Carl Heyd

Papa und die Motorradrocker


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      „Äh … i-ich habe keine Ahnung, was da in mich gefahren ist. Ich bitte um Entschuldigung, so was mache ich sonst nicht. Ich habe das Messer, um mir auf einer Parkbank ein Stück von einer Salami abzuschneiden oder die Schere zu nutzen … oder den Korkenzieher … Aber … äh … halt alles nur zur zivilen Nutzung, verstehen Sie?“

      Er war jetzt wieder friedlich, und der Angriff auf mich war ihm sichtlich peinlich.

      Ich verfügte nicht über hinreichende psychologische Grundkenntnisse, nahm aber an, dass es sich bei ihm um eine gespaltene Persönlichkeit handeln musste: netter Opi von nebenan und abartiger Offiziersmesserstecher in einer Person. Der Victorinox-Killer geht wieder um. Jetzt hatte aber anscheinend die gute Seite wieder die Oberhand zurückerlangt. Er bot mir sogar eine seiner Zigaretten an, die in einem silbernen Etui untergebracht waren, und bat mich, Platz nehmen zu dürfen. Die körperliche Auseinandersetzung mit mir hätte ihn schon etwas geschwächt, und er sei ja auch nicht mehr der Jüngste. In Richtung des Kellners, der den Notruf abgesetzt hatte, zeigte er sein allerbestes Sonntagslächeln.

      „Könnte ich vielleicht noch einen schwarzen Tee bekommen?“, bat er höflich.

      Der Kellner blickte mich unsicher und Hilfe suchend an, also übernahm ich die Initiative: „Ich glaube nicht, dass Rentner, die mit Messern auf andere Gäste losgehen, die primäre Zielgruppe dieses Lokals bilden. Oder mit anderen Worten gesagt: Verpiss dich, Alter, und mach künftig einen ganz weiten Bogen um dieses Café!“

      Das hatte gesessen. Opa kramte einen Fünfeuroschein aus seinem Portemonnaie, legte diesen unter seine leere Tasse und verließ mit gesenktem Blick das Lokal. Ein paar Minuten später vernahm ich einen lauten Knall, der von draußen kam.

      „Oh Gott, da hat sich jemand vor die Tram geworfen!“, rief ein Gast mit strategisch günstigem Fensterplatz.

      Ein anderer Gast, ein etwa zwanzigjähriger Schönling mit gegelten Haaren (unsympathische Erscheinung), hatte die Sache noch etwas genauer beobachtet.

      „Das war der Opa von eben, der da gesprungen ist. Ich habe das von hier genau gesehen“, verkündete er mit einem gewissen Stolz in der Stimme.

      So schnell konnte das im Leben gehen: eben noch ein Messer in der Hand und wohlauf, jetzt zermatscht und mausetot.

      Manni auf der Jagd

      Manni lag auf der Lauer. Von einem guten Freund bei der Feuerwehr hatte er relativ unkompliziert und zügig Name und Anschrift des Road-Captains erhalten und wartete nun vor dem unscheinbaren Mietshaus in Englschalking auf dessen Erscheinen. Natürlich hatte er zunächst einmal bei dem Appartement mit der Nummer 65 geklingelt, aber da meldete sich niemand. Vielleicht war Alexander von Dornroth (so der bürgerliche oder halt auch nicht ganz so bürgerliche Name) – das schöne Wetter ausnutzend – ja mit seinem Motorrad unterwegs oder saß irgendwo in einem schattigen Biergarten. Der Detektivjob brachte immer sehr viel Warterei mit sich, das war halt so, und Manni hatte sich im Laufe der Jahre auch damit abgefunden. Auf Obse (so die interne Bezeichnung der Detektei Papa & Kollegen) gab es keine Daueraction, da war manchmal auch stumpfes Sich-den-Arsch-platt-Sitzen angesagt, vergleichbar in etwa mit dem Besuch einer Kfz-Zulassungsstelle. Im Auto war es trotz schattenspendender Bäume sehr drückend, viel Trinken war also angesagt. Der Detektiv aus Sachsen nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Wasserflasche. Den Hauseingang ließ er dabei nicht aus den Augen, ab und zu gab es dort auch etwas Betrieb, aber von der auffälligen Erscheinung des Motorradrockers war bisher noch nichts zu sehen gewesen.

      Einige Kinder spielten unweit von dem Haus mit einem gammelig aussehenden Lederfußball. Zum Teil waren die gar nicht mal so ganz talentfrei, dachte Manni, der Kleine mit dem Ronaldo-Shirt konnte verdammt gut mit dem Ball umgehen! Sicher noch nicht so gut wie sein offenkundiges Vorbild, aber immerhin. Das Supertalent bekam jetzt eine halbhohe Flanke und zog volley ab. Nur knapp rauschte das runde Leder am selbst gebastelten Tor, das aus zwei Pylonen bestand, vorbei. Seine Kameraden klatschten dennoch eifrig Beifall, was dem Schützen sichtlich Spaß bereitete. Triumphierend guckte er auch in Mannis Richtung, der spontan den Daumen seiner rechten Hand hochreckte. Super, Bursche!

