Dieter Krampe

GEOCACHING 2.0 - Der neue Freizeitpark in Oberstdorf


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Gruber hat atemlos zugehört. Jetzt legt er das Handy auf den Tisch.

      „Wer war´s denn“, fragt Rosemarie eher beiläufig, da sie in Gedanken wieder bei der Lösung ihrer Probleme angekommen ist.

      „Weiß ich nicht. Irgend so ein Blödmann, der mich aufziehen wollte.“

      Michael steht auf. „Ich bin müde, Rosi. Ich verschwinde nach oben.“ Rosemarie antwortet nicht, nickt nur. Michael steigt die Treppe zu ihrer Privatwohnung hinauf, die nicht vom Brand in Mitleidenschaft gezogen ist.

      Auf dem Flur klopft er an der Tür zum Zimmer seines 24-jährigen Sohnes.

      „Bist du noch wach, Max?“

      Kapitel 15 - Illersprung 14.02., 22:00

      Die drei Quellflüsse Trettach, Stillach und Breitach vereinigen sich zwei Kilometer nördlich vom Oberstdorfer Zentrum zur Iller, die dann nach 147 km bei Ulm in die Donau mündet. Direkt neben dem Zusammenfluss steht die Skulptur „Illersprung“, auf der drei nackte Frauen ihre Arme Richtung Fischen recken. Der Oberstdorfer Künstler Walter Kalot hatte dieses Kunstwerk geschaffen. Da es dem Gemeinderat zunächst zu freizügig war, wurde die Skulptur verschämt in einem Park aufgestellt, bis sie im Jahr 2005 an den wahren Illersprung umziehen durfte.

      Obwohl fast Vollmond herrscht, verdunkeln schnell ziehende Wolken immer wieder den Wanderweg zwischen Oberstdorf und Ruby. Ein eisiger Wind pfeift durch die Waldschneise. Es beginnt zu schneien.

      Aus Richtung Oberstdorf nähert sich vom Campingplatz „Ruby-Camp“ ein schwaches Licht. Der Strahl einer einsamen Lampe wandert hin und her, kommt aber der Kurve am Illersprung schnell näher. Nein, es ist ein Radfahrer, dessen Fahrradlampe die Lichtspuren in die Luft zaubert. An der Skulptur springt der Fahrer sportlich von seinem weißen „Giant“-Rennrad, schiebt es zur Skulptur und lehnt es dort an.

      Der Mann schnauft ungewöhnlich stark; er scheint so schnell hierher gekommen zu sein, wie er nur konnte. Jetzt dreht er sich langsam um. Doch es ist niemand zu sehen, nur sein eigenes trübes Schattenbild hebt sich etwas auf der leichten Schneeschicht ab. Daher holt er nun seine kleine Taschenlampe aus der Anoraktasche und klettert hinter das grün gestrichene Gitter aus Stahlrohren. Tatsächlich hängt hier hinten eine Plastiktüte der Firma „Netto Marken-Discount“.

      Der Radler greift in die Tüte und zieht eine Videokassette heraus, die in Folie eingeschweißt ist. Er steckt sie schnell in seine Adidas-Sporttasche, die er auf dem Rücken trägt. Nun lugt er zwischen den Stangen des Geländers in beide Richtungen des Waldweges. Da sich kein Überbringer des Päckchens zeigt, überlegt er kurz, ob er das Kuvert, das noch in der Tasche liegt, nicht wieder mitnehmen soll. Dann nimmt er den Brief doch heraus und steckt ihn wie gewünscht in die Plastiktüte.

      Bei der Rückkehr auf den Weg rutscht er in der Matsche aus und knallt mit dem Kopf an die oberste der Frauenfiguren, deren Haare sich in seine Stirn schneiden, so dass Blut in seine Augen spritzt. Der Mann kneift rasch die Augen zu, schnellt die Arme hoch, um das Blut von der Stirn zu wischen. In diesem Augenblick bohrt sich ein schmaler, 9 mm dicker, 40 cm langer Armbrustbolzen aus Aluminium mit leuchtend roter und gelber Kunststoffbefiederung mitten in sein Herz.

      Der Getroffene macht einen Schritt zurück und stürzt mit weit geöffneten, von Panik erfüllten Augen mit immer noch erhobenen Händen hinter die Skulptur. Es sieht so aus, als wenn er um Gnade flehen würde, um dann rücklings die Böschung zur Iller hinunterzurutschen.

      Kapitel 16 - Bielefeld, Sparrenstraße 15.02., 08:30

      Kerstin Schibulsky nimmt den Telefonhörer ab. „Schibulsky?“ Ihre Woche im Kinderheim war extrem anstrengend gewesen. Dazu dieses ständige Betüddeln ihres Mannes. Zweimal am Tag muss sie jetzt die MRSA-Wunde Roberts penibel genau behandeln und verbinden, weil sich ihr Göttergatte eigenmächtig und selbstherrlich selbst aus dem Evangelischen Krankenhaus entlassen hat. Die Aufgabe wächst ihr langsam über den Kopf.

