Carl Heyd

Papa und die Motorradrocker


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zu platzieren. Aber das ist ja auch im Grunde genommen egal. Papa und Mama werden sich nie wieder verstehen können. Aber wir beide, wir sind doch nach wie vor noch Kumpels, oder? Wir zwei verstehen uns und würden auch nie (und ich betone: nie!!!) auf die Idee kommen, nur noch mithilfe irgendwelcher promovierter Arschlöcher mit abgeschlossenem Jurastudium miteinander zu kommunizieren, oder? Deine Mama sah/sieht das anders, dabei war das nie, aber auch wirklich niemals notwendig. Ich hoffe, das siehst Du auch so ähnlich vernünftig wie ich, kleine Maus. Und Du möchtest bestimmt auch am Leben Deines Papas teilhaben, da bin ich mir ebenfalls sicher. Und genau das kriegen wir auch hin.

      Ich werde Dir nämlich in regelmäßigen Abständen von meinen aufregenden Abenteuern berichten, die mich zum Teil über den ganzen Erdball führen. Dein Papa hat es zu tun mit skrupellosen Geiselgangstern, blutgierigen Zombies, sexgeilen Spätaussiedlern, abartigen Serienkillern und pädophilen Vampiren. Da ist jede Menge Spannung und Aufregung garantiert.

      Und ich bin mir verdammt sicher, dass Du nach der Lektüre meiner Abenteuer nicht (mehr) der Meinung sein wirst, dass Dein Vater ein „großkotziger Vollprolet“ oder „ständig besoffenes oder bekifftes James-Dean-Double“ ist (O-Ton Deiner Mutter). Vielleicht wirst Du Deinen Papa auch dann noch als etwas schwierig empfinden – okay, das kann passieren, ich polarisiere halt schon ein wenig. Aber in einem kannst Du Dir absolut sicher sein: Dein Papa liebt Dich über alles! Ich liebe Dich mehr als mein Feierabendbier, mehr als meine Heimatstadt und sogar mehr als meinen Fußballverein.

      Doch selbst konntest Du bisher noch keine Liebe zu mir entwickeln, und dafür habe ich auch volles Verständnis. Ich kann jetzt auch nicht erwarten, dass sich daran von heute auf morgen etwas ändern wird, doch vielleicht bekommen wir es ja hin, dass Du zumindest etwas Verständnis für Deinen Vater entwickelst, und daraus kann dann später mal Sympathie werden – und noch später dann vielleicht sogar echte und tief gehende Tochter-Vater-Liebe, das hoffe ich zumindest sehr.

      Doch im Moment sollten wir uns zunächst auf den ersten Schritt konzentrieren.

      Wer ist Dein Papa – jenseits aller Anschuldigungen und Polemik vonseiten Deiner Mutter – wirklich? Beginnen möchte ich mit der Geschichte, die – zumindest aus meiner persönlichen Erinnerung heraus – der Startschuss zum Aufbruch in eine neue Welt war. Auf einmal war vieles anders und nur wenig besser. Unsere Realität wurde durch eine neue Form der Realität ersetzt, mit der wir nicht nur gewisse Anlaufschwierigkeiten hatten, sondern bis heute noch keine echte Freundschaft schließen konnten. Für mich begann das Ende der alten Welt ganz harmlos mit einem heißen Latte macchiato in einem Münchener Straßencafé …

      Treffen mit Moreno

      „Ihr Latte macchiato, der Herr …“ Schwungvoll stellte der flinke Kellner das Tablett mit dem heißen Glas auf den Aluminiumtisch, an dem ich noch allein saß. Für zehn Uhr hatte ich mich mit einem Klienten verabredet, der mir ein lukratives Honorar einzubringen versprach. Fast andächtig hatte meine Sekretärin dessen Namen geflüstert, nachdem sie den Termin ausgemacht hatte: Peter Moreno … Peter Moreno, der Name sagte mir natürlich sofort etwas, der war schließlich fast täglich in der heimischen Lokalpresse präsent, und das zumeist mit wenig originellen Absichtserklärungen der Sorte: „Die U-Bahn muss sicherer werden!“, oder: „Die Freibäder müssen unseren Bürgern erhalten bleiben!“

      Originell war der Typ wahrlich nicht, und seine Partei schon lange nicht mehr. Die war einst mit dem Anspruch gestartet, eine Alternative zum sonstigen Politikzirkus darzustellen, doch davon war nicht mehr allzu viel übrig. Und auch optisch war Moreno nicht mehr von den Vertretern der anderen Parteien zu unterscheiden: Er näherte sich meinem Tisch mit gepflegtem Kurzhaarschnitt, perfekt sitzendem grauen Sakko und der Gewissheit, gleich den vielleicht besten Privatdetektiv der Stadt konsultieren zu dürfen.

      „Sind Sie Papa?“, fragte er, mich interessiert musternd. Ich nickte ihm zu und wies mit einer kurzen Handbewegung auf den freien Stuhl an meinem Tisch. Mit sichtlichem Unwohlsein nahm Peter Moreno Platz.

