Alexander Nadler

Handover


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Restaurant angeblich vorauseilt, nicht von ungefähr zu kommen scheint, denn was da schwarz auf weiß an kulinarischen Leckereien angeboten wird, lässt erahnen, dass hier ein Meister seines Faches am Wok stehen muss, der sich, dies verdeutlichen die Preise, seine Kunst aber auch entsprechend honorieren lässt.

      Nachdem Claude seine Bestellung, eben besagte Garnelen und dazu noch einen Teller mit Jakobsmuscheln, Cashewnüssen und allerlei kleingeschnittenem Gemüse, aufgegeben hat, nippt er zunächst an dem hauchdünnen Porzellantässchen mit Jasmintee, das ihm die Bedienung, die sich ihm als Cathy vorstellte und in einem gleichfalls hochgeschlitzten, roten Rock und gleichfarbiger Weste daherkam, zusammen mit einer dickbauchigen, typisch chinesischen Teekanne serviert hat. Ein zweiter Schluck leert die Tasse, woraufhin sie von Cathy, die ihm gar keine Zeit lässt, dies selbst zu tun, wieder gefüllt wird, ein Service, der ihn an die besseren China-Restaurants in den Staaten und in Fernost erinnert, in denen der Kunde sich tatsächlich noch ein wenig wie ein König fühlen darf. Seiner aufmerksamen Bedienung ein anerkennendes Lächeln schenkend, beginnt er anschließend mit dem näheren Studium des Gastraumes, den er quadratmeterweise mit seinen Augen abtastet, in der Hoffnung, einen Beleg dafür zu finden, dass zumindest eine der Aufnahmen in seiner Jackeninnentasche an diesem Ort aufgenommen wurde. Dabei beantwortet sich auch die Frage, die er sich zuvor gestellt hat, warum nämlich das Lokal eigentlich den Namen Bambusgarten trägt, was wohl, wie er feststellt, von den auf allen dekorativen Stilelementen sowie den Raumteilern auftauchenden Bambusmotiven herzurühren scheint. Sich die Aufnahmen seines Bruders geistig vergegenwärtigend, unterzieht er den Raum wieder und wieder einer gründlichen optischen Inspektion, bei der sich eine halblinks von ihm sich befindende Sitzecke, die auf drei Seiten von besagten hölzernen Trennwänden abgegrenzt ist, mehr und mehr als deckungsgleich mit dem auf einem der Fotos zu erkennenden Hintergrund herauskristallisiert, und zwar auf eben jenem Bild, aus dem Claude an diesem Morgen eine Ausschnittsvergrößerung heraus angefertigt hat. Um sich letzte Sicherheit zu verschaffen, müsste er die Vergrößerung zu Vergleichszwecken zur Hand nehmen, was er zunächst aber noch vor sich hinschiebt, um sich erst einmal auf die bestellten Leckereien zu konzentrieren, denen er, wie er sich zu seiner Schande eingestehen muss, bis zu diesem Zeitpunkt in keinster Weise die ihnen gebührende Aufmerksamkeit hat zukommen lassen, dabei übertreffen sie seine Erwartungen noch. ‚Genieße erst einmal in Ruhe dein Essen und dann schaust du weiter’, fordert er von sich Konzentration auf die auch rein optisch Appetit anregenden Gaumenfreuden, und während er sich diese Häppchen für Häppchen mit den aus lackiertem Bambus gefertigten Stäbchen von den einzelnen Tellern fischt, schenkt ihm, kaum hat er das Tässchen wieder geleert, Cathy von dem die Speisen geradezu perfekt umschmeichelnden Jasmintee nach, der jedes andere Getränk an seiner Stelle als Frevel erscheinen ließe. Und wie er es von Lokalen dieser Art gewohnt ist, tafelt ihm seine reizende Bedienung zum Abschluss einen Teller fein geschnittenen Obstes auf, der allerdings mit einer derartigen Auswahl aufwartet, wie er sie in noch keinem chinesischen Restaurant vorgesetzt bekommen hat. Eigentlich schon mehr als satt, kann er dennoch der Versuchung nicht widerstehen, sich einige der dargereichten Stücke herauszupicken.

      „Möchten Sie vielleicht sonst noch etwas, zum Beispiel einen Reisschnaps?“, erkundigt sich Cathy bei ihm, als sie bemerkt, dass er seine Mahlzeit offensichtlich beendet hat.

