Christine Boy

Das Blut des Sichellands


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Vater sein, so wie du eine wundervolle Mutter sein wirst."

      "Das meine ich nicht. Und... das ist auch nicht alles. Es gibt noch etwas, worum ich dich bitten möchte und es wird dir vielleicht etwas merkwürdig vorkommen. Aber es ist mir sehr wichtig und... ich möchte, dass du mich nicht nach den Gründen fragst."

      Sie holte einen Samtbeutel hervor, den sie irgendwo am Körper getragen hatte und reichte ihn Wandan.

      Verwirrt nahm er ihn an sich, öffnete ihn aber nicht.

      "Was ist das?"

      "Etwas, das mir gehört. Ein Schmuckstück. Ein Erbe aus meiner Familie. Es ist sicher nicht viel wert, aber ...ich möchte, dass du es für sie aufbewahrst."

      "Für... sie?"

      "Für mein Kind."

      "Aber... warum...?"

      "Nimm es. Und zeige es niemandem sonst. Erzähle keinem davon. Aber vielleicht kommt der Tag, an dem du es brauchst, und dann wirst du es auch wissen. Trage es bei dir, wenn du sie begleitest und wann immer ihr eine Gefahr drohen könnte."

      Jetzt doch recht beunruhigt machte Wandan Anstalten, die Kordel zu lösen, mit der der Beutel verschlossen war, doch Cureda winkte ab.

      "Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht, bevor sie auf der Welt ist. Und egal was kommt, du darfst es ihr nicht geben. Erst, wenn du es brauchst. Erst, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Sie wird wissen, was es ist. Eines Tages wird sie es wissen."

      "Du sprichst in Rätseln, Cureda. Warum behältst du es nicht? Oder Saton? Ich glaube wirklich nicht, dass ich der Richtige..."

      "Du bist der einzige Mensch außer Saton, den ich darum bitten kann. Und ich kann dir nicht erklären, warum es so wichtig ist, dass ein anderer... Bitte versprich es mir einfach, Wandan. Es darf niemals verlorengehen. Niemals. Sorge dafür."

      "...Na... na gut."

      "Vielleicht wirst du nie erfahren, worum ich dich hiermit gebeten habe und dann kannst du dankbar dafür sein. Aber vielleicht kennst du irgendwann die Antworten auf all deine Fragen. Und dann wirst du mich verstehen. Vertrau mir."

      "Das tue ich. Ich werde es verwahren und behüten wie du es verlangt hast und niemand wird es jemals wissen. Aber wenn deine Tochter mich danach fragt..."

      "Sie wird dich nicht danach fragen. Noch ist sie nicht geboren, aber ich glaube, so gut kenne ich sie jetzt schon."

      In den nächsten Tagen verbrachten Cureda und Saton viel Zeit im Garten. Obwohl der Winter in Yto Te Vel noch nicht ganz verklungen war und Cureda sich zwei Wollumhänge umlegen musste, um nicht zu frieren, zog es sie immer wieder nach draußen und Saton wich ihr nur selten von der Seite.

      Er redete mehr als üblich. Der sonst recht schweigsame Shaj konnte seine Nervosität vor niemandem mehr verbergen. Immer wieder legte er seine Hand auf Curedas gewölbten Leib, um das Leben zu spüren, das darin heranwuchs. Und er malte sich dabei aus, welch ein Mensch seine Tochter wohl werden würde.

      "Sicher wird sie genauso schön wie du." sagte er immer wieder und weidete sich dabei an Curedas Anblick. Das lange, glänzend-schwarze Haar, die tiefschwarzen Augen, das schmale Gesicht mit den feinen Zügen und ihre alabasterfarbene Haut waren für ihn der Inbegriff von Vollkommenheit. "Und sie wird deine Klugheit erben und deinen Sanftmut..."

      "Besonders sanftmütig scheint sie mir im Augenblick nicht gerade." stöhnte Cureda und hielt sich den Bauch. "Ich glaube, sie kommt nie zur Ruhe. Letzte Nacht hat sie geradezu getobt und in der Nacht davor auch."

      Saton strahlte. "Ein gesundes, temperamentvolles Mädchen! Und eine echte Batí!"

      "Ja, das ist sie." Ein Schatten legte sich über Curedas Gesicht. "Und manchmal, da ist sie still. So still, dass ich Angst habe, sie könnte... Aber dann macht sie sich nur umso deutlicher bemerkbar. Wie ein Feuersturm."

      "Und doch willst du mir noch nicht sagen, welchen Namen du ihr geben möchtest..."