      „Hallo Oma, ich bin´s, Britta. Wie geht es euch?“

      „Den Umständen entsprechend, Kindchen.“

      „Du klingst aber ziemlich gestresst, Oma.“

      „Ja, ja, man ist schließlich nicht mehr die Jüngste.“

      „Dann rede doch Opa endlich zu, dass er hierher nach München kommt. Mit der Therapie bei Dr. Rolf geht alles klar. Gregors Tante hat ein gutes Wort für mich bei ihm eingelegt. Also kann Opa schon am Montag kommen.“

      „Vielleicht hast du Recht, Britta. Ich kann hier leider vorerst nicht weg, im Heim fehlen einige Erzieher.“

      „Dann gib mir doch mal den Opa!“

      „Der ist noch unterwegs, Brötchen holen. Aber er kommt bestimmt gleich zurück. Ich verspreche dir, ich werde ihn wie immer schon davon überzeugen, dass er zu dir nach München kommt.“

      „Okay, Oma, ich muss dann mal los. Meine nächste Vorlesung wartet schon.“

      „Mach´s gut, meine Kleine. Und ich werde mit Opa Robert reden, verlass dich darauf.“

      Kerstin hat den Telefonhörer gerade auf die Gabel gelegt, da hört sie das Knarren der Haustür. Robert stolziert mit der Brötchentüte stolz in die Küche. Kerstin folgt ihm. Sie setzen sich an den gedeckten Tisch.

      „Britta hat schon wieder angerufen. Sie sagt, du kannst ab Montag in der Privatklinik aufgenommen werden.“

      „Ach, Kerstin, fängst du schon wieder damit an?“

      Kerstin nimmt Robert rechte Hand in ihre. „Natürlich, ich werde dich immer weiter damit piesacken. Ich bin das ewige Verbinden nämlich genau so leid wie du.“

      „Wenn du mich loswerden willst, dann fahre ich lieber nach Oberstdorf und besuche dort Frederik im Sanatorium.“

      „Du weißt, dass Frederik dort bestens versorgt wird. Und mach mir nicht schon wieder Vorwürfe, dass ich ihn nicht besuche. Bei uns im Heim ist unheimlich was los. Ich kann da jetzt wirklich nicht weg. Außerdem ist Frederik von morgens bis abends mit der REHA beschäftigt.“

      „Ich weiß das. Aber trotzdem glaube ich, dass wir ihm eine große Stütze sein können.“

      „In ein paar Wochen vielleicht. Lass uns zu Ostern runter fahren. Kümmere du dich erst mal darum, dass du ihn nicht noch zusätzlich ansteckst!“

      Kapitel 17 - Illersprung 15.02., 09:20

      Dorothea Schneider ist die amtierende Vize-Europameisterin der Mountain Biker. In diesem Jahr möchte sie einen ähnlichen Erfolg bei der EM in St. Wendel im Saarland erzielen. Wegen der Mehrbelastung durch ihre Aufgaben als Sozialarbeiterin und Coach der Jugendlichen der katholischen Gemeinde in Oberstdorf, besonders aber als Einarbeiterin des neuen polnischen Kaplans und den Eskapaden ihres Freundes Dominik, dem unterschwellig Brandstiftung vorgeworfen wird, liegt sie einiges hinter ihrem Trainingsplan zurück.

      An diesem Samstagmorgen liegt das ganze Allgäu wieder unter einer leichten Schneedecke. Nebelschwaden wabern durchs Tal. Dorothea hasst es eigentlich, sich bei diesen Bedingungen auf ihr hellblaues „MTB Nine 6“ der Marke „Felt“ mit den 29 Zoll Rädern zu schwingen.

      Zum Konditionstraining gehört heute Morgen eine kleine Rundfahrt, vor allem auf Waldwegen und Nebenstraßen, Nach einer ordentlichen Portion Spaghetti Bolognese ist sie um kurz vor acht losgefahren. Über Wasach, Tiefenbach, Obermaiselstein, Bolsterlang, Kierwang, Ofterschwang, Schweineberg, Sigishofen hat sie in Sonthofen die Iller überquert. Auf der östlichen Seite ging es nach einer kurzen Pause und einem Vitamindrink wieder Richtung Süden. Um 9:49 Uhr erreichte sie über Margarethen, Beilenberg, Altstädten, Hinang, Schöllang und Rubi den Illerweg. Sie lässt die große Illerbrücke, die für Wanderer nach Langenwang hinüberführt, rechts liegen, und nimmt die letzten Kilometer bis Jauchen in Angriff. Kurz vor der Linkskurve am Illersprung fällt ihr ein weißes Rennrad auf, das aufrecht auf seinem Sattel stehend, also verkehrt herum, aus der Gischt der Trettach herauslugt.

      Dorothea