      „Um Gottes willen, ich platze ja jetzt schon“, wiegelt er mit zufriedener Miene schleunigst ab.

      „Hat es Ihnen geschmeckt?“

      „Exzellent! Ein Kompliment an Ihren Koch!“

      „Das freut mich. Ich werde ihm Ihr Lob ausrichten, er wird sich sicherlich darüber freuen.“

      Da Claude noch Zeit für seinen Fotovergleich benötigt, und er - vom guten und reichlichen Essen ein wenig träge geworden - außerdem noch keine rechte Lust verspürt, das Lokal zu verlassen, bittet er die Bedienung um eine weitere Kanne Jasmintee: „Wissen Sie, der ist so lecker, so einen habe ich schon lange nicht mehr getrunken.“

      „Selbstverständlich, wenn Sie bitte einen Moment warten“, bittet sie ihn - mit der leeren Kanne verschwindend - um Geduld.

      Sich behaglich zurücklehnend, wartet Claude ihre Rückkehr ab und passt dann einen Moment ab, in dem sie sich dem zwei Tische weiter sitzenden Paar zuwendet, um unauffällig die mitgebrachten Aufnahmen aus der Jacke zu ziehen, wobei die gesuchte glücklicherweise zuoberst liegt, was den Vergleich zwischen Bild und Realität beschleunigt. Keine zwanzig Sekunden benötigt er, um eindeutig festzustellen, dass bewusstes Bild tatsächlich an diesem Ort gemacht wurde. Doch wer sind die beiden Asiaten an Brehms Seite, wie kann er mehr über sie herausfinden? Das Foto einfach Cathy oder der Empfangsdame vorlegen, das geht nicht. Also was dann? Erst einmal die Bilder wieder in der Versenkung verschwinden lassend, tüftelt er über Möglichkeiten nach, an die gewünschten Informationen zu kommen. Da ihm nichts Besseres einfällt, wählt er, als Cathy ihm erneut die Tasse nachfüllt, den direkten Weg: „Auch dem Besitzer des Lokals möchte ich übrigens ein Kompliment aussprechen. Glauben Sie mir, ich war schon in vielen chinesischen Restaurants, habe aber selten ein so geschmackvoll eingerichtetes gesehen. Das würde ich Ihrem Chef gerne persönlich sagen. Ist er zufällig da, und wenn ja, könnten Sie ihn zu mir bitten?“ ‚Keine besonders tolle Idee, die du da hast, aber was soll's’, hadert Claude angesichts seiner momentanen Ideenlosigkeit mit sich selber.

      Cathy scheint sich jedoch nichts dabei zu denken, denn ihr Bedauern klingt ehrlich: „Oh, das tut mir leid, aber Herr Sung, der Besitzer, ist erst gestern spätabends von einer Reise zurückgekehrt und ist bis jetzt noch nicht erschienen.“

      Die wie eine Luftblase zerplatzte vage Hoffnung hinterlässt - er wundert sich selbst - bei Claude keine Spur der Enttäuschung, denn irgendetwas sagt ihm, dass er an die gewünschte Information auch so kommt. Doch hält er sich die Option offen, für alle Fälle: „Macht nichts, ich komme sicherlich wieder, vielleicht besteht ja dann die Möglichkeit dazu.“

      „Wir würden uns freuen, Sie wieder als unseren Gast begrüßen zu dürfen“, schmeichelt ihm Cathy mit asiatischer Höflichkeit, die in diesem Fall allerdings keine leere Floskel ist, sondern ehrlich gemeinter Wunsch, wie Claude an ihrer Stimme und in ihren Augen erkennt. Um sich bei ihr in jedem Fall in guter Erinnerung zu halten, bemisst er das Trinkgeld noch ein wenig reichlicher als er dies ohnehin vorhatte, weiß er aus jahrelanger Erfahrung doch nur zu gut, welche Wirkung damit erzielt werden kann, auch wenn er sich andererseits ebenso bewusst ist, welche negativen Langzeitfolgen damit verbunden sein können. Dass er mit seiner Einschätzung richtig lag, beweist die überaus höfliche Art und Weise, mit der sich nicht nur Cathy bei ihm verabschiedet, sondern auch die Dame am Empfang, die ihn - mit dem Wunsch, ihn möglichst bald wieder als Gast begrüßen zu dürfen - mit schützendem Regenschirm zum bestellten Taxi hinausbegleitet, das ihn zu Philipps Wohnung zurückbringen soll.

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