andere eins wie das Schoßhündchen Fidelka. Ich habe eins wie das Schoßhündchen Fidelka. Ich habe den Mut verloren! Wie könnte ich nach solchen Eskapaden zu einem Essen ins Kloster gehen? Ich schäme mich; ich kann nicht, entschuldigen Sie mich!«
›Der Teufel mag sich in dem auskennen! Wenn er mich nun betrügt?‹ dachte Miussow, blieb nachdenklich stehen und sah argwöhnisch zu, wie der Possenreißer sich entfernte. Dieser drehte sich noch einmal um, und als er bemerkte, daß Pjotr Alexandrowitsch ihm nachsah, warf er ihm eine Kußhand zu.
»Und Sie? Gehen Sie auch zum Abt?« fragte Miussow schroff Iwan Fjodorowitsch.
»Warum nicht? Ich bin ohnehin schon gestern vom Abt besonders eingeladen worden.«
»Leider fühle ich mich tatsächlich fast gezwungen, dieses verdammte Diner mitzumachen«, fuhr Miussow mit derselben erbitterten Gereiztheit fort, ohne sich um den zuhörenden Mönch zu kümmern. »Wir müssen uns wenigstens entschuldigen wegen der vorgefallenen Dinge und erklären, daß wir nicht schuld waren ... Wie denken Sie darüber?«
»Ja, wir müssen allerdings erklären, daß uns keine Schuld trifft. Außerdem ist mein Vater nicht dabei«, bemerkte Iwan Fjodorowitsch.
»Das fehlte noch, daß Ihr Vater dabei wäre! Dieses verdammte Diner!«
Dennoch gingen alle hin. Der Mönch hörte schweigend zu. Au dem Weg durch das Wäldchen ließ er die Bemerkung fallen, der Vater Abt warte schon lange, sie kämen über eine halbe Stunde zu spät. Er erhielt jedoch keine Antwort. Miussow blickte voll Haß auf Iwan Fjodorowitsch.
›Da geht er nun zum Essen, als wäre nicht das geringste geschehen!‹ dachte er. ›Eine eherne Stirn und ein Karamasowsches Gewissen!‹
1 Karl Moor: Gestalt aus Schillers »Räubern«
7. Ein Seminarist und Karrierist
Aljoscha führte den Starez ins Schlafgemach und ließ ihn sich aufs Bett setzen. Das Schlafzimmer war sehr klein und besaß nur die notwendigsten Möbel; auf dem schmalen Eisenbett lag statt einer Matratze nur eine Filzdecke. In der Ecke, bei den Ikonen, stand ein Lesepult mit einem Kreuz und einem Evangelienbuch darauf. Der Starez ließ sich kraftlos aufs Bett sinken, seine Augen glänzten, er atmete nur mühsam. Als er sich gesetzt hatte, schaute er Aljoscha lange und nachdenklich an.
»Geh nur, mein Lieber, geh nur. Mir genügt auch Porfiri. Du beeile dich! Du wirst dort benötigt. Geh zum Vater Abt und warte beim Mittagsmahl auf!«
»Erlauben Sie mir hierzubleiben!« bat Aljoscha.
»Du wirst dort nötiger gebraucht. Dort ist kein Friede. Du wirst dort aufwarten und nützlich sein. Wenn sich die bösen Geister erheben, so sprich ein Gebet! Und wisse, lieber Sohn ...« So nannte ihn der Starez gern. »Auch künftig ist hier nicht dein Platz. Vergiß das nicht, Jüngling! Sobald mich Gott gewürdigt haben wird, in die Ewigkeit hinüberzuwandeln, geh fort aus dem Kloster! Ganz fort!«
Aljoscha zuckte zusammen.
»Was hast du? Vorläufig ist dein Platz nicht hier. Ich segne dich für einen großen Dienst in der Welt. Du wirst noch viel wandern müssen. Auch heiraten wirst du müssen, das wird deine Pflicht sein. Viel wirst du ertragen müssen, bis du von neuem hier anlangst. Und viel zu tun wirst du haben. Aber ich zweifle nicht an dir, und darum sende ich dich aus. Christus sei mit dir! Bewahre Ihn, und Er wird dich bewahren. Du wirst großes Leid erfahren und wirst in diesem Leid glücklich sein. Höre mein Vermächtnis: Such das Glück im Leid! Arbeite, arbeite unermüdlich! Bewahre diese meine Worte in deinem Gedächtnis! Zwar werde ich auch noch weiter mit dir reden, doch sind bereits meine Tage, ja sogar meine Stunden gezählt.«
Auf Aljoschas Gesicht zeigte sich wieder eine starke seelische Erregung. Seine Mundwinkel zuckten.
