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Bookwire #7


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der begeistert mit den Händen fuchtelte. Jasmin war inzwischen dermaßen konsterniert, dass sie begann, am Flussufer entlangzulaufen, um auf Höhe ihrer Familienmitglieder zu bleiben. Wenn ihre Familie schon dahinschied, dann würde sie mit ihnen gehen. Sie erhöhte ihr Tempo, doch vergebens; sie rannte schneller und schneller, flog förmlich dahin, bis der Verlauf des Stroms jäh steil anstieg, als ob die Geistererscheinungen allesamt dem letzten Gericht im Himmel entgegensteuern würden.

      Eine laute, undefinierbare Stimme, die von allen Seiten zugleich zu kommen schien, verkündete: »SEI BEREIT.«

      Jasmin war schweißgebadet, ganz anders als noch vor einigen Augenblicken im Zwielicht des Geisterflusses. Sie setzte sich auf. Ihr Kopfkissen war nass vor Tränen und ihr blondes Haar völlig zerzaust. Hart schlug sie mit der Faust gegen das Kissen, um die Spannung in ihrem Inneren abzubauen.

      »Was für ein bescheuerter Traum«, murmelte sie dumpf in ihre zitternde Hand, mit der sie sich Schweiß und Tränen vom Gesicht wischte. Nach einem tiefen Atemzug machte sie die Lampe auf dem Nachttischchen an, die das kleine Schlafzimmer ausreichend beleuchtete. Sie war erst kürzlich nach Kobe gezogen, um ihren ersten Job anzutreten, und demensprechend war die Einzimmerwohnung auch noch nicht fertig eingerichtet. Eigentlich hatte Jasmin die meisten Umzugskartons noch nicht einmal ausgepackt.

      Überzeugt, nicht mehr einschlafen zu können, zog sie sich eine Jacke über, schob ihr Smartphone in die Hosentasche und griff nach dem Schlüsselbund auf dem Tisch. Sie musste an die frische Luft. Jasmin schloss die Eingangstür hinter sich, nahm den Lift ins Erdgeschoss und trat durch die automatisierte Schiebetür hinaus auf die leere Straße.

      Es war 2 Uhr morgens. Sie atmete begierig die kühle Nachtluft ein und begann raschen Schrittes, auf dem Bürgersteig entlang zu gehen. Es war zum ersten Mal seit drei Tagen nachts wieder einigermaßen dunkel, da gewaltige Gewitterwolken aufgezogen waren. An der ersten Kreuzung bog sie links ab. Nun waren die waldbewachsenen Gipfel des Rokko-Hügelzugs über den Dächern Kobes zu erkennen. Eine dünne Nebelschicht lag über ihnen, wobei das Licht der Stadt in einem orangen Farbton an den Schleiern hängen blieb.

      Jasmin ging oft in diesen Wäldern spazieren – wobei sie stundenlang über ihre Lebensentscheidungen nachdachte –, und genau da wollte sie jetzt hin.

      Obwohl es mitten in der Nacht war, ließen die Straßenlaternen und Werbetafeln die Verkehrsadern der japanischen Großstadt in buntem Farbtreiben erstrahlen. Japanische Städte waren generell sehr sicher und hell beleuchtet, und deshalb wagte sich Jasmin auch nachts allein hinaus. Ein paar angetrunkene Männer in Businessanzügen torkelten fröhlich schwatzend an ihr vorbei.

      Jasmin wollte in Ruhe über alles nachdenken. Was hatte der Traum bloß zu bedeuten? Oder war es einfach nur ein Albtraum gewesen? Vielleicht sollte sie ihre Mutter anrufen. Jasmin warf einen Blick auf ihr Smartphone. In der mitteleuropäischen Zeitzone war es noch immer früher Abend. Oder vielleicht wäre es besser, ihrem Freund Masayuki eine Nachricht zu schicken? Nein – morgen war Samstag und sie planten zusammen einen Ausflug auf den berühmten Berg Fuji. Ihn jetzt aus dem Schlaf zu scheuchen wäre taktlos. Sie würde ihm morgen alles in Ruhe erzählen, wenn sie sich im Shizuoka-Bahnhof in der Nähe des berühmtesten aller Vulkane Japans treffen würden.

      Der Weg verengte sich und begann leicht anzusteigen. Ein schwacher Nieselregen hinterließ seine feuchten Spuren auf Jasmins Wangen und kündigte das bevorstehende Unwetter an. Sie hielt inne und dachte für einen Moment ans Umkehren – doch dann erschien ihr wieder ihre Abschied nehmende Familie vor ihrem geistigen Auge, und dieser Anblick trieb sie weiter.

      »Nun sei bereit – bereit wofür?«, flüsterte Jasmin in nachdenklicher Zwiesprache.

      Ein durchdringendes Donnergrollen fegte in aufwallenden Schüben über das Bergmassiv vor ihr.

      Was sollte das bedeuten? Und wem hatte die Stimme gehört? Es hatte fast so geklungen, als wären die Worte von außerhalb des Traumes zu ihr hindurchgedrungen. Gedankenversunken erreichte Jasmin den Waldrand. Die Abstände zwischen den Laternen wurden immer grösser und der Nebel verschluckte unterdessen den größten Teil der trüben Lichtstrahlen zwischen ihnen. Trotz des Dunstvorhangs und der zunehmend beunruhigenden Düsternis ging Jasmin auf den steinernen Tunnel vor sich zu. Hier war sie schon mehrmals durchgekommen. Die Tunnelwände waren übersät mit Liebesbekenntnissen von Pärchen, die hier massenweise vorbeikamen, um die Aussicht auf den Panoramaplattformen weiter oben zu genießen.

