die Spatzen so einiges vom Dach.“
„Bei mir pfeifen sie dann aber nur Schwachsinn!“ Michael möchte das Gespräch augenblicklich beenden. Ihm ist jetzt ganz klar geworden, der Fiskina-Wirt will ihn über den Tisch ziehen, egal wie er sich auch verhält. Dabei hatte er noch vor wenigen Minuten gedacht, er könne sich im Guten mit ihm einigen. Jetzt dreht er sich demonstrativ um und wendet sich zur Tür. „Und du kriegst von mir bestimmt gar nichts!“
Vasiljevs haut plötzlich mit der rechten Faust auf den Tisch, das friert jede Bewegung des Oberstdorfers abrupt ein. „Willst du dich und deine Familie wirklich unglücklich machen? Die abgebrannte „Schnatossi-Bar“ muss dir doch eine Lehre sein.“
Gruber dreht sich langsam um. „Was willst du damit andeuten? Der Brand der Pistenbar ist durch einen Gasheizer entstanden, den einer meiner Barleute unbeaufsichtigt gelassen hat.“
„Du glaubst wirklich der Feuerwehr? Diese Ursache war für sie am einfachsten. Aber ich weiß, dass da jemand von außen seine Hände im Spiel hatte. Und wer weiß, ob der nicht noch einmal bei dir vorbeischaut?“
Ohne Erwiderung ergreift Gruber die Türklinke und eilt hinaus.
Kapitel 7 - SchücoArena Bielefeld 09.02., 13:15
Robert Schibulsky wartet seit einigen Minuten am Bürgerpark in Bielefeld an der Stadtbahn-Station der Linie 4 Richtung Lohmannshof. All dressed in blue-white-black, den Vereinsfarben des DSC Arminia Bielefeld, mit Winterjacke, Fan-Schal und Cap und natürlich dicken Wollhandschuhen. Das Thermometer im heimischen Garten hatte nur 6° C angezeigt.
Nachdem er ein Treffen mit Hauptkommissar Thiel aus Münster vereinbart hatte, hat er sich trotz der Bedenken der behandelnden Ärzte schon nach drei Tagen aus dem Evangelischen Krankenhaus entlassen lassen. Seither muss seine Frau Kerstin die Wundversorgung des MRSA-Befalls übernehmen.
Der pensionierte Hauptkommissar der Bielefelder Kripo hat gestern Abend die Zusage von Frank Thiel aus Münster erhalten, dass sie das Fußballspiel der 2. Bundesliga gemeinsam schauen können. Der eingefleischte St. Pauli-Fan hat allerdings vor 30 Minuten angerufen, dass er wahrscheinlich etwas zu spät kommen werde. Sein Vater, der als Taxifahrer auch in Münster arbeitet, hat ihn zwar pünktlich zum Hauptbahnhof nach Münster gebracht. Die Regionalbahn nach Bielefeld kann aber noch nicht abfahren, da durch den Sturm in der Nacht einige Bäume die Schienen blockieren, aber in Kürze weggeräumt sein sollen. Thiel rechnet mit einer Stunde Verspätung, will aber in jedem Fall zur Halbzeit da sein. Schibulsky hat ihm versprochen, seine reservierte Sitzplatzkarte, Block I, Reihe 5, Platz 15, am Eingang für Rollstuhlfahrer bei „Benno“ Winkelmann, dem Behindertenbetreuer des DSC Arminia, abzugeben.
Da Thiel noch nicht angekommen ist, geht Robert die fünf Minuten durch den Park, am Max-Planck-Gymnasium vorbei, an dem sein Enkel Sebastian in wenigen Wochen hoffentlich sein Abitur ablegen wird, zum Südeingang der Schüco-Arena.
„Hallo, Robert“, begrüßt ihn Jörg „Benno“ Winkelmann. „Ich hoffe, du hast Weihnachten gut verlebt.“
„Frag´ lieber nicht, ich habe mir in meinem Ferienort einen Oberschenkelhalsbruch eingefangen, jetzt habe ich ein neues Hüftgelenk. Aber wie du siehst, klappt es schon wieder einigermaßen.“
„Du machst aber auch Sachen, Robert. Als Pensionär sollst du es doch ruhig angehen lassen.“
„Du, Benno, ich habe heute noch einen Gast. Er kommt extra aus Münster. Aber die Bahn verspätet sich, kannst du ihm die Karte geben, wenn er hier ist?“
Bei Arminia Bielefeld bekommt Robert wegen des Schwerbehindertenausweises eine Sitzplatzkarte für nur sechs Euro, inklusive eine kostenlose Karte für einen Begleiter.
„Geht klar, Robert.“ Benno wendet sich schon dem nächsten Fan zu, der ihn mit seinem schweren elektrischen Rollstuhl fast umfährt.
Robert eilt nun so schnell es geht zum Eingang zur Westtribüne. Das Spiel Arminia Bielefeld gegen St. Pauli wird in wenigen Minuten angepfiffen. Er nimmt sogleich seinen Sitzplatz ein und bekommt gerade noch die aktuell einstudierte Choreografie der Südtribüne mit. Zum Schluss wird ein Banner ausgerollt, mit dem an das Stadtjubiläum Bielefelds – 800-jähriges Bestehen – erinnert wird.
