Naema Gabriel

SINUS


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leg meinen Arm um den leeren Beifahrer sitz und parke tuckernd aus. Strassenlaternen und Doppelhaushälften, Zebrastreifen und Kreuzungen rasen auf uns zu. Geschwindigkeit checken! Die Nadel sagt fuffzehn Kilometer pro Stunde. Komisch. Leas Hand hält mir ein Rechteck unter die Nase. Ich schiel hin, greif mir die Kassette, schieb sie in den Kassettenschlitz und lenk – ups! – schnell zurück zur Fahrbahnmitte. Die Boxen pumpen die Ente rhythmisch mit Bässen und Grossmaul-Gelaber voll. Im Rückspiegel hüpfen die Mädels zu House of Pain auf ihren Ärschen quer über die Rückbank und mit den Köpfen voll in die Dachplane rein. Die Federn quietschen und alles schwankt mit. I came to get down, I came to get down, so get out your seats and jump around! Hüpf, hüpf. Jump around! Quietsch, quietsch. Jump around! Hüpf, hüpf. Die Ampel da vorne schaltet auf rot. Ich denk: ich muss bremsen, ich denk: schöne Ampel. Alles ist in rotes Licht getaucht! Der Strich auf der Strasse: rosa, schön! Mit quietschenden Reifen kommen wir endlich zum Stehen. Die Vorderreifen der Ente gut einen Meter über dem Stoppstrich – BLITZ! – Hä? – „Lächeln!“ ruft Lea. Ich lächle vor mich hin. Schöne Ampel. Schönes Licht. Auf einmal: alles golden! Und schon: Alles grün! Schönes grünes... – „GRÜÜÜ ...“, macht Lea und rüttelt an meiner Lehne „...HÜÜÜN...!“ macht Hannah als zweite Stimme und hüpft rüttelnd weiter. So get out your seats and jump around! Hüpf, hüpf. Jump around!Quietsch, quietsch. Endlich tritt mein Fuss der Ente mit dem Pedal tief in ihre Eingeweide. Gang einlegen!, befehl ich der Hand. Der rechte Fuss tritt aufs Gas und – hui! – geht’s schon weiter mit uns, durch nächtliche Strassen, durch nächtliche Schwärze, durch nächtliches Licht.

      Weiss-hellblau-blau

      Das Buch sieht schon von aussen so medizinisch aus, wie eine Zahnpastatubenverpackung: weiss-hellblau-blau. Franka hat es, wie alle ihre Bücher, an einem Abend durchgelesen. Ich hab mir, wie bei jedem Buch, erst mal die Bilder angeguckt: Diagramme als Torten oder Wolkenkratzer. Dann hab ich Listen angeschaut, zum Beispiel diese:

      weit überhöhte Aktivität, oh ja! – check. unangemessen gehobene oder gereizte Stimmung, allerdings – check. geringes Schlafbedürfnis, welches Schlafbedürfnis? – check. weniger Hemmungen, leider – check. mehr Geldausgaben, aber hallo – check. ungewöhnliche Unternehmungen, ungewöhnlich ist gut – check. hektische Betriebsamkeit, yes! – check. Sprunghaftigkeit, jawoll – check. Unruhe, allerdings – check. rasende Gedanken und Assoziationen, korrekt – check. Grössenwahn, stimmt – check.

      Und so weiter. Ich bin echt vom Glauben abgefallen. Das Buch liest sich wie die Regieanweisungen zu genau dem Film, in dem meine Mutter ist. Bisher hab ich ihr geglaubt, wenn sie jedes Jahr wieder gerufen hat: ENDLICH BIN ICH WIEDER ICH SELBST! Aber jetzt frage ich mich: wenn all ihre Gefühle nach der Pfeife dieser Krankheit tanzen – wer ist eigentlich sie selbst? Wer ist sie minus die Krankheit? Ihre beiden Gesichter sind nicht Versionen von ihr selbst. Es sind die beiden Rollen in einem Drehbuch. Zwei Schauspieler, die abwechselnd in ihrem Körper wohnen und ihn benutzen, wie’s ihnen gerade passt. Diesmal hör ich sie wieder jubeln: endlich bin ich wieder ich selbst! Diesmal jubelt sie allein. Von meinem Fenster aus schau ich auf den Parkplatz. Ein Europcar-Peugeot hat unseren abgemeldeten Käfer zugeparkt. Meine Mutter kommt mit ihren Taschen und Tüten an, schliesst das Mietauto auf, räumt ihr ganzes Geraffel rein, rummst mit Schwung die Türen zu und kurvt los, ich möcht wissen, ob sie weiss wohin.

      Gestrandet

      Ein grün-weisser BMW hält auf dem Parkplatz neben unserem roten Käfer. Ein Polizist steigt aus. Er beugt sich hinterm Käfer runter. Ich mach mit dem Fahrrad ne Kurve zu ihm hin und brems den letzten Meter so Chuck-Sohle auf Asphalt. Er kratzt mit seinem Autoschlüssel an der Marke auf dem Nummernschild rum. Wir gucken uns an, wir gucken noch mal hin. Er legt den Kopf so schief – schön entwertet! „Die Nummernschilder hätten gleich nach dem Umzug ausgetauscht werden müssen“, erklärt er mir. Also vor Monaten schon. Er wartet auf ein Oh. Jetzt ist es „verboten!“, mit dem Auto rum zu fahren. Ihm zuliebe mach ich aha. Schönen Gruss an die Frau Mutter. Okay. Wiedersehn. Ich guck den Käfer an. Den juckt die zerkratzte Marke nicht. Er fährt eh nicht rum – verboten oder nicht. Sein Motor ist am Tag des Umzugs das letzte Mal gelaufen. Jetzt wohnt ein Marder drin. Im Aschenbecher schimmelt ein Apfelbutzen auf einem Bett aus Zigarettenkippen. Die Sitze sind gestrichen voll mit Zeug. Ich guck zur Wohnung hoch. Alle Rollläden sind auf Halbmast. Ich schliess die Wohnungstüre auf. Drinnen sieht’s auf den ersten Blick aus wie ein gefrorener Augenblick des Umzugstags. Auf den zweiten Blick wird jedem klar: mit diesem Zustand wird hier gelebt. Alte Trampelpfade führen durch Türme aus Kisten und Stapel aus Kisten-Inhalt. Stühle, Sessel, Sofas gibt’s, aber keinen freien Sitzplatz. Bis auf einen. Das ist Mamas Ohrensessel. Er zeigt zum Fernseher. Eine Kaffeetasse balanciert auf dem Zeitschriften-Berg daneben, der Aschenbecher qualmt auf der Armlehne. Sie hat seit Wochen die Wohnung nur verlassen, wenn’s nicht anders ging. Die Idee mit dem Umzug ist vor einem Jahr geboren und hat sie begleitet bis zum Höhepunkt der Manie. Mit der letzten Kraft der Welle sind wir zwischen unseren Möbeln und Kisten in der neuen Wohnung gestrandet. Dann hat etwas Unsichtbares Mamas Höhenflug genommen und umgekrempelt wie einen Handschuh und alles ins Gegenteil verkehrt, hat sie über Nacht verwandelt. Nicht in etwas In-sich-Gekehrtes, sondern in etwas Gegen-sich-Gekehrtes. In etwas Unterirdisches, mit nur einem Atemloch zur Oberfläche.

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