Wie haltet ihr die Fasten ein?«
»Unsere Speisenordnung, entsprechend der alten Einsiedlerregel, ist folgende. In den Großen Fasten gibt es montags, mittwochs und freitags weder Mittag- noch Abendessen. Dienstags und donnerstags bekommt die Brüderschaft Weißbrot, Honigtrunk, Brombeeren oder Salzkohl und Haferbrei. Sonnabends Weißkohlsuppe, Nudeln aus Erbsenmehl, Grütze mit Hanfsaft, alles mit Öl. Sonntags gibt es zur Kohlsuppe trockenen Fisch und Grütze. In der Karwoche vom Montag bis Sonnabendabend, sechs Tage lang, Brot und Wasser, nur ungekochte Pflanzenkost, und auch das nur enthaltsam; wenn möglich, sollte man überhaupt nicht alle Tage Nahrung zu sich nehmen. Am Karfreitag wird nichts gegessen, ebenso am folgenden Sonnabend bis zur dritten Stunde, dann genießen wir etwas Brot mit Wasser und trinken eine Tasse Wein. Am Gründonnerstag essen wir Eingemachtes ohne Öl und trinken dazu bisweilen ein wenig Wein; denn laut Konzil zu Laodicea1 über den Gründonnerstag ziemt es sich nicht, in den Großen Fasten am Donnerstag der letzten Woche Dispens zu erteilen und so die ganze Fastenzeit zu entehren. So wird es bei uns gehalten. Aber was ist das im Vergleich mit Ihnen, großer Vater«, fügte der Mönch, schon etwas dreister geworden, hinzu. »Denn Sie leben das ganze Jahr, sogar am heiligen Osterfest, von Brot und Wasser, und die Brotmenge, die wir in zwei Tagen verzehren, reicht Ihnen für die ganze Woche. Wahrhaft bewundernswert, diese Enthaltsamkeit.«
»Und die Pfifferlinge?« fragte plötzlich Vater Ferapont.
»Welche Pfifferlinge?« fragte der Mönch erstaunt zurück.
»Ich werde von ihrem Brot abgehen, ich brauche überhaupt kein Brot. Ich werde einfach in den Wald gehen und von Pfifferlingen und Beeren leben. Aber die hier gehen nicht ab von ihrem Brot, sie sind dem Teufel verfallen. Heutzutage sagen die Ungläubigen, so zu fasten habe keinen Sinn. Hochmütig und heidnisch ist dieses Urteil!«
»Ach ja, das ist wahr«, sagte der Mönch seufzend.
»Hast du die Teufel bei ihnen gesehen?« fragte Vater Ferapont.
»Bei wem meinen Sie?« erkundigte sich schüchtern der Mönch.
»Ich war im vorigen Jahr am Pfingstsonntag beim Abt und bin seitdem nicht wieder da gewesen. Dem einen saß ein Teufel an der Brust und versteckte sich unter der Kutte, daß nur die Hörner herausguckten; bei einem zweiten sah einer zur Tasche heraus, seine Augen gingen schnell hin und her, weil er mich fürchtete; bei einem dritten saß einer im Bauch, in dem unsauberen Wanst, bei einem vierten gar hatte sich ein Teufel am Hals festgeklammert, er trug den Teufel und sah ihn nicht.«
»Und Sie ... Sie haben die Teufel gesehen?« fragte der Mönch.
»Ich sage dir ja, daß ich sie gesehen habe, ganz genau habe ich sie gesehen. Als ich vom Abt weggehen wollte, sah ich, wie sich einer hinter der Tür versteckte, ein kräftiger, anderthalb Eilen großer, mit einem dicken und langen schwarzbraunen Schwanz, und mit dem Ende dieses Schwanzes war er in die Spalte der Tür geraten. Ich aber, nicht dumm, schlug plötzlich die Tür zu und klemmte seinen Schwanz ein. Hei, wie er winselte, wie er sich wand! Ich machte dreimal das Zeichen des Kreuzes über ihn, und er verreckte wie eine zerdrückte Spinne. Jetzt ist er jedenfalls da in der Ecke verwest und stinkt, aber die sehen nichts und riechen nichts. Seit einem Jahr gehe ich nicht mehr hin. Nur dir, einem Fremden, erzähle ich es.«
»Furchtbar sind Ihre Worte! Aber wie steht es, großer gerechter Vater«, fragte der Mönch, immer mutiger werdend, »mit
dem ruhmvollen Gerücht über Sie, das sogar in ferne Gegenden gedrungen ist. Sie ständen mit dem Heiligen Geiste in
ständiger Verbindung?«
»Er kommt manchmal herabgeflogen.«
»Wie denn? In welcher Gestalt?«
»Als Vogel.«
»Der Heilige Geist in Gestalt einer Taube?«
»Mal der Heilige Geist, mal der Heiliggeist. Der Heiliggeist ist etwas anderes, der kommt auch in anderer Vogelgestalt, manchmal als Schwalbe, manchmal als Stieglitz und manchmal als Meise.«
»Wie unterscheiden Sie ihn denn von einer Meise?«
»Er spricht.«
»Wie denn, in welcher Sprache?«
»In menschlicher.«
»Was sagt er denn zu Ihnen?«
»Gerade heute verkündete er mir, ein Dummkopf würde mich besuchen und alberne Fragen stellen. Sehr viel, Mönch, verlangst du zu wissen.«
»Furchtbar sind Ihre Worte, gerechtester, heiligster Vater!« sagte der Mönch, den Kopf hin und her wiegend. In seinen ängstlichen kleinen Augen war auch etwas Mißtrauen zu bemerken.
