Alexander Mosca Spatz

Pfad des Feuers


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ließ seine Lippen beben, Zweifel fegten die Überzeugung hinweg, das Richtige zu tun.

      Aaron dachte zurück an Azard und die Geschichten, die von seinen Taten und traurigen Errungenschaften zeugten.

      Sollte Azard wirklich dort drinnen mit einigen Männer seiner Inquisition warten, so würden Aaron und Eric sterben; keine Macht der Welt konnte sie vor so vielen Gegnern retten.

      Angenommen er starb, so hätte seine Frau und damit auch sein ungeborenes Kind jegliche Lebensgrundlage verloren. Er sorgte für den Lebensunterhalt in seiner Familie. Fiel er weg, so waren sie vollkommen alleine. Aaron musste an die mannigfachen Häuser der Slums denken, an das Hafenviertel, den Dreck, die Krankheiten, die Verbrecher. Vielleicht würde sein ungeborenes Kind genauso enden wie Sirians Schwester?

      Das kann ich nicht zulassen!

      Doch genauso könnte Godrics Mörder sie töten, wenn Aaron ihn nicht fing. Ein Bild schoss durch seinen Kopf, das Kreuz in der Kirche, doch nicht Godric hing dort, sondern seine Frau – und es wäre alleine seine Schuld, wenn es dazu käme. Aber der einzige Weg, dieses Szenario zu verhindern, war es, Godrics Mörder zu finden … wofür er in die Bibliothek gehen und sein Leben riskieren musste.

      Wütend biss er die Zähne zusammen, wandte sich vom Anblick der Glockenturmspitze ab und ging schweren Schrittes auf die Bibliothek zu. Nicht weil er es wollte, sondern weil es sein musste. Mit einem resignierten Seufzer stapfte er durch die letzten dreckigen Pfützen, die der Schneematsch hinterlassen hatte und ging auf die Hintertür der Bibliothek zu. Innerhalb der Bibliothek selbst brannte nachts kein einziges Licht, es war stockdunkel.

      Hoffentlich bringt Eric eine Fackel mit; er ist zwar der Sohn des besten Soldaten des Landes, das muss aber nicht heißen, dass er etwas im Kopf hat … eher vielleicht das Gegenteil.

      Mit gerunzelter Stirn blieb Aaron vor dem Hintereingang stehen, hob zögernd eine Hand und klopfte leise drei Mal.

      Zuerst geschah gar nichts, das Geräusch verklang einfach; hastig steckte Aaron seine eiskalte Hand zurück in seine Hosentasche und starrte weiterhin wartend die Holztür an. Von der anderen Seite der Tür meinte er rasche Schritte zu hören, die Klinke der Tür wurde heruntergedrückt, sie öffnete sich einen Spalt breit und im nächsten Augenblick hielt jemand Aaron eine Fackel genau vor das Gesicht.

      Mit einem leisen Fluch wich Aaron einen Schritt zurück, wandte schnell das Gesicht ab. Auf der Türschwelle stand Eric.

      „Du bist es?“

      Es war mehr eine Feststellung, als eine wirkliche Frage.

      „Nein, ich sehe Aaron nur zufällig so ähnlich! Idiot! Nimm mir die Fackel aus dem Gesicht, du hättest mich beinahe verbrannt!“, fauchte Aaron und rieb sich die tränenden Augen, blinzelte einige Male.

      „Du bist es wirklich“, stellte Eric trocken fest und verkniff sich ein leises Lachen.

      „Verzeihung, ich bin nur etwas aufgeregt. Du bist noch zu früh.“

      Eric zuckte mit den Achseln, senkte die Fackel ein wenig und wies ins Innere der Bibliothek.

      „Aber eigentlich macht es keinen großen Unterschied. Die Wachen sind auf der anderen Seite, niemand rechnet damit, dass jemand den Schlüssel hat. Wollen wir?“

      Und woher hast du die Schlüssel? Bist du vielleicht gar nicht Eric, Sohn des Lord Marschall und drinnen fallen dann die Häscher des Erzbischofs über mich her, wie Hunde über ein Stück Fleisch? Bin ich vielleicht doch zu weit gegangen, indem ich Luciana mit eingebunden habe und der Orden für innere Sicherheit nimmt mich hinter der Tür in Empfang? Jeder kann zu ihnen gehören, Paladine, Bürger, Gardisten, Händler, Kaufmänner oder Staatsmänner. Jeder verdammte einzelne von ihnen …

      Das war der Clou des Regimes. Niemand wusste, wem er trauen konnte und wem nicht; das System war beinahe perfekt. Niemand würde es wagen, sich gegen den Letzten Herrscher zu erheben.

