wie konnte es nur so weit kommen, Hilde!?«
»Wir können’s nicht mehr ändern. Und jetzt schaufel ihn zu!«
Es ist nicht leicht für ihn, diese Hemmschwelle zu überschreiten. Das erste Häufchen rieselt hinunter.
Indes befiehlt sie: »Warte! Das Zeug hier wollte ich schon lange loswerden, stinkt grässlich«, und kommt mit einem Kanister an. »Schütt das mit rein!«
»Was ist das?«
»Holzschutzmittel. Hab’ ich mir aufschwatzen lassen, um die Möbel zu behandeln, den chemischen Mist.«
Von dem stechenden Geruch rümpft sich auch Antons Nase, als er die farblose Flüssigkeit ausgießt. Anschließend schippt er. Spaten für Spaten fällt die schwarze Erde auf den Leichnam nieder. Frau Brunisch sieht ihrem Mann mit kalter Miene dabei zu. Bis schließlich der ganze Hohlraum wieder gefüllt ist. Dann kehren die beiden nächtlichen Gestalten ins Haus zurück.
»Morgen pflanzen wir noch was auf die Stelle.«
»Ja, das ist eine gute Idee, Hilde. Aber besser nichts Essbares.«
»Das hatte ich auch nicht vor. Wie lange kannst du denn bleiben?«
Anton zögert bedächtig. An der Wohnzimmerwand prangt in einem schwarzglänzenden Holzrahmen ein großes, trotzdem gestochen scharfes Foto. Seine Frau wollte es unbedingt hier hängen haben, ein Porträt jenes uniformierten Mannes, an dessen Geburtstag die Kinder sich freuen, weil sie schulfrei bekommen. Und von dem sie im Unterricht singen müssen, dass sie ihn über alles lieben, und manche sogar, dass er ihr Gott sei. Der Abgebildete schaut mit strengem Blick auf den Betrachter. Dieser traut sich kaum, ihr die Frage zu beantworten. »Hilde, ich muss dir was sagen. Ich habe dir etwas verheimlicht.«
»Was? Nun rück schon raus damit!«
»Weißt du, ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein.«
»Wie meinst du das? Bist du etwa desertiert?«
»Ja.«
»Anton, bist du verrückt!«, reagiert sie kopfschüttelnd.
»Ich konnte nicht mehr. Versteh doch! Ich musste dich endlich wiedersehen! Weißt du ... der Krieg ...!«
»Aber Mann, auf Desertieren steht die Todesstrafe!«
»Es war mir alles so egal. So viele meiner Kameraden sind gefallen. Wenn ich sowieso im Krieg umkomme, dann wollte ich dich wenigstens noch einmal sehen.«
»Du musst sofort zurückgehen! Hörst du!? Sonst werden sie dich hier suchen! Und dann werden sie womöglich auch das mit Hans herausbekommen!«
»Aber ... was soll ich denn sagen?«
Sie überlegt und schlägt anschließend vor: »Pass auf: Du sagst, du weißt auch nicht, wie du das tun konntest. Es wäre einfach über dich gekommen, und du hättest gar nicht gewusst, was du tust. Aber jetzt wärest du aufgewacht, hättest das Schreckliche deines Tuns eingesehen und bist deshalb zurückgekehrt. Und weil du freiwillig zurückgekehrt bist und der Führer doch jeden Mann braucht, bittest du darum, die Vollstreckung der Todesstrafe bis auf das Ende des Krieges zu verschieben, damit du vorher noch deinem Land und dem Führer mit zum Sieg verhelfen darfst. Dann werden sie dich bestimmt begnadigen.«
»Glaubst du wirklich, dass die darauf hören?«
»Wir wollen es hoffen. Uns bleibt ja nichts anderes übrig. Die brauchen doch jeden Mann.«
»Also gut.«
Nachdem Anton ein paar Stunden geschlafen hat, macht er sich am frühen Morgen auf den Rückweg. Ihm ist sehr unwohl dabei, denn er fragt sich, was man wohl mit ihm machen wird. Ob man es ihm wirklich hoch anrechnen wird, dass er schnell und freiwillig wieder zurückgekehrt ist?
Oder ob man ihn - um den anderen, welche ebenfalls mit dem Gedanken spielen, einfach abzuhauen, ein abschreckendes Beispiel zu geben - gleich hinrichten wird? Er ist auf alles gefasst.
Als er sich dem Lager nähert, hört er bereits von weitem das Einschlagen der Bomben: ein überraschender Angriff der Russen! Kaum ein feindliches Flugzeug kann von Antons Regiment abgeschossen werden. Der Rückkehrer lässt sich hinters Gebüsch fallen und verhält sich ruhig, bis die Bomber abdrehen. Dann läuft er hastig ins Lager.
