zuletzt wegen anhaltender Verdächtigungen gegen Nico in der Marktgemeinde, er hätte jemanden zum Mord am Oberstdorfer Kaplan Teuffel und des ortsansässigen Vorsitzender des Vereins der ehemaligen RECHTLER, Xaver Steingasser, angestiftet, wollen sie doch ihren Wohnsitz hier in Lindau am Bodensee eibehalten, zumal die Bauarbeiten an den Anbauten an ihrer alten Villa Lindenhof demnächst fertiggestellt sein werden.
Nachdem ihr Entschluss gefasst war, bemühten sie sich um einen herausragenden Grabplatz und wurden im Süden des Alten Aeschacher Friedhofs fündig. Diese Begräbnisstelle wurde schon im Jahr 1512 angelegt, da man die vielen Toten der damaligen Pest nicht mehr auf der Lindauer Insel unterbringen konnte. Die neu gebaute Kapelle neben dem Friedhof blieb aber ungenutzt und diente anschließend der Patrizierfamilie Krell als Wohnung, so zum Beispiel Oswald Krell, der durch das Porträt des berühmten deutschen Malers Albrecht Dürer in die Kunstgeschichte einging. Daher wird die Kapelle bis heute die „Krellsche Kapelle“ genannt.
Im Jahr 1915 war auch der Alte Aeschacher Friedhof zu klein und wurde aufgelassen, kam 1921 vom kirchlichen in städtischen Besitz und wurde zum Park umgewandelt. Seit 2010 sind dort jetzt wieder Urnengräber erlaubt.
Das war die Chance für die Gräfin, die das Grab ihres Neffen unbedingt möglichst in ihrer Nähe haben wollte.
In die Totenmesse in der Krellschen Kapelle sind nur wenige Personen eingeladen, vornehmlich Katharinas Schwägerin Maria Magdalena, die mit ihren Söhnen Gregor-Maria und Lukas-Fridolin aus München angereist ist, und einige höhere Angestellte und Vertreter der Geschäftsleitung der EUROMIX und des Betriebsrates. Sogar der Butler der Gräfin, Jérôme, steht an der Eingangstür, beide Arme in weißen Armschlingen, die sich besonders von seinem schwarzen Jackett abheben. Die tiefen Wunden, die ihm Nicos Kumpel während der Entführung seiner Herrschaft am 2. Januar zugefügt hatte, sind noch nicht verheilt. Dennoch verbeugt sich Jérôme mit leichtem Schmerz im Gesicht, wenn jemand die Kapelle betritt. Zur Überraschung aller erscheint sogar Xenia Winterscheid-Abt, Ulrich geschiedene Frau und deren drei kleine Töchter. Xenia hatte sich nach der Trennung vor zehn Jahren nicht ein einziges Mal um Nico gekümmert. Daher hatten die Winterscheids sie auch gar nicht vom Tod ihres Sohnes informiert. Außer einem kurzen „Hallo, wie geht´s“ ist ihr auch heute nicht viel zu entlocken, „Ich habe aus der Zeitung vom Tod meines Sohnes erfahren“, wendet sie sich daher auch schnell pikiert ab.
Nach der kurzen Ansprache des Pfarrers wird die Urne mit Nicos Asche schnörkellos in das vorbereitete Grabloch hinabgelassen. Die kleine Trauergemeinde verharrt nur kurz vor der Einsenkung, fast scheint es, als würdige niemand die Urne eines Blickes – und löst sich danach binnen weniger Minuten auf. Auch Xenia verschwindet samt Anhang gleich wieder so schnell, wie sie gekommen ist.
Als alle den Friedhof verlassen haben, löst sich eine Frauengestalt oberhalb der Baumgruppe an der Ulrichskapelle. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet und trägt einen großen Strauß Lilien in der rechten Hand. Am frischen Grab angekommen, wirft sie die Blumen hektisch hinein, wischt sich trotzig Tränen aus dem Gesicht und stapft auf demselben Weg zurück zum nördlichen Ausgang des Alten Aeschacher Friedhofs.
Katharina zu Hohenstein und ihr Zwillingsbruder Ulrich besteigen im Süden des Friedhofs den weißen Mercedes-AMG S63, den sie ihm zu Weihnachten geschenkt hat. Auf schnellstem Wege kehren sie zurück zur Villa Lindenhof am Ufer des Bodensees, um die persönlichen und geschäftlichen Folgen zu besprechen, die sich zwangsläufig durch den Tod Nico Winterscheids ergeben werden.
Kapitel 6 - Fiskina in Fischen 06.02., 21:30
Herbert Vasiljevs, der 60-jährige Besitzer des Restaurants im Kurzentrum „Fiskina“ in Fischen, erhebt sich von seinem geschnitzten Lehnstuhl im Kaminzimmer und rutscht bedächtig neben seinen Gast auf der Kaminbank. Mit Dr. Bettina Ziebach, der Notärztin aus der Klinik Oberstdorf, verbindet ihn eine rein platonische Freundschaft, nachdem sich beide während einer Kreuzfahrt in die Karibik im letzten Oktober kennengelernt hatten. Die 38-Jährige hatte nach ihrer Scheidung ihre Heimatstadt Hamburg verlassen und Hals über Kopf eine Stelle hier im Allgäu angenommen. Außerberuflich hatte sie kaum Kontakte aufbauen können, so dass ihr die Bemühungen ihres „väterlichen“ Freundes gefielen, sie durch gemeinsame Ausflüge, Theaterbesuche und Essen aufzumuntern.
