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Bookwire #7


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Tage zu verbringen.

      Am Bahnhof Shin-Kobe angekommen, wurde Jasmins gute Laune jedoch schon zum ersten Mal auf die Probe gestellt. Obwohl sonst überfüllt mit Leuten aus aller Welt, war der Bahnhof heute seltsam leer. Vereinzelt sah sie Personen in grünen und blauen Uniformen umhergehen, aber sie hatte keine Zeit, sich die Sache näher anzusehen. Vor den Schaltern standen keine Leute an, also schritt sie gleich zur ersten Theke und fragte nach einer Retourfahrkarte nach Shizuoka-City. Der Beamte musterte sie sogleich mit einer entschuldigenden Miene und ließ sich verbeugend vernehmen: »Es tut uns schrecklich leid, aber sämtliche Züge werden bis frühestens morgen Abend von der Regierung in Anspruch genommen und stehen in der Zwischenzeit der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung.«

      Jasmin sank das Herz in die Hose. Das konnte doch nicht wahr sein! Besetzt vom Staat – Hunderte von Schnellzügen, die jeden Tag fuhren? Jasmin konnte das weder glauben, noch akzeptieren und protestierte lauthals: »Wie kann denn jeder einzelne Zug restlos ausgebucht sein, wenn der ganze Bahnhof leer ist? Könnten Sie nicht bitte nochmal nachsehen, ob ein einziger Platz frei ist? Bitte!«, flehte sie in fließendem Japanisch. Der Beamte verbeugte sich nur noch tiefer und murmelte etwas, das sich wie endlose Entschuldigungen anhörte. Jasmin spürte eine glühende Wut in sich aufkochen. Dieses eine Wochenende ließ sie sich nicht vermasseln.

      »Jetzt hören Sie mir mal zu. Ich habe heute seit einem Monat mein erstes Date und muss unbedingt nach Shizuoka, damit ich mit meinem Freund auf den Fuji-san steigen kann. Wenn Sie jetzt nicht sofort nachsehen, ob es noch einen einzelnen Platz in irgendeinem Zug Richtung Tokio gibt, dann – dann spalte ich Ihre Theke entzwei!«

      Dem Beamten schienen die Augen herauszuquellen und sein Mund klaffte schräg offen. Er fasste sich allerdings nach einem schockerfüllten Augenblick wieder und begann wie ein Wahnsinniger, auf der Tastatur seines Computers herumzuhämmern. Nach gut zehn Sekunden kehrte derselbe Gesichtsausdruck noch einmal zurück ins Antlitz des Beamten, während er mit perplexem Blick seinen Bildschirm bestaunte. Dann stand er auf und verkündete, sich erneut übertrieben tief verneigend: »Eigentlich sind alle Züge von der Regierung bis auf Weiteres besetzt, aber Sie haben Glück. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber wie es scheint, ist ein einziger Sitzplatz im Ein-Uhr-Zug verfügbar.«

      Jasmins Herz kehrte augenblicklich an seinen beheimateten Platz zurück.

      »Den nehme ich«, entgegnete sie zufrieden mit sich selbst. Was ein winziger Protest in diesem Land nicht alles in Bewegung setzen kann, dachte sie vergnügt. Das sollten sich die jungen Japaner auch angewöhnen, grinste sie vor sich hin und dachte an Japans stagnierende sozialwirtschaftliche Lage. Sie ging durch die Ticketbarrieren und begab sich mit den Rolltreppen hinauf zu den Gleisen.

      Dort musste sie nicht lange warten, bis die Schnauze des schnellsten Expresszugs von Japan – des »Shinkansen« – angerollt kam. Jasmin hatte einen Fensterplatz abbekommen und freute sich, während der Fahrt die wald- und hügelreiche Aussicht auf die Kansai- und Chūbu-Gebiete genießen zu können. Die Tür des Abteils 6 öffnete sich und Jasmin machte Platz für aussteigende Passagiere – aber es trat niemand heraus. Dafür, dass alle Züge komplett ausgebucht waren, schienen aber beträchtlich wenige die kulinarische Weltstadt Kobe besuchen zu wollen. Und es war ihr auch erst jetzt aufgefallen, dass sich keine weiteren Personen auf dem Bahnsteig befanden.