»Siehst du diesen Baum?« fragte Vater Ferapont nach einer Weile.
»Ja, ich sehe ihn, gerechtester Vater.«
»Du meinst, er ist eine Ulme? Nach meiner Meinung ist er etwas anderes.«
»Was denn?« fragte der Mönch, nachdem er eine Weile vergeblich auf eine Erläuterung gewartet hatte.
»Manchmal des Nachts ... Siehst du diese beiden Äste? Des Nachts streckt dort Christus verlangend seine Arme nach mir aus, ich sehe es deutlich und zittere. Furchtbar, oh, furchtbar!«
»Was ist daran so furchtbar, wenn es Christus ist?«
»Er wird mich fassen und hinauftragen.«
»Lebendig?«
»Im Geist und in der Kraft des Elias, hast du davon noch nichts gehört? Er wird mich umarmen und davontragen ...«
Nach diesem Gespräch war der Mönch aus Obdorsk zutiefst verwundert, doch stand er innerlich eher auf seiten des Vaters Ferapont als auf seiten des Vaters Sossima, als er in die Zelle zurückkehrte, die man ihm bei einem der Brüder zugewiesen hatte. Er war vor allem für das Fasten, und deshalb war es für ihn nicht erstaunlich, wenn ein großer Faster wie Vater Ferapont »Wunderbares erschaute«. Seine Worte schienen zwar etwas unverständlich, aber Gott mußte ja wissen, was für ein Sinn darin verborgen lag; bei den um Christi willen Törichten kamen noch ganz andere Worte und Taten vor. An den eingeklemmten Teufelsschwanz wollte er nicht nur im übertragenen, sondern im buchstäblichen Sinne von Herzen gern und bereitwillig glauben. Außerdem hatte er schon früher ein starkes Vorurteil gegen das Starzentum gehabt, das er bis dahin nur vom Hörensagen kannte und auf das Urteil anderer hin für eine schädliche Neuerung hielt. Während seines eintägigen Aufenthaltes im Kloster hatte er auch bereits das heimliche Murren einiger leichtsinniger Brüder bemerkt, die mit dem Starzentum unzufrieden waren. Zudem war er von Natur sehr beweglich und hatte für alles mögliche Interesse. Die große Nachricht von dem neuen »Wunder« des Starez Sossima versetzte ihn deshalb
außerordentlich in Erstaunen. Aljoscha erinnerte sich später, unter den Mönchen, die sich um die Zelle des Starez drängten und zu ihm wollten, war häufig die eifrige, auf alles horchende und nach allem fragende Gestalt des Gastes aus Obdorsk aufgetaucht. Doch hatte er ihn damals wenig beachtet, weil ihn ganz andere Dinge beschäftigten.
Der Starez Sossima, der sich wegen starker Müdigkeit wieder ins Bett gelegt hatte, erinnerte sich auf einmal Aljoschas und wollte ihn sprechen, obwohl ihm schon die Augen zufielen. Als Aljoscha zu ihm kam, traf er beim Starez nur Vater Paissi, den Priestermönch Vater Jossif und den Novizen Porfiri. Der Starez schlug die Augen auf, blickte Aljoscha lange an und fragte plötzlich: »Erwarten dich die Deinigen, lieber Sohn?«
Aljoscha stammelte etwas.
»Bedürfen sie deiner nicht? Hast du gestern jemand versprochen, heute zu ihm zu kommen?«
»Ja, ich habe es versprochen ... dem Vater ... den Brüdern ... und anderen.«
»Siehst du, so geh unter allen Umständen zu ihnen! Sei nicht traurig! Wisse, daß ich nicht sterben werde, bevor ich nicht in deiner Gegenwart mein letztes Wort gesagt habe, und zwar zu dir, dir will ich es als Vermächtnis hinterlassen. Dir, lieber Sohn, weil du mich liebst. Jetzt aber geh zu denen, die dich erwarten!«
Aljoscha gehorchte, ohne zu zögern, allerdings