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Bookwire #7


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aus Kael in verschiedenen Fächern zu unterweisen, heißt heute Mondstein-Sanktuarium. Drum herum wurde fünfhundert Jahre später die Hauptstadt Lichterloh aufgebaut. Das steht jedenfalls in den religiösen Schriften der Blausternengemeinschaft, einer Sekte, die auch heute noch aktiv ist. Freilich hielt man diese Geschichten allgemein für Humbug, da das Unlicht für lange Zeit nicht mehr gesichtet worden war – bis vor etwas mehr als sechshundert Jahren in den zentralen Regionen der Urstadt Kael erneut Fälle von Unlichtbildung bekannt wurden. Zuerst erkannte man gar nicht, dass es zwischen den heiligen Schriften und diesen mysteriösen, spiegelnden Pfützen im überschwärzten Kael eine Verbindung gab. Die Leute haben dann aber sehr schnell gemerkt, woher das Unlicht kam: Ab einem gewissen Grad der Schwärzung kommt es innerhalb eines biologischen Organismus zu einer Reaktion, die es nicht mehr zulässt, dass Körper und Geist sich von der Trübung erholen. Wenn man in diesem Zustand stirbt, kann es sein, dass das körperliche Gewebe zu Unlicht zerfällt. Ich habe das Zeug schon einige Male im Zentrum gesehen, und ich sage dir, es schaudert mich alleine beim Gedanken daran. Ich male mir dann immer aus, wie die Toten, die zu Unlicht zerfallen sind, mich aus dem Spiegel heraus beobachten. Du kannst dir das Unlicht wie einen flüssigen Spiegel vorstellen – vielleicht weißt du, wie Quecksilber aussieht? Hat gewisse Ähnlichkeiten.«

      »Ich … Ich habe schon davon gelesen«, murmelte Keli benommen, der es von Ankers Erläuterung etwas übel geworden war. Anker quetschte seinen hervorquellenden Bauch gegen das Geländer des Dachringes und legte etwas umständlich seine klobigen Hände darauf ab. Ein kräftiger, kühler Luftzug, dessen Geruch Keli an Hildenberge erinnerte, ließ Ankers dünne, weiße Haarbüschel im Winde tanzen. Die dunkle Wolkenfront aus dem Norden war merklich in ihre Richtung herangezogen.

      »Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass du und dein Bruder zufällig beide mit einer vierfingrigen Hand geboren wurdet, ist sehr gering. Auch, weil ihr keine offensichtlichen Verwandten zu haben scheint, bei denen das auch so ist. Jedenfalls besteht die Möglichkeit, dass ihr beide entfernt von Lailac abstammt und demzufolge dem Unlicht gegenüber immun seid.«

      Anker stieß sich vom Geländer ab und suchte Kelis Blick. Keli erwiderte ihn zaghaft.

      »Ich habe – eine Bitte an dich. Wärst du bereit – uns auf die Expedition nach Kael zu begleiten? Es wäre sicher aufschlussreich, zu sehen, wie sich das Unlicht auf dich und deinen Bruder auswirkt. Ihr könntet ja mal ein Haar eintauchen, oder so«, fügte er rasch hinzu, als ihm Kelis entsetztes Gesicht auffiel.

      »Ich war mit Loyd zweimal im Zentrum, und damals dachte ich natürlich nicht im Traum daran, ihn zu bitten, dem Zeug zu nahe zu treten. Aber jetzt, da einiges dafürspricht, wonach eine Immunität dem Unlicht gegenüber bestehen könnte, wäre es einen Versuch wert. Ich meine, nur, wenn du willst. Es wäre natürlich im Interesse der gesamten Akademie und sogar der Regierung, wenn sich herausstellen sollte, dass dein Bruder und du Unlicht anfassen könnt. Das wäre eine Sensation!«

      Keli sagte nichts. Sie war nachdenklich geworden. Konnte es sein, dass tatsächlich etwas an dieser Geschichte dran war? Und was würde geschehen, wenn sie, genauso wie jener Mikael damals, ihre Hand in das Unlicht stecken und dann Blut in alle Himmelsrichtungen spritzen würde. Dieser Gedanke drehte ihr den Magen um. Vielleicht hatte der Baum ja Recht und sie sollte lieber dem Licht und nicht dem Unlicht folgen.

      »Herr Ankerbelly«, begann Keli vorsichtig, »mir ist es vorgekommen, als hätte der Baum vorhin etwas – naja – geflüstert, oder so. Haben Sie das auch gehört?«

      »Wie, was? Du meinst, Shidare hat gesprochen? Nein. Was hat sie denn gesagt?«, fragte Anker überrascht.

      »Nein, ich meine – ich glaube, ich habe es mir nur eingebildet«, erwiderte Keli rasch. Anker blickte sie schweigend und mit undefinierbarer Miene an. »Es geschieht gerade etwas viel auf einmal. Ich weiß praktisch nichts über Kael und von Unlicht eigentlich nur das, was Sie mir eben erzählt haben. Interessieren würde mich Ihre Theorie ja schon, nur, es hört sich alles sehr gefährlich an.«

      Dann tauchte plötzlich das Bild ihrer Eltern vor ihrem geistigen Auge auf. Sie alle saßen in ihrer gemütlichen Wohnstube und lachten heiter am hölzernen Spieletisch, wo sie jeden Abend Familienspiele miteinander gespielt hatten. War das nun alles Vergangenheit? Die Ungewissheit über ihre Eltern machte alle Erinnerungen zu schweren Steinen in ihrem Herzen.