      „Sind wir hier auch wirklich ungestört? Man kennt mich, die Presse in dieser Stadt lauert überall. Können wir nicht vielleicht einen etwas diskreteren Ort aufsuchen?“

      Hoffnungsvoll schaute er mich an. Die anderen Tische des Straßencafés waren um diese Zeit noch unbesetzt, aber hier und da schlängelten sich Fußgänger an den Tischreihen vorbei. Die zahlreichen Boutiquen der näheren Umgebung zogen insbesondere betuchte Damen an, die zum Teil schon stolz ihre fette Beute in bunten Tragetaschen mit edel klingenden Beschriftungen umhertrugen.

      „Noch können wir uns hier ja ungestört unterhalten, und wenn der große Ansturm kommt, dann gehen wir halt rein und setzen uns wie ein frisch verliebtes Pärchen in eine Nische“, entgegnete ich.

      Gefühlt waren es – trotz der noch recht frühen Tageszeit – an die dreißig Grad, mit denen wir zu kämpfen hatten. Schon seit Tagen herrschten tropische Temperaturen. Ventilatoren und Klimageräte waren im normalen Handel längst ausverkauft und wurden fast nur noch bei eBay, und dann zumeist zu absoluten Wucherpreisen, angeboten. Ganz Deutschland schwitzte, und es war schon von einem Jahrhunderthoch die Rede. So mancher wurde ob der Hitze aber auch etwas rammdösig im Kopf: Die Polizeidienststellen vermeldeten bereits einen deutlichen Anstieg der Verkehrsunfälle, und auf bild.de wurde gar von einem Selbstmörder aus Berlin berichtet, der wenige Augenblicke vor seinem Sprung von einem Hochhaus getwittert haben soll: „Mir ist es irgendwie zu warm heute …“

      Peter Moreno bestellte einen Milchkaffee und ein kleines Mineralwasser. „Schießen Sie los, womit kann ich einem aufstrebenden Kommunalpolitiker behilflich sein?“, versuchte ich ihn zu ermuntern, während er nachdenklich auf seiner Unterlippe kaute.

      „Ich weiß, dass ich offen mit Ihnen reden kann, Papa. Sie sind mir schon von einigen Parteifreunden empfohlen worden, in Ihrem Job sollen Sie einer der Besten sein.“

      Das bejahte ich eifrig und signalisierte Moreno durch eine kurze Handbewegung, weiterzureden.

      „Auch Ihre Honorarvorstellungen sind mir bekannt: tausend Euro pro Tag, exklusive Spesen natürlich, dazu weitere fünfhundert Euro pro Tag, wenn Sie Ihren Assistenten mit ins Boot nehmen.“

      „Das stimmt“, erwiderte ich mit einem schelmischen Lächeln, „der kommt aus den neuen Bundesländern und ist daher deutlich günstiger.“

      Moreno verzog keine Miene: „Auch von Ihrem zuweilen bizarren Verhalten wurde mir schon berichtet, Sie werden mich also nicht so ohne Weiteres schocken können.“ Auf diese Spitze reagierte ich nicht.

      „Der Fall ist so“, fuhr er fort, „dass ich meine politische Karriere auf ein neues Level bringen möchte. Meine Partei befindet sich im Moment auf einem absoluten Höhenflug, der weitere Wahlerfolge nach sich ziehen kann und auch wird. Wir sind von einer Protestpartei mit begrenztem Wählerpotenzial zu einer Partei geworden, die für die Mehrheit der Bevölkerung wählbar geworden ist, was unserer Zielstrebigkeit, unserer Glaubwürdigkeit und nicht zuletzt unserem Pragmatismus zu verdanken ist, die Probleme unseres Landes zu erkennen und zu lösen. Wir sind auf dem Weg zu einer wahren Volkspartei!“, trug er mit einem Funkeln in den Augen vor, das mir sogar ein wenig Angst bereitete.

      Ich beschloss jedenfalls, mir seine Ansprache nicht länger anzuhören: „Sie brauchen hier keinen Wahlkampf zu machen, Moreno, ich werde Sie und Ihre Froschtransporteure eh nicht wählen. Kommen Sie auf den Punkt: Wofür brauchen Sie einen Privatschnüffler?“

      Moreno war wegen meiner Unterbrechung nicht etwa angesäuert, als Politiker kannte er dies Gefühl – nicht zuletzt aus den spätabendlichen TV-Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – zur Genüge.

      „Nun gut, ich werde abkürzen: Ich kann mir auch als Grüner keine Skandale in meinem Privatleben erlauben. Und genau da kommen sie ins Spiel, Papa. In den letzten Wochen und Monaten wurde fast täglich etwas über Motorradrocker geschrieben und gesendet, und das in der Regel wenig schmeichelhaft. Mord, Raub, Erpressung, Prostitution und Drogenhandel sind die Begriffe, die man mittlerweile in der Öffentlichkeit mit Motorradgangs in Verbindung bringt, und insofern passt es mir natürlich auch überhaupt nicht in den Kram, dass sich