      Etwas verwundert stieg sie durch die weißen, automatisierten Türflügel und begab sich in das Abteil, das auf ihrer Fahrkarte beschrieben war. Jasmin stockte der Atem. Alle Wagons waren gefüllt mit Beamten in grünen und blauen Militäranzügen. Das hatte sie nicht erwartet. Die Soldaten starrten sie mit großen Augen an, aber keiner sprach ein Wort. Die Atmosphäre war angespannt und Jasmin hatte den Eindruck, dass diese Leute nicht zum Spaß unterwegs waren. Sie eilte die Sitzreihen entlang, bis sie zu der Reihe kam, über deren Fensterluke ihre Platznummer notiert war. Der Mann, der neben ihrem Fensterplatz saß, sprang erschrocken auf und ließ sie hindurch. Sie setzte sich und verstaute ihren Rucksack unter ihren Füßen. Der Zug setzte sich in Bewegung und die Landschaft vor dem quadratischen Fenster änderte sich in Minuten von grellgrauer Stadt zu grellgrünen Feldern und Wäldern, wobei die hellen Strahlen, die noch immer in blendendem Weißgold vom Himmel herabschienen, die Farbwelt draußen monoton übermalten. Jasmin zog den eingebauten Rollladen herunter und beäugte den Mann, der neben ihr saß, verstohlen aus den Augenwinkeln. Dieser saß mit starrer Miene da und bohrte seinen stoischen Blick hartnäckig in die Sitzreihe vor sich. Der Getränke- und Snackwagen kam vorbei, doch niemand kaufte irgendwas. Jasmin, die heute noch nichts gegessen hatte und von einem Höllenhunger geplagt wurde, ergatterte sich ein Bento: eine japanische Lunchbox mit Reis und verschiedenen Fleisch- und Gemüsebeilagen. Sie verschlang ihren Brunch mit großen Bissen. Der Mann neben ihr saß noch immer wie erstarrt da. Sie fand das schon merkwürdig; diese toternste Stimmung der Soldaten und auch die Fahrzeugkarawane, die sie bei den Rokko-Bergen letzte Nacht gesehen hatte. Zwischen ihnen musste es irgendeine Verbindung geben. Sie war sich sicher, dass diese Leute nach Tokio fuhren, in die Hauptstadt Japans und zur Endstation dieses Zuges – oder handelte es sich womöglich um einen bevorstehenden Ausbruch des Vulkans Fuji? Sie zog ihr Smartphone aus der Tasche und suchte das Internet nach Neuigkeiten ab. Sie fand nur eine Meldung, dass der Bahnverkehr landesweit vorübergehend ausfiel und einen kleinen Bericht über die anhaltenden Sonnenflares, die angeblich dafür verantwortlich waren, dass es seit einer Woche abends nicht mehr richtig dunkel wurde.

      Jasmin schob den Rollladen einen Spaltbreit hoch und ließ ihren Blick mit zugekniffenen Augen über das Himmelszelt schweifen. Was da oben wohl vor sich geht?, fragte sie sich und gähnte herzhaft. Das üppige Bento hatte sie müde gemacht. Sie ließ nun verschlafen ihren Blick über die Berglandschaft schweifen, die sich vor dem Fenster des Zuges präsentierte. Japanische Berge waren grundsätzlich mit dichten Wäldern überzogen; darum mochte sie Jasmin auch so sehr. Die meisten Berggipfel in Europa waren ihrer Auffassung nach zu kahl und somit langweilig. Naja, in Japan gab es zwar auch Ausnahmen, wie zum Beispiel den berühmtesten aller Berge, den sie heute besteigen würde: der Vulkan Fuji. Aber sein kahles Haupt hatte er wohl auch dem Umstand zu verdanken, dass er zuletzt 1707 ausgebrochen war. Außerdem ragte er über 3700 Meter hoch über den Meeresspiegel auf, was die Waldgrenze weit überstieg. Jasmin überlegte, ob er vom Zugfenster aus wohl zu sehen sein würde. Ihre Augen huschten hin und zurück, an glühenden Reisfeldern und dichten Bambushainen vorbei und richteten sich dann wieder empor zum Himmelsdach, aus dem sich nach wie vor grässlich blendende Strahlen ergossen.

      Wenn man den Nachrichten Glauben schenken wollte, war dies das Werk der Sonnenflares. Jasmin allerdings war den wissenschaftlichen Aussagen gegenüber kritisch gestimmt. Sie war der Überzeugung, Sonnenflares könnten elektronische Geräte außer Gefecht setzen und wären schädlich für die Haut – aber den Himmel erhellen, das war ihr neu. Dazu kam, dass es ja nun auch während der Nachtstunden hell war, obwohl die Sonnenflares zur Nachtzeit gleich wie die Sonnenstrahlen hinter der Erdkugel versteckt sein müssten. An der Geschichte war eindeutig etwas faul.

      Rechts neben ihr gab es nun aber doch Bewegung. Ein etwas älter wirkender Mann in blauem Anzug und weinroter Kommandantenmütze auf dem kahl rasierten Schädel kam durch das Abteil geeilt. Er blieb vor dem Mann stehen, der neben Jasmin saß. Seine Augen schweiften nur flüchtig über Jasmins Profil, dann sagte er in scharfem Flüsterton: »Stabsoffizier Kanda, die Lage hat sich geändert. Wir steigen in Tokio in die Maboroshi-Line um. Im Untergrundsitz wartet Mr. Cadec mit der amerikanischen Delegation auf uns.« Er schielte nochmals kurz zu Jasmin herüber, als ob er prüfen wollte, ob sie etwas aufgeschnappt hatte. Doch wie so viele Japaner glaubte er offensichtlich, dass eine blonde Ausländerin der japanischen Sprache kaum mächtig sein konnte. Damit hatte er unrecht, doch das war Jasmin mittlerweile egal. Sie hatte es aufgegeben, den Japanern klar zu machen, dass ihre Sprache grammatikalisch gesehen eine der einfachsten der Welt war und jeder sie lernen konnte.

      »Den Rest wissen Sie. Erstatten Sie den Unteroffizieren unverzüglich Bericht«, fügte der Mann schließlich hinzu.

      »Jawohl, Herr Kommandant«, antwortete Stabsoffizier Kanda, und beide tauschten eine salutierende Geste aus. Der Kommandant drehte sich auf dem Absatz um und hastete zurück in das Abteil, aus dem er gekommen war. Stabsoffizier Kanda erhob sich und schritt in das gegenüberliegende Abteil.

      Jasmin