Alwin Sand

Hype in Hintertupfing


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und du hast dich auf meine Kosten amüsiert. Du hast mich angetatscht, du notgeile Sau!"

      „Also, hör mal, …"

      „Ja, haha! Ich höre plötzlich wieder ganz gut, komisch oder?"

      „Ich mein, schau, ich bin nüchtern. Du bist mein Cousinchen. Da hört sichs doch auf, oder? Das könnte ich gar nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Meinem Respekt vor dir. Meinem Personenkult von dir. Komm schon, Anemone." Schon wieder liegt Pankrazens Arm auf Anemones Schulter, die ihn sogleich vehement wegschiebt.

      „Ach, vergiss es einfach. Du redest es dir eh so hin, wies dir gerade passt, und deine Ausreden dafür werden zunehmend schlechter. Was is jetzt hier Besonderes?"

      „Okay. Zu den Dingen. Folgen Sie mir bitte, Mademoiselle."

      Sie laufen vom Auto weg auf dem steinigen Weg. Hinter einer Kuppe erstreckt sich eine weite Wiesenfläche, durch die zu laufen gar nicht einfach ist, denn das ungemähte Gras steht dicht bis zur Hüfte hoch. Es duftet wunderbar und juckt ein bisschen. Pankraz im Eilschritt voran erbaut sich demonstrativ am Kampf gegen die Naturgewalten. Die Wiese mündet in eine riesige Mulde, ein kleines Tal, das, von hoch aufragenden Waldwipfeln umringt, etwa so groß ist wie ein Fußballstadion. Zwischen den Bäumen scheint noch etwas glimmende Sonne hindurch, doch ansonsten ist schon alles mit Schatten überzogen. Bis auf etwas Wind, Insektensummen und Vogelgezwitscher ist es fast vollkommen still. Keine Straßen, keine Strommasten, keinerlei Anzeichen von Zivilisation, stünde da nicht eine Scheune mitten in der Pampa.

      „Das alles gehört unserem Großvater. Ich wusste das gar nicht. Du wahrscheinlich auch nicht, oder? Er hatte es lange verpachtet. Bis letztes Jahr weideten sich hier noch Schafe und Ziegen an dem saftigen Gras. Das hatte der letzte Pächter für ein paar Jahre ausprobiert: Fleisch, Wolle, eigener Ziegenkäse und so. Hat sich allerdings nicht gelohnt, die Herde war zu klein, um wirtschaftlich rentabel zu sein. Jedenfalls war es ihm irgendwann zu viel Drecksarbeit. Großvater meint, das hätte er sich von vornherein schon gedacht, aber er fand die Idee richtig gut."

      Das Erzählte weckt in Anemone eine Erinnerung mit ganz ähnlichen Elementen: Als Kinder hatten sie mit Opa mal einen Ausflug zu einem Streichelzoo gemacht. Dort hatte es fürchterlich gestunken und man konnte aus Automaten Futter rauslassen. Rein körperlich bedingt, hatte man als Kind den Blick meistens eher auf Bodenhöhe, wo so allerlei Dreck lag. Sie hatte Angst oder sich geekelt, die Tiere anzufassen. Außerdem waren viel zu viele Besucher da und die kleinen süßen Zicklein dauernd besetzt. Als sie dann endlich dran war, hat das dumme Vieh gebockt und sie in den Dreck gestoßen. Sie hat natürlich aufs Zornigste geheult und erst aufgehört, als Opa ihr eine Limonade brachte. Sie saßen dann lange auf einer Bank und haben von Ferne die anderen Kinder mit ihren Eltern bei den Ziegen beobachtet. Opa meinte, sie solle dem armen Tier doch verzeihen, weil es in einem so kleinen Gehege eingesperrt war. Vielmehr seien doch die Menschen die dummen Viecher. Warum, das belegte er recht lustig mit lästerlichen Kommentaren anhand der Leute, die sie vor Augen hatten.

      Vor der Scheune und leicht außer Atem hält Pankraz an. Er rupft ein paar Grashalme aus und zupft an ihnen herum, schaut sich beiläufig ihre wunderlichen Details an, während er weiterspricht:

      „Außerdem, sagt Großvater, war das hier schon immer ein besonderer Ort. So heißt es zumindest in den Geschichten, die die Alten erzählt haben, als er noch klein war. Das hat den Viechern wahrscheinlich auch nicht so gut bekommen. Hier war mal was, ganz früher. Er sagt, er weiß es auch nicht genau. Ne Kultstätte zum Beten und Opfern oder ein Hinrichtungsplatz, ein Friedhof, was auch immer. Hähä. – Buuuuuuuhuuu!"

      „Alles klar, ich hab ja so Angst. Und das war es jetzt, weshalb du mich hergeschleppt hast?"

      „Neenee. Aber ohne Scheiß. Ich erzähl nur, was Großvater gesagt hat. Spürst du denn nichts? Es ist schon … irgendwie anders hier. Also, ich spür jedenfalls so was wie eine Beeinflussung. Vielleicht nicht messbar, aber ich meine, es fühlt sich sogar richtig gut an, total spirituell."

