Funken entstehen, die das Bild in nicht definierbarem Farbglanz strukturieren. Wie im Parallelen entfernte Galaxien und Supernovas innen drin. Ein ganze Weile vertieft sich Anemone in dieses Spektakel und das Auto wird von Pankraz so dahingefahren, wo auch immer hin. Sie spürt die Kurven, das leichte Beschleunigen und Bremsen, und dann, der tief stehenden Sonne entgegen, wird es richtig hell, sodass das Blinzeln zu anstrengend wird. Die Augen ganz geschlossen, ist immer noch ein warmes Rot-Orange zu sehen, ihr eigenes Blut, das durch dünne Haut pulsiert und ausgeleuchtet wird. Aber immer noch Flächen, Schattierungen, kleine bewegte Gebilde, die als etwas gesehen werden wollen. Und sie lässt sie bunte Blumen sein, Unmengen davon, Muster um ein leuchtendes Zentrum, bewegte Wellen und Körper, Gedanken, die sie gleich wieder vergisst. Ganz beiläufig werden die Blumen zu Fratzen und sogleich mitvergessen. Gedanken von irgendjemand singen über die längst weit entfernte Musik aus dem Autoradio: 'Wo sind meine Blumen Nein doch nicht die da Die andren die ich mir so gern selber mach Bring sie zurück besonders die blauen und die Männer Gib mir ein paar Männer besonderbare die es richtig machen und lachen wenn sie dunkle Nacht sehn Nah mach das weg Macht weg schnell weitergehn Geh fahr ins Licht hörst du es nicht Da Gefahrfafa ratatahaha rattatatiho ratatiho wo hast du nur deinen … Da kommn Ratten von unten herauf herauf zu mir und ich Alle hassen den meinen und ich hasse sie dafür Da führt der Weg weg weißt du wohin kennst du hörst du Und die Ratten kommen schnell ich habe auch Durst Gib mir von dem Weißen mach doch leiser das Getrappel der Ratten ist so laut und langsam muss das sein Es soll nicht da sein Sie laufen über alles hinweg ich geh jetzt und überseh den Weg weil er ist weg Wo'

      Es flüstert und etwas berührt sie. Anemone blinzelt sich langsam zurück in die echte Welt und wirft den von den Lidern gelüpften Schleier auf ihr schläfriges Gedankenwirrwarr. Sie sieht Pankrazens Hände ganz nah vor ihrem Gesicht herumwuseln, als ob er gerade einen Zaubereffekt macht. Er nimmt sie weg, um dahinter zu erscheinen und mit gewohnt überbetontem Gesichtsausdruck zu sprechen. Aber sie hört ihn nicht, ist mit Stechen im Genick noch ganz benommen vom Kurzschlaf. Seine Gestik deutet auf die stille Landschaft, zu der er sich wendet, während er ständig weiterspricht, ohne hörbar zu sein. Anemone ist verwirrt bis verzweifelt über die befremdlich stumme Situation, die sie sich nicht recht erklären kann – ihr eigenes Schnaufen hört sie doch auch noch. Eines ihrer Sinne beraubt, fühlt sie sich verletzlich, verlassen. Aber es hilft nichts, sie steht auf und steigt aus dem Auto. Die Schottersteine auf dem Weg knirschen. „Du Arschloch, Mann, ich hatte echt Schiss. Aargh!" Sie schreit und kickt in die Steine, dass sie davonspritzen und weit den abfallenden Schotterweg hinunterkullern.

      „Was sollte das jetzt wieder? Du langweilst manchmal echt mit deinen Aktionen! Und sag bloß, du hast mich wieder angetatscht?"

      „Ach komm, das war doch nur Spaß. Du lagst