      Irgendwann kam der Nachwuchs-Ronaldo dann auch angedackelt, schaute selbstbewusst ins offene Fenster des VW Passat und grinste: „Bist du ein Talentscout von den Bayern?“

      Bayern München? Mit der Vermutung lag er bei Manfred völlig daneben.

      „Mit den Bayern habe ich nix am Hut, aber kennst du Dynamo?“

      „Klar, der macht das Licht bei meinem Fahrrad.“

      Hatte der Junge wirklich noch nie was vom legendären Fußballverein Dynamo Dresden gehört, dem achtmaligen DDR-Meister, oder wollte er den Detektiv einfach nur auf die Schippe nehmen? Manni tendierte zur zweiten Variante, wollte dem Jungen aber noch eine zweite Chance geben.

      „Was du meinst, Junge, das ist so ein Generator, der Strom erzeugt. Ich spreche von Dynamo Dresden. Das sagt dir doch was, oder? Dy-na-mo!“

      Der Junge überlegte einen Moment und schüttelte dann seinen Kopf: „Ist das auch ein Fußballverein?“, erkundigte er sich. Enttäuscht nickte der Detektiv und fuhr die Fensterscheibe hoch. Im Grunde genommen konnte er dem Jungen ja auch keinen Vorwurf machen: Der Verein dümpelte seit geraumer Zeit rum, hatte sich zwar mit Hängen und Würgen in der zweiten Liga gehalten, aber das war halt eben doch nur zweite Liga. Na ja, immerhin gab es den Verein wenigstens noch, So viele andere Dinge, mit denen Manni in der DDR aufgewachsen war und bis zum Mauerfall im Großen und Ganzen auch recht zufrieden lebte, waren hingegen komplett verschwunden …

      Dem Jungen war anscheinend noch was eingefallen, denn er klopfte ans Wagenfenster. Als Manni erneut den elektrischen Fensterheber betätigte, schaute der Junge, er mochte etwa zehn Jahre alt sein, zu ihm ins Auto: „Ich glaube, jetzt weiß ich’s wieder. Das sind Ossis, oder?“

      Das war zu viel! Der Detektiv öffnete blitzschnell die Fahrertür und baute sich vor dem nun ängstlich dreinblickenden Nachwuchskicker auf.

      „Mach dä Flieche, du Bäddnässr!“, brüllte Manni ihn zornig an. Der Junge verstand zwar nicht wirklich, was das bedeuten sollte, begriff aber natürlich, dass es sich nicht um wohlgemeinte Komplimente handelte, und machte wirklich die Fliege, und das auch ziemlich flott.

      „Eirgobb!“, gab Manfred ihm noch mit auf den Weg. Als Choleriker alter Schule brauste er zuweilen mit rasender Geschwindigkeit auf, kam aber auch genauso schnell wieder runter. So war er schon wieder locker und geschmeidig, als der Road-Captain mit seiner Harley um die Ecke bog. Endlich! Auf dem Soziussitz hatte er noch eine schmächtige Gestalt hocken, die ihn umklammert hielt – ein kleines Klammeräffchen, sozusagen. Stone stellte sein sicherlich kostspieliges Motorrad direkt auf dem Bürgersteig in der Nähe der Haustür ab, was sicher nur eine Interimslösung für wenige Stunden sein sollte, denn so einen Hobel lässt keiner, der auch nur halbwegs bei Verstand ist, einfach draußen stehen.

      Der oder auch die Beifahrer(in) hatte offenbar Schwierigkeiten, den Verschluss des Integralhelms zu öffnen, das schien eine verfluchte Fummelei zu sein. Der Road-Captain grinste amüsiert, schritt dann aber doch noch helfend ein:

      „Warte, ich mach es dir, ungeschicktes Püppchen.“

      Fachmännisch öffnete er den Verschluss. Der/die Beifahrer(in) konnte sich endlich vom Helm befreien, der dank Hoch Ulrich auch nicht gerade angenehm zu tragen war.

      Aha, das Nesthäkchen! Manfred erkannte das Gymnasiasten-Milchbubigesicht sofort.

      „Das mit dem Helm auf und ab üben wir noch, Sven. Du solltest dir eh mal so einen richtigen Chopperhelm besorgen, da schwitzt man dann auch nicht so stark.“

      In der Tat, das Nesthäkchen wirkte deutlich verschwitzter als der Fahrer, der allerdings auch mehr vom kühlenden Fahrtwind abbekommen haben dürfte.

      „Ja klar, wir können da ja gleich mal im Internet nach einem anderen Helm gucken.“

      „Für gleich habe ich eigentlich schon was anderes geplant“, erwiderte Stone und gab seinem Sozius