Fast 24.000 Zuschauer wollen heute das erste Spiel im neuen Jahr des Tabellensechzehnten gegen den Sechsten sehen.
In den ersten vierundzwanzig Minuten plätschert die Partie dieses 20. Spieltags eher ereignislos dahin, viel Kampf und Krampf im Mittelfeld. Die Akteure scheinen noch nicht aus ihrem Winterschlaf aufgewacht zu sein.
Nach fünfundzwanzig Minuten betritt Frank Thiel das Stadion durch den Seiteneingang. Robert erkennt ihn sofort. Sein dunkelbraunes St. Pauli-Trikot trägt er über einem Norweger-Pullover und sticht damit deutlich aus dem Einheitsblau der DSC-Fans heraus. Er sprintet die Treppe zur Reihe 5 hoch, ignoriert manche Bemerkung, ob er sich nicht in der Tribüne geirrt hätte, und hangelt sich zum Platz neben Schibulsky durch. Die beiden Kriminalen begrüßen sich freudig mit Handschlag. In dem Augenblick fällt das 0:1. St. Pauli scheint durch das Erscheinen seines eingefleischten Fans plötzlich motiviert und erzielt durch Lennart Thy den Treffer.
„Ein Glück, dass ich endlich da bin. Ansonsten würde ja die Kiez-Glücksgöttin fehlen!“, ist Thiels überschwänglicher Kommentar.
Zur Halbzeitpause diskutieren Schibulsky und Thiel das, was ihnen bisher geboten wurde. Thiel sieht eindeutige Vorteile für die Hamburger, Schibulsky tröstet sich mit einer Bratwurst und holt für sie noch zwei Bierbecher.
Nach 61 Minuten markiert Christopher Nöthe sogar das 0:2; das Spiel ist entschieden. Als Reaktion darauf wechselt der Bielefelder Trainer Stefan Krämer endlich den zweiten Stürmer ein. Kacper Pryzbylko, 20-jähriges Eigengewächs, war vom 1. FC Köln zurückgekommen, gelingt acht Minuten später per Kopfball das 1:2. Danach werfen die Arminen alles nach vorne, holen die berühmte „Brechstange“ raus, und die Zuschauer erleben nun einen wahren Krimi. Und tatsächlich, die 92. Minute ist bereits angebrochen. Wie ein Déjà-vu kommt es erneut zur Flanke über die linke Seite der Bielefelder. Und wieder steht Pryzbylko richtig und wuchtet das Leder unhaltbar zum 2:2-Ausgleich mit dem Kopf in die Maschen.
Schiedlich, friedlich Unentschieden. Auf dem Rasen war es ein wahrer Kampf, die beiden Kommissare aber sind letztlich ob des Remis zufrieden und gratulieren sich gegenseitig.
Robert bringt den Münsteraner nach der Partie per Stadtbahn zum Bahnhof. Dessen Zug fährt erst in vierzig Minuten. Daher betreten sie das „Bierstübchen“, das gegenüber dem Hauptbahnhof liegt. Beim zweiten Pils sind sie beim „du“ angelangt. Da Frank bisher noch kein Sterbenswörtchen zu seinen Recherchen in Münster gesagt hat, spricht Robert ihn jetzt direkt darauf an:
„Sag´ mal, Frank, hast du eigentlich nichts Neues in der Sache Charlotta Bernaschek herausbekommen?“
„Ach, das hätte ich bei aller Freude auf das Spiel des FC St. Pauli ja fast vergessen. Dir zuliebe habe ich ihren zuletzt bekannten Aufenthaltsort aufgesucht und bin mit meinem Fahrrad zur Avendruper Str. 13 im Münsteraner Norden rausgefahren. Das liegt übrigens idyllisch direkt am Flüsschen Werse und wird von ein paar Studenten der Westfälischen Wilhelms-Universität bewohnt.“ Thiel zieht jetzt einen winzigen Notizblock aus der Hosentasche und referiert weiter: „Deine Charlotta hat tatsächlich mit ihren Freund Nasreddin bis kurz vor Weihnachten ebenfalls dort gewohnt. Dann sind sie von heute auf morgen verschwunden. Allerdings kamen dann vorübergehend deren beiden Freunde Agneta Kubulus und Steffen Herbst in die WG, wobei sie kurz nach Silvester ebenfalls wieder ohne Abmeldung plötzlich weg waren.“
„Steffen Herbst wurde ja kurz darauf wegen Entführung und Erpressung festgenommen und sitzt noch in Untersuchungshaft im Allgäu“, erklärt Robert.
„Eine der Studentin erzählte mir, sie habe vor zwei Wochen eine Ansichtskarte aus Gdansk in Polen erhalten. In ihr haben sich die beiden Mädels gemeldet. Sie wären gut angekommen, hätten einen neuen Schutzengel gefunden und müssten nicht mehr auf der Straße arbeiten.“
Robert fragt dazwischen: „Du meinst, beide sind jetzt