Aber jetzt legt er zärtlich den linken Arm um ihre Schultern. Sie lässt es zu, wirft ihm aber einen fragenden Blick zu. Herbert greift nach dem Glas Rotwein, einem Château Mouton Rothschild 2012, von dem er für besondere Anlässe sechs Flaschen für den Vorzugspreis von 2500 € extra aus Bordeaux einfliegen lassen und eingekellert hat. Sie erhebt ebenfalls ihr noch halb gefülltes Glas, und sie stoßen an.
„Bettina, bitte entschuldige meine Anzüglichkeit, aber ich glaube, ich habe eine tolle Neuigkeit für dich.“
Die Ärztin dreht ihren Oberkörper erwartungsfroh weiter zu ihm herum. „Kannst du endlich deinen Traum wahr machen und eines der großen Hotels in Oberstdorf übernehmen?“
„Das vielleicht auch. Aber ich habe Kontakt zu der Sponsorin des neuen Museumsdorfes „Hohenstein“ drüben in Oberstdorf aufgenommen, besser gesagt mit ihrem Justiziar, einem Dr. Werner Brandenburg aus Friedrichshafen. Er glaubt, dass ich beste Aussichten habe, die Konzession für die Restauration im Freilichtmuseum erteilt zu bekommen. Ich müsste mich nur noch mit einem der Mitbewerber einigen.“
„Schön für dich, Herbert, aber warum sollte das eine gute Nachricht für mich sein? Das klingt doch eigentlich nur nach noch mehr Arbeit und somit noch weniger Freizeit für dich.“
„Versteh doch, der Park „Hohenstein“ wird eine Goldgruppe werden, das spüre ich bis in den letzten Zeh. Und mit den Einnahmen richte ich dir deine eigene Praxis ein, so wie du dir das schon immer gewünscht hast.“ Mutig neigt er seinen Kopf zu ihr und gibt ihr einen Kuss auf ihre rechte Wange. Sie schaut ihn nicht an, ist zu überrascht und weiß nicht, wie sie reagieren soll.
In diesem Augenblick klopft es an der Tür zum Kaminzimmer, ungewöhnlich, da dieser Raum ja auch als normaler Gästeraum zur Verfügung steht. Isabella, Vasiljevs schöne italienische Servierkraft, tritt ein: „Entschuldige, Chefe, isse Monsignore Gruber jetze da. Solle hereinlasse?“
Herbert löst sich von Bettina: „Ist schon gut, Isabella. Sag ihm, ich komme sofort.“
Unaufgefordert erhebt sich Bettina Ziebach augenblicklich, geht zum Garderobenständer und nimmt ihren schwarzen Lodenmantel vom Haken. Herbert folgt ihr wie ein Schatten und hilft ihr in den Mantel.
„Tut mir leid, Bettina. Aber der Michi ist etwas zu früh gekommen. Meine Verhandlung mit ihm ist sehr wichtig, wirst sehen, auch für dich.“
Bettina öffnet eher teilnahmslos die Tür zum Flur und geht durch den Hintereingang zu ihrem roten Toyota RAV4. Beim Aufschließen der Fahrertür mit ihrem elektronischen Schlüssel dreht sie sich kurz um. Mit einem kaum erkennbaren Winken mit der linken Hand steigt sie ein, startet den Motor und rollt auf die Bahnhofsstraße Richtung Oberstdorf.
„Aha, also dieser Wirt aus der „Dolde“ ist Herberts Rivale“, flüstert sie sich selber zu.
Herbert winkt ihrem SUV hinterher, ist aber mit seinen Gedanken schon beim Gruber, Michi. Er geht um das Kurhaus herum und betritt sein Restaurant durch den Haupteingang. Die Begrüßung der beiden Gastwirte ist eher kühl. Der Besitzer der „Dolde“ in Oberstdorf folgt Vasiljevs ins Kaminzimmer, das bereits von Isabella wieder tadellos hergerichtet ist.
„Geh, Michi“, eröffnet Herbert die Verhandlung. „Wie groß ist denn der Schaden an deinem Hotel? Und wie kann ich dir helfen?“
Michael Gruber geht nicht auf die Frage ein und schaut sein Gegenüber kurz mit grimmiger Miene an. „Meine Frau, die Rosi, hat mir gesagt, du wolltest mit mir über die Konzession für das neue Museumsdorf sprechen. Aber da gibt´s nichts zu besprechen. Der Investor hat mir sie fest versprochen und ich werde sie auf „Teufel komm raus“ annehmen.“
„Trotzdem bist du meiner Einladung gefolgt. Schau, ich weiß, dass du durch den Brand finanziell in Nöten bist. Willst du dir wirklich noch die Investitionen für die Museumsrestauration ans Bein binden?“
„Woher