Es herrscht ein totales Chaos. Überall liegen zerfetzte Tote und Verwundete neben den Bombenkratern. Nur wenige Landser sind unverletzt geblieben. Ein Sanitäter fordert auf: »Mit anpacken!«
Anton sputet sich und hilft mit, die Bahre zu tragen, auf der ein Schwerverletzter liegt. Und so geht es eine ganze Weile weiter. Als der Zurückgekehrte erneut einen verwundeten Kameraden ins Sanitätszelt gebracht hat, öffnet dieser gerade die Augen: »Brunisch — du ... du bist wieder da?!«
»Ja, Kumpel. Wie geht’s dir?«
»Unseren Hauptmann hat’s auch erwischt. Ich ... ich kann schweigen. Es ... hat doch sowieso alles ... keinen Sinn mehr.«
»Ruh dich aus, Kumpel«, sagt Anton und will bereits hinausgehen, wobei ihm nachgerufen wird:
»Ach, Brunisch! Du ... du kannst dich freuen: Krüger ... Krüger hat’s gleich am Anfang erwischt.«
»Krüger — ja, Krüger«, entgegnet Anton und versinkt in Gedanken. Wäre es jemals so weit gekommen, wenn Krüger nicht gewesen wäre? »Krüger!«, flucht er verbittert.
Von den spärlichen Überlebenden kennt kaum einer Soldat Brunisch persönlich. Und die, die Bescheid über ihn wissen, halten den Mund. Ob aus Kameradschaft oder aus Gleichgültigkeit, weil sie nach der plötzlichen Attacke kein Vertrauen mehr auf ihre militärische Führung und den Endsieg haben. Fast keiner verliert mehr ein böses Wort über Deserteure, und schon gar nicht über einen so schnell wieder zurückgekehrten, dem nur wegen Krüger der Urlaub gestrichen worden war. So kommt es, dass das große Unglück von Antons Kompanie für ihn zur Rettung wird.
Als nach Ablauf der zwei Wochen registriert wird, dass Gefreiter Hans Kuchenbäcker nicht von seinem Heimaturlaub zurückgekehrt ist, macht keiner großes Aufhebens davon. Da man weiß, dass es im eroberten Hinterland von nicht zimperlichen Partisanen nur so wimmelt, vermutet man, dass der Vermisste unterwegs umgekommen ist.
Die Monate ziehen vorüber. Langsam aber sicher werden die Deutschen immer mehr zurückgedrängt.
Dann geschieht eines Tages, als Anton mit seinen Leidensgenossen gerade nicht an vorderster Front steht, etwas sehr Merkwürdiges, ja Absurdes:
»Brunisch, herkommen!«, ruft ein Landser.
Anton zuckt zusammen. Er ahnt das Schlimmste: Jetzt bin ich dran!
Doch was der Kamerad ihm mitteilt, ist ganz anderer Natur: »Wir werden für einen Film gebraucht.«
Anton traut seinen Ohren nicht: Die restlichen noch einigermaßen Unverwundeten aus seiner Einheit werden von der Front abgezogen. Zunächst vermutet er noch, dass man mit ihnen Aufnahmen für die Wochenschau machen will, wie sie marschieren und fröhliche Liedchen singen. Doch da soll er sich täuschen:
Nachdem sie am Drehort eingetroffen sind, verpasst man ihnen Uniformen und andere Accessoires aus der Zeit von 1807. Es ist nicht zu fassen: Man zieht über hunderttausend deutsche Soldaten von der Front ab, um sie als Statisten für einen Historienfilm einzusetzen! Es handelt sich um den französisch-preußischen Krieg im genannten Jahr. Anton trägt eine prächtige blaue Grenadierjacke, die vorne von weißem Stoff geziert wird, auf dessen Rändern metallene Knopfreihen glänzen. Darüber: helle, breite, sich kreuzende Träger. Die roten Schulterklappen sind mit Fransen versehen. Ferner schneeweiße Hosen, die in langen, schwarzen Stiefeln stecken. Auffallend mutet auch der zu beiden Seiten hin breitauslaufende Hut an. Dazu gibt es einen Einschüsser mit aufgesetztem Bajonett.
»Wenigstens mal andere Kleidung«, sagt ein Landser im Spaß.
»Schön bunt. Schade nur, dass man davon auf der Leinwand nicht viel sehen wird«, findet ein Kollege.
»Wieso?«,