      Wartend stieß Eric die Tür ein wenig weiter auf und warf einen verstohlenen Blick nach innen.

      Wenn er jetzt dort hineinging, konnte er nicht mehr zurück. Noch konnte er ablehnen, sich entschuldigen und einfach gehen, irgendeine neue Spur suchen. Aber er hatte weder eine neue Spur noch eine Idee, die ihn auf eine neue Idee bringen könnte. Er steckte in einem Engpass, vorwärts oder zurück, mehr Möglichkeiten gab es nicht. Sanft trug der kühle Wind das leise Schlagen einer Glocke heran, Aaron konnte es klar und deutlich hören. Mitternacht. Aaron legte eine Hand auf den Schwertgriff, warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die Straße, atmete tief ein, als wäre dies sein letzter Atemzug und nickte schließlich.

      „Gehen wir.“

      Die Gänge der Bibliothek schienen im schwachen Licht von Erics Fackel noch enger, die Bücherregale noch größer zu sein. Der Geruch von altem Pergament vermischte sich mit dem des Feuers und ihre Schritte hallten immer wieder laut wider. Andauernd zuckte Aaron zusammen, wenn er meinte, etwas gehört zu haben, seine Hand umklammerte den Schwertgriff, bereit, die Klinge sofort zu ziehen. Das verbotene Abteil der Bibliothek lag weit im hinteren Bereich, weg vom Haupteingang und den Orten, an denen sich die meisten Studenten tummelten.

      Wenn ich ehrlich bin, möchte ich gar nicht wissen, was dieser Ring denn nun genau tut, doch ich fürchte, ich werde es herausfinden müssen.

      „Bist du aus Moréngard?“, fragte Aaron scheinbar beiläufig und sah Eric schief von der Seite an. Erics Gesicht nahm einen überraschten Ausdruck an, dann schüttelte er langsam den Kopf.

      „Mein Vater der Lord Marschall ist ursprünglich aus Tedarien und meine Mutter aus Moréngard. Ich bin sozusagen ein Halbling, auch wenn mein Herz hierher gehört.“

      Aaron nickte.

      Im Krieg gegen die Vampire war zuerst das östliche Dschungelreich Sarraka gefallen, anschließend das Kaiserreich Iridania und zu guter Letzt auch die beiden letzten Königreiche Tedarien und Westmar. Die beiden kleineren Reiche Kaphir und Noctaír, seit Jahrunderten Provinzen des Kaiserreichs, hatten sich ohne Widerstand ergeben und das Land der Mitte, die Verbindung zwischen Norden und Süden des Kontinents, Aldarien, war vom Kaiserreich militärisch abhängig gewesen. Als der Kaiser fiel, war auch Aldarien gefallen.

      Ragnir – Erics Vater – war während der letzten Jahre des Vampirkriegs geboren worden, der erst vor ziemlich genau hundert Jahren endete. Es war nur verständlich, dass er nach Moréngard geflohen war, um den Vampiren nicht als Blutsklave in die Hände zu fallen.

      Die Menschen leben nun schon seit 1264 Jahren hier. Knapp 500 davon haben sie Krieg gegen die Vampire geführt …

      Aaron schnaubte leise und widmete sich wieder seinem Schwert, dessen Griff unter Aarons heftiger Umklammerung langsam warm wurde.

      Je näher sie dem verbotenen Abteil kamen, desto kleiner und spärlicher wurden die Bücherregale um sie herum.

      „Das verbotene Abteil ist verdammt groß, was suchen wir denn genau?“, fragte Aaron leise und sah sich um.

      Die ganze Situation war ihm mehr als unbehaglich und er hasste es, von anderen abhängig zu sein. Eric steckte eine Hand in die rechte Manteltasche, kramte leise fluchend darin herum und holte schließlich einen winzigen Schlüssel hervor, hielt ihn in das rötliche Licht der Fackel.

      „Es gibt ein Buch, in dem stehen Dinge über alle schwarzmagischen Artefakte, die es gibt. Die Prohibita der Ars negra, der schwarzen Künste. Dort müsste etwas über deinen bösen Schmuck drin stehen. Und wenn es dort nichts gibt, kannst du es vergessen.“

      „Klingt ja gar nicht mal so schlecht … mal davon abgesehen, dass nur der Erzbischof das Recht hat, die Prohibita einzusehen“, nuschelte Aaron leise.

      „Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, wenn sie uns doch erwischen sollten, werden wir aus dem Grund exekutiert, dass wir versucht haben, die schwarzmagischen Künste gegen das Allgemeinwohl der bürgerlichen Schicht verwenden zu wollen. Ist einmal einem Studenten passiert, der dasselbe versucht hat wie wir.“

      Aaron verdrehte