»Was hast du denn wieder?« fragte der Starez leise lächelnd. »Mögen die Weltlichen ihre Verstorbenen mit Tränen begleiten, wir hier freuen uns, wenn ein Vater von uns geht. Wir freuen uns und beten für ihn. So verlaß mich denn! Ich muß beten. Geh hin und beeile dich. Bleib deinen Brüdern nahe! Nicht einem, sondern allen beiden!«
Der Starez erhob die Hand zum Segen. Eine Entgegnung war unmöglich, obgleich Aljoscha nur zu gern geblieben wäre. Es drängte ihn auch zu fragen – und die Frage sprang ihm fast von der Zunge: Was hatte jene tiefe Verbeugung vor Dmitri zu bedeuten? Er wagte aber doch nicht zu fragen. Er wußte, der Starez würde es ihm auch erklären, wenn es möglich wäre. Es war also nicht sein Wille. Die Verbeugung hatte jedenfalls gewaltigen Eindruck auf Aljoscha gemacht; er glaubte fest, in ihr liege ein geheimer Sinn. Ein geheimer, vielleicht aber auch ein schrecklicher Sinn. Als er die Einsiedelei verließ, um rechtzeitig zum Mittagessen im Kloster zu sein – natürlich nur, um bei Tisch aufzuwarten –, zog sich ihm plötzlich das Herz zusammen, und er blieb stehen. Er glaubte erneut die Worte der Starez zu hören, der seinen nahen Tod verkündete. Was der Starez vorhersagte, und noch dazu mit solcher Bestimmtheit, das mußte unbedingt eintreten; daran glaubte Aljoscha fest. Was sollte aus ihm werden, wenn er allein blieb, den Starez nicht mehr sah, nicht mehr hörte? Wohin sollte er gehen? Der Starez hatte ihm befohlen, nicht zu weinen, das Kloster zu verlassen, o Gott! Seit langem schon hatte Aljoscha nicht solches Leid erfahren. Er lief so schnell wie möglich durch das Wäldchen, das die Einsiedelei vom Kloster trennte, und da er die niederdrückenden Gedanken nicht ertragen konnte, schaute er auf zu den alten Fichten an beiden Seiten des Waldweges. Der Weg war nicht lang, etwa fünfhundert Schritt, und es war um diese Tageszeit kaum anzunehmen, daß man hier jemandem begegnen würde. Dennoch erblickte er plötzlich an der ersten Wegbiegung Rakitin, der auf jemand wartete.
»Wartest du etwa auf mich?« fragte Aljoscha, als er herangekommen war.
»Allerdings«, erwiderte Rakitin lächelnd. »Du eilst zum Vater Abt. Ich weiß, bei dem ist heute Diner. Seit er den Bischof und den General Pachatow bewirtete, erinnerst du dich, hat es so ein Diner nicht mehr gegeben. Ich bin nicht dabei, aber du kannst ja hingehen und die Soßen reichen! Eins aber sag mir, Aljoscha: Was bedeutete das vorhin – oder war es ein Traum? Das war's, wonach ich dich fragen wollte.«
»Was war ein Traum?«
»Nun, jene tiefe Verbeugung vor deinem Bruder Dmitri. Er bumste sogar mit der Stirn auf die Diele!«
»Sprichst du von Vater Sossima?«
»Jawohl, von Vater Sossima.«
»Was hat er mit der Stirn getan?«
»Ich habe mich etwas respektlos ausgedrückt. Trotzdem – was hat diese Verbeugung zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht, Mischa!«
»Ich wußte doch, er würde es dir nicht erklären. Etwas Kluges steckt nicht dahinter. Es scheinen immer die gleichen heiligen Dummheiten zu sein. Aber der Hokuspokus war Absicht. Jetzt werden alle Frömmler in der Stadt davon reden und es im ganzen Gouvernement herumtragen: Was hat diese Verbeugung zu bedeuten? Nach meiner Ansicht besitzt der Alte wirklich eine prophetische Gabe. Er wittert ein Verbrechen. Es stinkt bei euch!«
»Was für ein Verbrechen?«
Rakitin hatte offenbar Lust, mehr zu sagen.
»In eurer Familie wird es geschehen, dieses Verbrechen. Zwischen deinen Brüdern und deinem reichen Vater. Und deshalb hat Vater Sossima für jeden künftigen Fall mit der Stirn auf die Diele gebumst. Mag sich später ereignen, was da will – man wird sagen: Der heilige Starez hat es vorhergesagt, hat es prophezeit! Im Grunde – was ist das schon für eine Prophezeiung, wenn er mit der Stirn auf die Diele bumst? Aber man wird es für eine symbolische, allegorische Handlung nehmen, der Teufel mag wissen, wofür! Man wird es ausposaunen und im Gedächtnis behalten. Er hat das Verbrechen geahnt und den Verbrecher bezeichnet, wird es heißen. Die religiösen Irren machen es immer so: Sie segnen die Schenke und bewerfen das Gotteshaus mit Steinen. Und ebenso macht es dein Starez: Den Gerechten vertreibt er mit dem Stock, und vor dem Mörder verbeugt er sich.«
»Von welchem Verbrechen sprichst du? Von welchem Mörder? Was meinst du eigentlich?« Aljoscha stand wie angewurzelt da, und