      Cureda seufzte.

      "Es ist auch deine Tochter. Und du bist der Shaj der Nacht. Eigentlich solltest du entscheiden..."

      "Das habe ich doch schon längst. Du trägst sie in dir. Du spürst sie. Niemand kennt sie besser als du. Und deshalb wirst du mir und allen Sichelländern sagen, wie wir sie nennen sollen. Das ist meine Entscheidung. Ich wünschte nur, du würdest mich nicht so lange zappeln lassen."

      "Bald, Saton. Sehr bald."

      Eine leise krächzende Stimme mischte sich in die Unterhaltung.

      "Sehr bald? Drängt es die jüngste Ac-Sarr nun doch in die große Welt?"

      Saton lachte immer noch.

      "Mondor! Wie schön, dass du noch einmal zu uns gefunden hast! Ich fürchtete schon, du wärst bereits im Tempel!"

      "Wie du siehst, habe ich meine Pläne etwas geändert. Der junge Yachemon vertritt mich recht ordentlich und ich dachte, es könnte nicht schaden, wenn ich der Stille der Priester noch einige Tage fernbleibe. Um ehrlich zu sein, kann ich mir in diesen Tagen keinen Ort vorstellen, an dem ich lieber wäre als hier in Yto Te Vel. Auch wenn der Tempel nicht weit entfernt ist, so möchte ich mir nicht vorstellen, erst dann von der Geburt zu erfahren, wenn alle anderen, die hier leben, es schon vor mir wissen."

      Mühsam stützte sich Cureda aus ihrem Sessel aus Korbgeflecht auf, rutschte in eine etwas bequemere Haltung und ließ sich dann wieder zurücksinken.

      "Eine Geburt kann lange dauern, Mondor. Von den ersten Wehen an können noch viele Stunden vergehen, bis es wirklich ernst wird. Genug Zeit also. Aber ich bin froh, wenn du hier in meiner Nähe bleibst. Wir haben uns so lange nicht gesehen..."

      "Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Und wenn du dich wieder besser fühlst, musst du auch unbedingt den Tempel besuchen. Alle Priester fragen mich ständig nach dir. Sie haben mir nie verziehen, dass ich dich gehen ließ."

      Saton schnaubte.

      "Das klingt, als hättest du deine Erlaubnis geben müssen."

      "Natürlich nicht. Aber ich habe selten eine so fähige Priesterin in meinen Reihen gehabt. Sie hätte das Zeug zu meiner Nachfolge gehabt. Und dann kommst du und entführst sie nach Semon-Sey. Eine Schande ist das..."

      Doch Mondor zwinkerte bei seinen Worten. Sein Leben lang würde er sich mit Freude an den Tag erinnern, an dem Saton den Batí-Tempel zu einer rituellen Reinigung aufgesucht hatte und dort so zum ersten Mal seine jetzige Gemahlin getroffen hatte. Sechs Jahre war dies nun her und niemals zuvor hatte er Saton und auch Cureda so glücklich gesehen wie in dieser Zeit. Und jetzt endlich würde diese Verbindung durch ein gemeinsames Kind gekrönt werden.

      Eine Ac-Sarr.

      Ein weiterer Zweig der legendären Linie.

      Satons Tochter würde Geschichte schreiben. Womöglich wider Willen. Aber sie würde es tun.

      Ob es eine gute, eine glanzvolle oder eine kurze Geschichte war, konnte niemand mit Gewissheit vorher sagen. Doch Mondor hatte keine Zweifel. Saton und Cureda. Ein gewaltiger Krieger, der beste seines Landes und zugleich weise, beherrscht und von edlem Charakter. Eine Priesterin mit einer Gabe zum Göttlichen, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte, sanftmütig, freundlich, klug und von starkem Willen. Es war keine Frage, ob sie ein besonderes Kind gebären würde. Die Frage war lediglich, in welcher Form sich diese Besonderheit äußerte. Kriegerin oder Priesterin? Eine wahre Tochter des Shaj der Nacht oder eine der seltenen Batí, die sich dem Tempeldienst verschrieben?

      Die Vorzeichen waren eindeutig. Ein Feuer loderte in Curedas Leib und es war nicht dasselbe, das in ihren Augen leuchtete. Dennoch... der Wille Ash-Zaharrs war unergründlich.

      Wohlig in seine eigenen Gedanken vertieft, räkelte sich Mondor im Sessel und sah einem Diener zu, der heiße Getränke brachte.

      "Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?" fragte er dann wie beiläufig.

      Saton nickte.

      "Nachgedacht... ja,