      »Meine Eltern … Ich weiß nicht, ob meine Eltern noch – da sind.« Kelis Stimme wurde unverständlicher. »Ich will nicht, dass sie – tot sind …«

      Ein Schub von Trauer überschüttete sie. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie aber sogleich mit dem Ärmel verdeckte.

      Anker, der nachdenklich in die Ferne gestarrt hatte, sah Keli erst jetzt an. »Keli«, sagte er einfühlsam, als er bemerkte, dass sie weinte. Anker trat näher an sie heran und rieb ihr den Nacken. »Ist ja schon gut. Hör mir bitte zu. Was ich dir nun erzählen werde, ist sehr wichtig! Das Schicksal aller Wesen im Laternenwald steht auf dem Spiel. Seit Jahrhunderten suchen wir vergeblich nach einer Lösung für die Unlichtplage. So viele Wesen sind der Armut und Überschwärzung schon erlegen. Ihr beide könntet die Einzigen sein, die imstande sind, das Unlicht aufzuhalten. Und wenn es stimmt, dass deine Eltern in das Sonnenloch gefallen sind, besteht die Chance, dass sie noch leben.«

      Keli blickte von ihren Ärmeln auf, mit denen sie sich das Gesicht abgewischt hatte.

      »Ich habe schon mal irgendwo gelesen, wie man mit verarbeitetem Unlicht in ein Sonnenloch hineinkommt, um etwas daraus zu bergen. Frag mich nicht wo, aber mir ist das definitiv mal zu Ohren gekommen.«

      »Ist – ist das wahr?«, fragte Keli stockend. Ihre unterdrückten Tränen waren in einen Schluckauf übergegangen.

      »Jo. Du kannst dem alten Anker vertrauen. Wenn es um die Lektüre geht, bin ich der Fachmann schlechthin. Ich könnte nach der Rückkehr aus Kael ein wenig recherchieren, wie das mit der Sonnenlochinfiltration genau funktioniert. Wenn es eine Möglichkeit gibt, deine Eltern zu retten, dann werde ich alles in meiner Macht stehende unternehmen, um ihnen zu helfen. Nun, wie sieht es aus; ist das ein Deal?«

      Keli dachte nach. Im Moment war es sowieso unmöglich, ins überschwemmte Gebiet unterhalb des Hildengebirges zu gelangen. Wenn sie in ein paar Tagen aus Kael zurück wären und dann mit Anker an der Seite eine Suchaktion starteten, würden die Chancen, ihre Eltern wieder zu sehen, deutlich höher ausfallen, als wenn sie jetzt allein und ohne Plan aufbrechen würde. Andererseits, die seltsame Begegnung mit Shidare eben hatte ihr zu denken gegeben. Sie fühlte tief in ihrem Inneren, dass sie sich deren Worte zu Herzen nehmen musste. Ob es vielleicht sogar Mikael oder Lailac persönlich gewesen war, der die Botschaft verfasst hatte? Vielleicht war sie ja so etwas wie die Auserwählte? Dieser Gedanke machte ihr Mut. Kelis eben erloschene Seelenkerze entzündete sich von neuem. Sie hatte einen Entschluss gefasst.

      »Herr Ankerbelly – ich meine, Anker.«

      Zusammengesunken saß Keli da. Mit vom Weinen geröteten Augen suchte sie seinen Blick. Anker erwiderte ihn respektvoll. »Ich bin einverstanden. Ich gehe mit dir und Loyd nach Kael«, drangen Kelis Worte von einem peinlich berührten Lächeln begleitet durch ihre verstopfte Nase.

      Anker strahlte sie an.

      »Mädel, fantastisch!«, ließ Anker mit schallender Stimme verlauten, während er hochgestimmt die geballte Faust hob. »Dann werde ich gleich morgen früh einen Diplomatenpass für dich organisieren, damit das ganze Team auch sicher über die Grenze kommt.«

      »Vielen Dank«, nuschelte Keli, die sich ihrer labilen Verfassung wegen etwas schämte. »Ähm, kann ich dich noch etwas über das Unlicht fragen?«, erkundigte sich Keli nach ein paar stillen Sekunden Bedenkzeit.

      »Klar. Es wird einiges geben, dass du dich fragen wirst. Nur raus damit, ich werde dir alles erklären«, offerierte Anker ihr gut gelaunt.

      »Nun ja. Vielleicht ist es eine dumme Frage, aber ich habe mich eben gefragt, weshalb nichts getan wird, um die Überschwärzung zu stoppen und es gar nicht erst zur Entstehung von Unlicht kommen zu lassen. Deine Erklärung vorhin hat sich so angehört, als wäre Unlicht nur das – das Produkt des Problems.«

      Anker