Carl Heyd

Papa und die Motorradrocker


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bei mir in der Besenkammer, was allerdings nicht gerade ein angemessener Ort für eine Verstorbene war.

      „Möchtest du nicht vielleicht rauskommen? Ich kann einen Kaffee aufsetzen und ein paar belegte Semmeln vom Bäcker holen.“

      Keine Reaktion, Mutter zog nur für einen winzigen Augenblick ihre Augenbrauen hoch.

      „Es gibt ja auch viel zu erzählen, wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Wie lange bist du jetzt tot … elf Jahre?“

      Mutter schüttelte entschieden ihren Kopf: „Ich bleibe hier im Schrank, basta, also laber mich jetzt nicht voll.“

      Ich schnappte mir den Handfeger und das Kehrblech und schloss die Tür schwungvoll. Das Malheur auf dem Wohnzimmerboden war fast beseitigt, als mein Telefon klingelte. Aha, Manfred wurde im Display angekündigt, anscheinend hatte er endlich seine Mailbox abgehört. Ich war gespannt, in welcher Verfassung er sich befand, denn Manfred war bekennender Quartalssäufer. Wenn er in einer Trunkenheitsperiode steckte, war er praktisch zu überhaupt nichts zu gebrauchen, dann war er dermaßen dauervoll und unansprechbar, dass er sich kaum seine Straßenschuhe zubinden konnte.

      „Papa hier am Smartphone“, meldete ich mich erwartungsvoll.

      „Manfred hier“, erwiderte mein Assistent mit klarer und fester Stimme. Das klang gut, er war offenkundig einsatzbereit.

      „Manni, alte Stasi-Zipfe, ich habe einen Auftrag für dich: Du darfst mich heute Abend zu einer Rockerparty begleiten. Zieh dich entsprechend an. 19 Uhr hier bei mir. Du fährst, ich trinke. Noch Fragen?“

      „Nein, Chef.“

      Das war gut gelaufen. Ich machte mir einen Latte macchiato und setzte mich vor die Glotze. Ob auf den Nachrichtensendern wohl Berichte über das Skelett liefen? Auf n-tv war die Bundeskanzlerin zu sehen, die eine Ansprache vor dem Bundestag hielt, während N24 mit der Wettervorhersage (Hoch Ulrich) glänzte. Ich zappte noch gelangweilt durch die Kanäle, blieb aber nirgendwo hängen, keine Sendung drängte sich so wirklich auf. Nach einiger Zeit schlief ich dann auch auf dem Sofa ein und geriet in einen heftigen Albtraum.

      Vater ?

      Ich befand mich einer Fußgängerzone, irgendwo in einer deutschen Großstadt. Die Geschäfte hatten geschlossen, aber es war noch taghell. Andere Fußgänger konnte ich nicht erblicken, dafür sah ich – etwa fünfzehn Meter von mir entfernt – ein Rudel Hunde, das sich an einigen umgestürzten Abfalleimern sammelte und über dort verstreut umherliegende Lebensmittelreste hermachte. Ich ging näher an die Meute heran. Die Hunde wurden auf mich aufmerksam und wandten sich von den Mülltonnen ab. Das Rudel war recht heterogen zusammengesetzt, ich erblickte Dackel, Golden Retriever, Collies und einige Mischlinge, die jedoch alle eine Gemeinsamkeit hatten: Sie kamen auf mich zu, knurrten bedrohlich und fletschten die Zähne. Mein rechtes Bein wurde warm. Das kam vom Urin, der meine Bluejeans mit einem großen dunklen Fleck einfärbte. So was wäre mir außerhalb eines Traumes natürlich nie passiert, doch Träume sind dann halt doch manchmal etwas unrealistisch …

      Auch mein weiteres Verhalten wäre so im wahren Leben niemals aufgetreten: Ich blieb wie festgenagelt stehen und wartete auf die Hundemeute, die sich bereits bis auf wenige Meter genähert hatte. Warum rannte ich nicht weg? Mein passives Traumverhalten machte mich sauer. An der Spitze der Hundemeute befand sich ein kleiner Dackel, der schien der Chef im Ring zu sein. Seine Schnauze war blutverschmiert.

      „Kannst du Pfeife es noch nicht mal mit ein paar wild gewordenen Straßenkötern aufnehmen?“, hörte ich hinter mir eine bekannte Stimme. Sie gehörte zu meinem Vater, aber ich traute mich nicht, mich umzudrehen.

      „Das sind keine gewöhnlichen Straßenköter, sondern reißende Bestien“, verteidigte ich mich.

