Carl Heyd

Papa und die Motorradrocker


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ich, mein Wissen über Motorradrocker zu sortieren – was wusste ich über das Thema überhaupt? Nicht wirklich viel, dämmerte es mir. Als Jugendlicher war ich häufiger mal in einer Diskothek, die ein Sammelbecken der unterschiedlichsten Subkulturen darstellte, da traf sich einfach alles: Punks, Popper, Gothic-Jünger – und eben auch ein paar Motorradrocker. Die waren auf der Tanzfläche allerdings nie anzutreffen, sondern saßen meistens nur trinkend und rauchend an den ein bis zwei Tischen, die sie in Beschlag genommen hatten. Oder sie standen draußen fachsimpelnd bei ihren Kisten. Ärger gab es mit denen meines Wissens nach nie. Mit achtzehn Jahren kaufte ich mir dann selbst ein Motorrad, allerdings eine japanische Rennmaschine, keinen amerikanischen Chopper – womit meine Nicht-Rocker-Karriere natürlich vorprogrammiert war. Viele Begegnungen mit Rockergangs fanden dann auch nicht mehr statt, und wenn doch, verliefen diese eher unauffällig und unspektakulär.

      „Und ist Ihr Sprössling bei den Angels oder Bandidos gelandet?“, erkundigte ich mich bei Moreno. Mittlerweile hatte sich das Café ein bisschen mehr gefüllt, aber es war noch niemand erkennbar auf den prominenten Moreno aufmerksam geworden.

      „Nein, weder noch. Die Gang nennt sich Pasing-Devils, und sie haben auch ein richtiges Clubhaus. Mein Sohn ist da so eine Art Anwärter oder Auszubildender, das heißt, dass er die Drecksarbeit für die Typen macht: Motorräder putzen, bei den Partys kellnern und so weiter. Wenn meine Frau oder ich mit ihm darüber reden wollen, macht er sich meistens nur über uns lustig. Er lebe nun mal seinen Traum von Freiheit und Abenteuer, und das könnten wir als verklemmte Spießbürger naturgemäß nicht verstehen. Seine Ausbildung zum IT-System-Kaufmann hat er längst abgebrochen, stattdessen lässt er sich eine martialische Tätowierung nach der anderen stechen.“

      Passend zum Thema unserer Unterhaltung vernahmen wir das viel zu laute Dröhnen eines Motorradmotors. Das war garantiert nicht mehr legal. Neugierig guckte ich auf die Hauptstraße, das gewaltige Dröhnen näherte sich von links, und urplötzlich war dann auch das dazugehörige gar nicht einmal so furchtbar ungewöhnliche Motorrad zu sehen: ein Chopper in Schwarz mit viel Chrom. Als Basis diente vermutlich ein Modell der Firma Harley-Davidson, an dem vieles umgebaut worden war: Die ultralange Gabel zum Beispiel war garantiert nicht Serie. Aber wer fährt eine Harley auch schon im Serienzustand? Customizing lautet die Devise. Der Fahrer des Bikes schaute in unsere Richtung und formte mit Zeige- und Mittelfinger das Victory-Zeichen, bevor er aus unserem Blickwinkel verschwand.

      Das Ungewöhnliche daran war vor allem, dass weder Zeige- noch Mittelfinger mit Fleisch bedeckt waren: Auf dem Motorrad saß ein menschliches Skelett, das ohne Helm, aber dafür mit einem Paar abgewetzter Cowboystiefel unterwegs war.

      Moreno und ich sahen uns an, einige der anderen Gäste hatten sich von ihren Plätzen erhoben und liefen zur Straße, um vielleicht noch einen letzten Blick auf die kuriose Motorrad-Fahrer-Kombination erhaschen zu können.

      „Wahrscheinlich ein Werbegag oder so. Neulich lief im C&A einer im Spiderman-Kostüm rum, der machte Werbung für den neuen Kinofilm“, merkte ich an und widmete mich wieder meinem neuen Fall.

      Pasing-Devils – von denen hatte ich noch nie etwas gehört. Da würde ich zunächst einmal ein paar Informationen einholen müssen, was jedoch aufgrund meiner Kontakte zur Polizei und Unterwelt kein unüberwindbares Problem darstellen sollte. Ich besprach mit Moreno noch einige Modalitäten finanzieller Art und stellte ihm einen Anruf für den Abend in Aussicht.

      „Sie hören von mir, Moreno.“ Ich verabschiedete mich ohne Händedruck von dem Politiker.

      Erste Recherchen

      Nur wenige Stunden später war das Skelett schon zum Hit auf YouTube geworden: Einige Dutzend Videos existierten, die mal mehr und mal weniger scharf das skurrile Ereignis vom Vormittag zeigten. Die Presse spekulierte – ähnlich wie ich –, dass es sich dabei um einen Werbegag handeln könnte, doch niemand wollte sich dazu bekennen.