      „Hm. Ich weiß ja nicht so recht. Was soll ich denn spüren?"

      „Pass auf. Wir helfen einfach ein bisschen nach." Pankraz zieht eine Selbstgedrehte raus, zündet sie an und gibt sie nach ein paar Zügen an Anemone weiter, um sich am Scheunengatter zu schaffen zu machen.

      „Also die Scheune ist noch aus Großvaters Zeiten, älter sogar. Wurde zum Heulagern und, hehe, im Heu Rumliegen benutzt. Weißt du, was der Alte mir anvertraut hat? Er sagt, er hat unsere beiden Mütter mit der Oma, Gott hab sie selig, hier drin gezeugt. Ein Tatbestand, der die Besonderheit dieses Ortes noch unterstreicht. Ich mein, trotz aller Generationskonflikte und so, aber man muss unseren Alten und Uralten schon zugestehen, dass sie nicht wirklich spießiger Durchschnitt waren, oder? Bestimmt gings da oft noch viel wilder durcheinander, als wir uns das vorstellen."

      „Hm, stimmt. Echt geile Geschichte. Schon komisch, nur eine Generation dazwischen und wir wissen eigentlich gar nichts mehr von früher. Wie eine andere Welt."

      Die Tür knarrt auf, ihre Innenwand ist dick mit eingestaubten Spinnweben verhangen. Der Eintritt in den großen Raum wirkt nach all dem Erzählten umso mehr wie eine Verwandlung. Die Augen müssen sich erst langsam an die Halbdunkelheit gewöhnen. Es steht etwas Gerümpel rum, Zaunpflocken, Tröge, ansonsten dichte Leere. Auf einer Seite führt eine steile, wackelig aussehende Treppe ohne Geländer zu einem Boden, der über etwa ein Drittel der Raumlänge gezimmert ist.

      „Und was sagst du? Fantastisch, oder?"

      „Puh, was soll ich sagen? Als Nächstes vergewaltigst du mich, ziehst mir eins über und verscharrst hier meinen Körper in Andenken an unsere Mütter, oder was."

      „Ha, das wär was. Neenee, niemals, liebstes Cousinchen. Von deinem Körper würd ich die besten Stücke mitnehmen und den Rest im Wald verbuddeln, damit mir keiner draufkommt. Aber Scherz beiseite – jetzt die Idee! … Meine Vision, zu deren Verwirklichung ich dich und noch einige andere brauchen werde. Es wird viel Mühe und Schweiß kosten, oh ja, aber es wird sich so was von lohnen. Yeahyeahyeah!" Pankraz ereifert sich zu einem Ton voll Pathos, tritt einige Schritte von Anemone weg in die Mitte des Raumes, um mit den Armen entsprechend eine ergreifende Gestik ausführen zu können.

      „Denk mal drüber nach, vielleicht kommst du ja selber drauf. Du hast die Riesenwiese gesehen. In Form eines, na wie heißt das, so ähnlich wie das Kolosseum … äh …"

      „Amphitheater?"

      „Ja genau. Das und die geile Scheune hier. Und vielleicht spürst du inzwischen auch den Zauber …"

      „Oh ja, ganz schön, hier nimm du mal wieder."

      „Ah danke. Also, diese ganzen Eindrücke, es ist doch fast schon offensichtlich. Hör mal in dich rein. Was sagt dir deine gesteigerte Empfindung?"

      „Hm, dass Opa mal so richtig romantisch drauf war, kanns nicht sein. Hallo hallo, abgestumpfte Sinne, seid ihr noch da? Keine Ahnung, Panki. Sags mir."

      „Klar war der Große romantisch, ist er immer noch. Aber nee, ich mein, das hier ist genial. Wie dafür geschaffen, dass wir hier ne Party feiern. Besser noch, wir kreieren was richtig Großes, scheiße Mann, ein Megaevent. Ich sprech von einem wrrr-wrrr-wrrrr-wrrrr Trommelwirbel, tatata-taah tataah tataah: F E S – T I – V A L ! "

      "Ahaa? – Klingt spontan ganz gut. Erzähl mir mehr. Ich war noch nie auf einem."

      „Waaas? Nee, oder? Hier, zieh noch mal. Weißt du, Festivals sind einfach das Größte. Wie Religion vielleicht, heute, wo keiner mehr in die Kirche geht. Ich hab mich schon erkundigt, dürfte gar nicht so schwer sein, eine Genehmigung zu bekommen. Wenn man einen gemeinnützigen Verein gründet, lässt sich das ganz offiziell aufziehen. Ich kenn jemand, der hat so was schon mal gemacht. Dann bauen wir hier noch ein bisschen um, Bühnen, Theken und so weiter. Genügend Zimmermänner kenn ich ja. Wenn alle mithelfen. Noch ne Anlage und ein Programm organisieren, reichlich Werbung und los gehts! Selbst wenns unprofessionell wird, egal. Hier abseits vom Schuss langweilen sich doch eh alle in ihrer Abgeschiedenheit zu Tode."

      Während Pankraz plant, schleicht er um Anemone herum, malt mit Herumgefuchtel suggestiv