      Meinen Vater schien dies Argument nur wenig zu beeindrucken: „Klar, du findest ja auch für alles eine Ausrede. Bei der Prüfung zum Freischwimmer hattest du zu viel Wasser geschluckt, beim Abi war es die verflixte Prüfungsangst, und die paar Schoßhündchen zeigen dir gleich, was eine Harke ist, weil es sich nicht um gewöhnliche Hunde, sondern um reißende Bestien handelt. Du bist ein Verlierer, stell dich doch einfach dieser unumstößlichen Tatsache!“

      Dieser Arsch versaute mir den ganzen Albtraum! Im realen Leben hatte ich ihn seit der Beerdigung meiner Mutter nicht mehr gesehen (es gab auch keine Telefonate, Postkarten, E-Mails, SMS oder Telefaxe), aber anstatt mir die Möglichkeit zu geben, ihn komplett zu verdrängen, drang er in regelmäßigen Abständen in meine Traumwelt ein und demotivierte mich dort mit seinen zynischen Kommentaren. Vielleicht hätte ich ja ohne seine schlauen Sprüche noch irgendwie die Kurve bekommen, hätte eine Waffe aus der Tasche gezogen und die Hunde, einen nach dem anderen, mit Grandezza abgeknallt. Oder ich wäre mit fast übermenschlicher Geschwindigkeit davongelaufen, so schnell, das selbst die Hunde keine Chance gehabt hätten, an mir dranzubleiben. Doch auch in Träumen haben wir kein Hätte-wäre-Land, und so verwunderte mich das Finale nicht besonders: Einem der Hunde gelang es, mich zu Boden zu werfen, und nahezu zeitgleich stürzte sich die Meute auf mich. Überall wurden rasiermesserscharfe Zähne in meinen Körper gerammt, die Schmerzen waren unerträglich. Ich erwachte klitschnass – was allerdings auch von der immensen Hitze, die an diesem Juli-Tag herrschte, herrühren konnte.

      Die Pasing Devils

      Manfred kam pünktlich, um mich abzuholen. „Da bin ich, Chef – zu allen Schandtaten bereit“, begrüßte er mich freudig.

      Er hatte sich ähnlich aufgestylt wie ich: Bluejeans, halbhohe Lederstiefel und ein weißes T-Shirt, und eine abgewetzte Lederjacke hielt er noch in den Händen. Wir sahen nicht einmal ansatzweise aus wie Motorradrocker, aber das war egal.

      So machten wir uns auf zu Mannis VW Passat, der vorausschauend unter einer großen Eiche geparkt war. Im Inneren war es angenehm kühl, und die Klimaanlage sollte diesen Zustand auch während der gesamten Fahrt aufrechterhalten. Ich instruierte meinen Assistenten, worum es bei dem Auftrag im Groben ging.

      „Ich habe das zwar so noch nicht mit Moreno abgesprochen, aber mein Plan geht in die Richtung, dass wir dem Filius den Spaß an den neuen Freunden verderben. Wenn wir das Bild, das er von den Pasing-Devils hat, über den Haufen werfen, wird er sich enttäuscht von ihnen abwenden. So ähnlich wie damals bei der Achtzehnjährigen, die sich dieser komischen Sekte in Frankreich angeschlossen hatte. Du erinnerst dich noch, oder?“

      Manfred bejahte und merkte an: „Wenn man vielleicht rausfinden würde, dass einer von den Rockerchefs ein Homo ist, würde das doch vielleicht schon reichen, oder?“

      Ich guckte auf die Uhr. Manfred war jetzt nach circa dreizehn Minuten auf sein Lieblingsthema Homosexualität zu sprechen gekommen – ein eher durchschnittlicher Wert, den ich dennoch in der Notizen-App meines Smartphones eintrug.

      Ich war schon auf die nächste Monatsauswertung, die für den Juli, gespannt, die sollte dann auch endlich wieder ein repräsentatives Bild ergeben. Der Juni hatte ja aufgrund einer zweiwöchigen Urlaubsabwesenheit von Manfred (Thüringer Wald, viel gewandert) nur sehr wenige Zahlen mit geringer empirischer Aussagekraft geliefert.

      „Von hinten kommt das Skelett angedonnert, Chef!“

      Ich schaute in den fleckigen Rückspiegel. Wir standen an einer roten Ampel, die Geschwindigkeit des heranbrausenden Skeletts nahm jedoch nicht ab, eher noch zu. Die rote Ampel geflissentlich ignorierend, überholte uns das Skelett links und durchquerte mit mehr Glück als Verstand den kreuzenden Verkehr. Das war knapp!

      „Was hatte das Skelett denn da auf den Rücken geschnallt?“, fragte ich. Vielleicht hatte Manfred das ja vom Fahrersitz aus besser erkennen können.

      „Das sah aus wie eine Schrotflinte oder so was in der Richtung …“

      Mich überkam ein leichter Schauer. Was hatte das Skelett bloß vor? Woher kam es, was wollte es mit der Waffe und warum, zum Teufel noch mal, lief bzw. fuhr es mir ständig über den Weg?

      „Laut Navi sind es jetzt noch etwa zwei Kilometer, dann haben