      Der Motorradhersteller Harley-Davidson gab rasch über seinen deutschen Pressesprecher eine Erklärung ab, in der die Firma jedwede Verantwortung von sich wies: „Die Harley-Davidson Germany GmbH erkennt an, dass die heutigen Ereignisse in München mit einem Motorrad in Zusammenhang stehen, das auf einem unserer Modelle basiert. Wir streiten aber entschieden jegliche Mitwirkung an dieser Aktion ab. Marketingaktionen mit Skeletten würden auch nicht im Einklang mit unserer Firmenpolitik stehen.“ Soweit die offizielle Presserklärung.

      Als die Mikrofone abgestellt waren, gab es indes noch einen recht bemerkenswerten Ausspruch des Pressesprechers, der ihm sichtliches Vergnügen bereitete: „Der Umstand, dass das Skelett auf einer Harley unterwegs ist, zeigt natürlich vor allem eins: Das Skelett ist eine absolut coole Sau.“

      Auch der einzige nennenswerte deutsche Hersteller von Motorrädern äußerte sich rasch zu den Vorkommnissen: „Wir bauen keine Chopper, außerdem sähe ein Skelett mit Klapphelm wahrscheinlich ziemlich doof aus.“

      Ich erwischte meinen Freund Gero noch daheim übers Festnetz.

      „Papa hier am Smartphone, ich brauche mal wieder deine Hilfe, alter Freund.“

      „Viel Zeit habe ich nicht, in zehn Minuten muss ich zur Spätschicht. Worum geht’s?“

      „Ich brauche von dir ein paar Informationen über einen Motorradclub, der sich Pasing-Devils nennt. Hast du von denen schon mal was gehört?“

      Für ein paar Sekunden war Funkstille, bevor Gero mit einem lang gezogenen „Hmmm“ dass Gespräch wiederaufnahm.

      „Pasing-Devils … das sagt mir leider nichts. Ich kann mich aber gern bei einem Kollegen umhören, der fast nur noch mit diesen komischen Rockergruppen zu tun hat. Den werde ich mir heute mal schnappen. Wie sehr eilt die Info, Papa?“

      „Ziemlich“, entgegnete ich. Wir tauschten noch ein paar Belanglosigkeiten aus und verabschiedeten uns dann.

      Gero Osthold war Zeit seines Lebens die personifizierte Zuverlässigkeit, und so war ich auch nicht sonderlich verwundert, als er sich bereits eine knappe Stunde später bei mir zurückmeldete: „Ich habe meinen Kollegen schon abfangen können. Alles wenig spannend: Die Pasing-Devils werden von den meisten anderen Motorradclubs nur müde belächelt, sie gelten bei denen als Poser. Die meisten von denen haben Familie, arbeiten in bürgerlichen Berufen als Dachdecker, Lkw-Fahrer, Steuerfachangestellte oder sonst was. Die sind polizeilich bisher überhaupt noch nicht in Erscheinung getreten, also alles harmlos, da ist nichts mit krimineller Organisation. Obwohl …“ Ich hörte am anderen Ende ein belustigtes Glucksen, das schnell zu einem lauten Lachen anwuchs. „… der Präsi von denen arbeitet als Versicherungsvertreter. Da haben wir jetzt ja doch eine Schnittstelle zum organisierten Verbrechen gefunden.“

      „Gero?“

      „Ja?“

      „Du hast einen Witz gemacht, weiter so!“, lobte ich meinen ansonsten zumeist todernsten Freund, bevor ich mich bei ihm bedankte und mich verabschiedete.

      Meine eigenen Internetrecherchen hatten nur wenig ergeben: Die Pasing-Devils verfügten zwar über eine Webseite, aber die meisten Inhalte waren noch „under construction“, nur eine Kurzbeschreibung des Clubs war verfügbar sowie einige Bilder von Partys und Motorradtouren. Aus dem knapp gehaltenen Text ging hervor, dass der Motorradclub (erst) 2002 ins Leben gerufen wurde und (natürlich) eine der letzten Bastionen wahrer Männer darstellt. Interessierte Biker mit Harley (aber auch Fahrer japanischer Chopper) seien jederzeit herzlich willkommen, den Verein und seine lustigen, geselligen Member kennenzulernen. An jedem zweiten Freitag im Monat war ein offener Abend im Clubhaus angesetzt. An jedem zweiten Freitag im Monat – das war schon morgen. Perfektes Timing, der Termin passte mir gut. Und eine Lederjacke hatte ich garantiert auch noch irgendwo im Schrank hängen.

      Das Skelett schlug im Internet nach wie vor hohe Wellen. Noch hatte sich niemand geoutet, hinter der Aktion zu stecken, aber die deutliche Mehrheit der User glaubte nach wie vor an eine natürliche und logische Erklärung. „Garantiert ein kostümierter Stuntman, der Werbung für eine Show oder einen Freizeitpark macht“, postete etwa Megalo7766 in einem Internetforum für übersinnliche Phänomene. Von der Existenz