      Doch dies kümmerte Jasmin jetzt nur wenig. Wollte Gott oder irgendein Geist ihr vielleicht etwas Bestimmtes mitteilen? War der Traum womöglich eine Art Vision? Vor einiger Zeit hatte sie mal einen Traum gehabt, in dem ganz am Ende ihr Name gerufen worden war. Daraufhin war sie abrupt aufgewacht. Viel mehr jedoch hatte jener Nachtmahr damals nicht bewirkt.

      Der Tunnel lag nun einige Schritte hinter ihr. Jasmin blickte sich um. Bisher war ihr entgangen, dass es hier oben auf den Waldstraßen mit fortschreitendem Anstieg immer weniger Straßenbeleuchtung gab.

      Nach kurzem Umsehen erkannte sie, wo sie sich befand. Der Weg vor ihr würde sie zu einer Aussichtsplattform hochführen. Rechterhand allerdings fiel ihr Blick auf eine schmale, geteerte Straße, die sich im Schein der fernen Weglampen nur undeutlich zu erkennen gab. Es hatte sich Laub auf der Einfahrt angesammelt, als wäre hier schon länger niemand mehr durchgekommen.

      Jasmin erinnerte sich, wie sie von viel weiter oben einmal einem steilen Waldpfad hinab gefolgt war, der sie durch das Dickicht auf diesen Weg hier hinuntergeführt hatte. Ihr fiel jäh wieder ein, wie sie damals auf ihrem Weg ein unheimliches, vergittertes Loch im Berg erspäht hatte. Wozu jener Stollen diente, hatte sie nie herausgefunden, aber er war riesig gewesen und mit einem dicken Metallgitter unzugänglich gemacht worden. Jasmin dachte schaudernd an jenen Moment zurück, als sie ihr Smartphone als Taschenlampe benutzt hatte, um durch die Gitterstäbe hindurch zu leuchten. Dahinter war ein Tunnelschacht gelegen, der tief in das Herzen des Berges hinein zu führen schien. Dazumal war sie mit einem flauen Gefühl nach Hause gegangen. Sie hatte sich seither oft gefragt, wofür der Tunnel gebaut worden war.

      Damals war es Mittag und hell gewesen; jetzt war es stockdunkel, neblig und der Regen gewann rasch an Stärke. Jasmin hatte keinen Schirm mitgenommen, und auf der Aussichtsplattform würde sie ohnehin nichts sehen können. Sie dachte erneut ans Umkehren, als rechts von ihr in der Düsternis, dort wo sie den Eingang jenes unheimlichen Bergwerks vermutete, ein bläulicher Lichtkegel aufflackerte.

      Jasmin erschrak so sehr, dass sie rücklings auf die klitschnasse Straße fiel und sich die Hände aufschürfte. Das Licht war nur für einen kurzen Augenblick zu sehen gewesen und bereits wieder erloschen. Es hat verdammt viel mit dem blauen Fluss in ihrem Traum gemein, schoss es ihr durch den Kopf.

      Sie richtete sich mühsam auf. Völlig durchnässt und von Angst erfüllt, war sie schon dabei, auf dem gleichen Weg zurück in die Stadt zu laufen. Doch dann kam ihr ein anderer Gedanke: Was, wenn dies ein Zeichen war? Was – wenn eine höhere Macht ihr den Weg weisen wollte?

      Ihr Kopf riet ihr, sich so rasch wie möglich aus dem Staub zu machen, aber die anschwellende, furchtgetriebene Neugier in ihrem Herzen hielt sie an Ort und Stelle zurück.

      Unterdessen hämmerten schwere Regentropfen auf ihren Kopf. Aus dem Wald brauste eine frische, nach Grün riechende Böe heran und zerrte an ihrer Windjacke. Jasmin holte tief Luft; sie hatte sich entschieden. Sie musste wissen, was es mit diesem Licht auf sich hatte.

      Geduckt und bemüht, möglichst kein Geräusch zu verursachen, bog sie in die dunkle Straße ein. Ihr Smartphone hielt sie fest umklammert, für den Fall, dass sie es brauchen würde. Der Wald um sie herum wurde dichter, wobei die letzte Straßenlaterne hinter ihr kaum noch Licht spendete. Nach etwa einer Minute hatte sie die Dunkelheit gänzlich verschluckt. Fast blind tappte Jasmin nun den vom nassen Laub glitschigen Weg entlang.

      Wie weit war es noch bis zum verbarrikadierten Tor? Vom Wind gehetzte Blätter raschelten unheimlich über den Teer. Nach einer weiteren Minute war sie gezwungen, sich der Taschenlampe am Smartphone zu bedienen, obwohl sie Angst hatte vor dem, was sie erblicken mochte. Mit zitterndem Finger fuhr sie über die Oberfläche des nassen Geräts. Der Lichtstrahl leuchtete auf und erhellte schlagartig die Umgebung