Wasserkessel, mit dem scheinbar schon in grauer Vorzeit das Wasser für den Tee gekocht wurde, fand sie noch eine Packung Kekse und stopfte sie in die Tasche, während sie die Kellertreppe hinauflief.
In der großen Wohnküche angekommen stieß Pia-Lotta auf ihre Großmutter, die am großen Küchentisch stand und Brötchen schmierte. Die Großmutter wickelte die Brötchen ein und gab sie Pia-Lotta.
„Steck die Brötchen ein. Sicher wirst du Hunger bekommen. Und dann ist es gut, wenn du was dabei hast.“ Pia-Lotta nahm gerade eine Flasche Milch aus dem Kühlschrank.
Auf dem Weg zu Lukas traf Pia-Lotta auf Emil und erzählte ihm die Geschichte von Elvira und Jakob und ihren Entenkindern. Und natürlich von Oskar, dem Hund von Lukas, der schon seit zwei Tagen nicht mehr nach hause gekommen ist.
„Cool!“ rief Emil. “Endlich mal wieder was los hier in diesem kleinen Kaff. In Holdersum ist es in den Ferien sterbenslangweilig, wenn du nicht da bist.“ Emil brachte eilig das weiße Schaukelpferd mit schwarzer Mähne und rotem Sattel, dass er für seine kleine Schwester Mika beim alten Meister Muck abgeholt hatte, nach hause und war wenige Minuten später, ebenfalls mit Rucksack und Proviant bepackt, zurück.
Gemeinsam liefen Pia-Lotta und Emil zu Lukas, der vor seinem Haus saß und auf eine alte Postkarte schaute.
„Die ist von meiner Tochter. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Kanada. Das war die Letzte, die ich von ihr bekommen habe und das ist auch schon ein Weilchen her. Und nun ist auch noch Oskar weg.“ Lukas zog an seiner Pfeife.
„Ich glaube, Lukas ist echt einsam“, sagte Emil leise zu Pia-Lotta und stieß sie mit dem Arm an.
„Wir werden Oskar finden und ihn ganz bald zu Dir zurückbringen“, sagte Pia-Lotta zu Lukas. Sie war zu Lukas an die Bank herangetreten und hatte ihren Arm um den alten Mann gelegt. Vorsichtig drückte sie Lukas einen Kuss auf die Wange und hatte ihn auch schon wieder losgelassen, nahm Emil an die Hand, zog ihn stürmisch hinter sich her und rief im Davonlaufen Lukas ein „Bis bald!“ zu.
3
Pia-Lotta und Emil waren eine Weile am See entlang gelaufen und hatten nach Oskar gerufen. Da begann es leicht zu regnen. Die Kinder schauten sich um, aber sie konnten keinen Unterschlupf für den Regen entdecken.
„Oskar! Oskar!“ riefen Pia-Lotta und Emil weiter. Es wurde am Himmel immer dunkler und der Regen wurde langsam stärker.
„Na, klasse!“ schimpfte Emil. „Lass uns ein bisschen schneller laufen. Wir werden sonst ganz nass.“
Pia-Lotta rief weiter nach Oskar.
„Vielleicht finden wir ja hinter der nächsten Kurve was zum Unterstellen!“ rief Pia-Lotta Emil zu und lief immer schneller. „Komm, sonst werden wir noch richtig nass.“
Emil lief nun auch los. Die Kinder waren jetzt in den kleinen dunklen Wald gelaufen.
„Jetzt werden wir wenigstens nicht mehr so nass.“ Pia-Lotta blieb stehen.
„Ich kann nicht mehr“, stöhnte sie und war völlig aus der Puste.
„Nicht schlapp machen!“ forderte Emil seine Freundin auf. „Stell dir vor, es fängt gleich noch an zu blitzen und donnern, dann wird es hier richtig gefährlich für uns.“
„Wieso, wir sind doch unter Bäumen. Da kann uns doch gar nichts passieren!“ Pia-Lotta schaute ihren rothaarigen Freund an und dachte, dass jetzt wahrscheinlich wieder eine seiner klugscheißerischen Predigten mit erhobenem Zeigefinger kommen würde.
Und tatsächlich!
„Pia-Lotta!“ Emil hatte sich umgedreht und vor Pia-Lotta aufgebaut. Er schaute das Mädchen streng an. „Habt ihr das denn nicht in der Schule gelernt?“ Beide Kinder waren zehn Jahre und gingen auf das Gymnasium.
„Was?“ fragte Pia-Lotta angestrengt. Natürlich hatten sie in ihrer Schule schon über Gewitter gesprochen. Aber was wollte Emil denn jetzt von ihr hören.
„Na, dass Verhalten bei Gewitter.“ Emil schaute seine Freundin fragend an.
„Wir haben mal gelernt ... Moment wie war dieser Spruch noch.“ Pia-Lotta überlegte. „Ach ja, vor den Eichen sollst du weichen und die Weiden sollst du meiden ... Äm, ich glaube Buchen sollst du suchen, oder so ähnlich...“
„Lebensgefährlich! Vergiss es! Wie gut, dass du dir das nicht so recht gemerkt hast!“ Emil war entsetzt. „Das ist lebensgefährlich!“ wiederholte er.
„Hast du noch nie gehört, dass man bei Gewitter offene Gelände, Hügel, offene Gewässer, Türme, Höhlen und so weiter meiden soll? Dazu gehören natürlich auch Bäume.“ Emil hob seinen Zeigefinger und sagte nun mit Nachdruck: „Und zwar alle Bäume.“
Pia-Lotta schüttelte schüchtern den Kopf. Aber so dumm war sie dann doch nicht.
„Emil, dann lass uns weiter laufen und einen geeigneten Schutz suchen. Wir stehen doch hier im Wald unter lauter Bäumen.“ Sie nahm seine Hand und zog ihn aus dem Wald.
Am Waldrand blieb Pia-Lotta plötzlich stehen.
„Und nun?“ Sie schaute sich um. „Da ist ein Strommast. Vielleicht ...“
„Denk nicht mal daran. Alles was besonders hoch und direkt mit der Erde verbunden ist, ist bei Gewitter absolut tabu“, stoppte Emil sie.
„Warum das?“ wollte Pia-Lotta nun wissen.
„Blitze schlagen besonders häufig in hohe Objekte ein, gerade, wenn sie frei stehen. Wenn die Grundfläche des Objekts klein ist, ist die Potentialdifferenz des Bodens in seiner unmittelbaren Nähe besonders groß und die mögliche Schrittspannung besonders hoch.“
„Und was heißt das jetzt für mich normalsterbliches Stadtkind, Albert Einstein?“ Pia-Lotta hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt.
„Ach Pia-Lotta! Muss ich dir denn alles erklären?” Emil wurde ein bisschen ärgerlich.
„Nur wenn du dich immer so kompliziert ausdrückst, als hättest du ein Chemiebuch verschluckt!“
„Physik!“ entgegnete Emil. „Es ist Physik und nicht Chemie!“
„Ist doch auch egal!“
„Ist es nicht! Wenn nämlich die Leitfähigkeit des Objekts eingeschränkt ist z.B. wie bei Bäumen, besteht die Gefahr durch umherschleudernder abgesprengter Teilchen und der Austritt des Blitzes in Bodennähe.“
„Ach Emil, ich verstehe immer noch nicht, was du mir sagen willst.“
„Der Blitz, der elektrisch aufgeladen ist, schlägt an der höchsten Stelle in den Baum ein, sprängt eventuell Teile ab, die herumfliegen und dich treffen können. Die sind natürlich auch elektrisch aufgeladen und können dich verletzen. Der Baum kann aber auch Feuer fangen. Oder der Blitz trifft nicht den Stamm, sondern nur die äußeren Äste und tritt dann neben dem Stamm aus dem Baum heraus und kann dich dann ebenfalls verletzen oder sogar töten.“
„Und was machen wir jetzt?“
Emil fuhr fort: „Stichwort: Faradayscher Käfig? Klingelt es jetzt?“
„Aha, Fara ... was?“ Pia-Lottas Gesichtzüge entglitten ihr jetzt völlig. Donnergrollen war in der Ferne zu hören.
„Faradayscher Käfig! Fahrzeuge mit geschlossener Metallkarosserie, also keine Cabrios, und viele Gebäude mit Blitzschutzsystem wirken so. Sie bieten dir also optimalen Schutz.“ Emil holte tief Luft und wollte gerade zu einem Vortrag ansetzten, da winkte Pia-Lotta ab.
„Ich frage besser nicht mehr, sonst stehen wir morgen noch hier oder uns hat der Blitz schon erschlagen. Lass uns lieber überlegen, was wir jetzt machen.“
„Naja, uns muss schon bald was einfallen!“ Emil schaute sich um. Weit entfernt blitzte es einmal auf.
„Also, lass mich mal zusammenfassen. Wir sollen hier draußen alles