Andreas Nass

Sündige Herrschaft


Скачать книгу

nichts mehr ausrichten und wir folgten weiter der Handelsstraße.

      Nach knapp drei Stunden hörten Moi’ra und ich, wie sich in weiter Ferne etwas Großes, Riesiges durch den Wald bewegte. Da wir nicht bis zum Einbruch der Nacht die Stadt Ostmark erreichen konnten, ritten wir weiter über den Trampelpfad, bis wir an einer Verbreiterung rasteten, die auch als Ruheplatz gedacht war. Mehrere ältere Feuerstellen fanden sich hier und auch einige zurück gelassene, aber beschädigte Gefäße.

      Als Wogar gerade in sein Trockenfleisch beißen wollte, bemerkte er neben sich ein kleines Tier mit langem Schwanz und roten Schuppen. Es sah aus wie ein kleiner, roter Drache, und seine winzigen Klauenhände waren hoch gereckt.

      »Äffz«, krächzte das Wesen, »Hung, Hung.«

      Verdutzt sahen wir hinab. Die kindlich großen Augen mussten in dem stattlichen Halbdrachen Vatergefühle geweckt haben, denn nach kurzem Blinzeln reichte er dem Drachenkind einen Streifen vom Dörrfleisch.

      »Mpf«, kaute der Kleine und schon war die Ration verschwunden. Die Kulleraugen gierten nach mehr. »Leck! Leck! Äffz?«

      »Hm«, dachte Wogar laut, »wenn der weiter so frisst, wird er so dick werden, dass er nicht fliegen kann.«

      »Flie? Flie? Uh!«, eifrig wedelte das Wesen mit seinen kleinen Flügeln, doch an ein Abheben war gar nicht zu denken.

      »Ha«, lachte unser Gefährte, »für den Anfang gar nicht schlecht. Bestimmt ist der Odem schon furchterregend!«

      »Pfft«, pustete der kleine Drache und eine winzige Flamme bildete sich vor der breiten Schnauze.

      Jetzt waren wir es, die lachten.

      »Ich glaube, da haben sich die beiden richtigen gefunden«, befand ich und erntete von meinen Weggefährtinnen zustimmendes Nicken. »Du solltest dich seiner annehmen, Wogar, sonst fackelt er noch aus Versehen den ganzen Wald ab.«

      »Wie heißt denn du, Kleiner?«, grunzte der Halbdrache.

      »To?«, zuckte das Geschöpf mit den Schultern und legte seine Flügel an.

      »Gib du ihm doch einen Namen«, schlug Moi’ra vor.

      »Das hätten eigentlich deine Eltern machen sollen«, sagte der neue Ziehvater.

      »Vielleicht bist du …«, deutete ich an und wir Frauen lachten, bis uns die Tränen kamen.

      »Ja, lacht nur«, fauchte der Halbdrache, »ich werde mich jedenfalls um den Kleinen kümmern. Legt euch schlafen, ich übernehme die erste Wache.«

      Immer wieder von kurzen Lachkrämpfen geschüttelt kuschelte ich mich mit Yana und ihrem schwarzen Kater unter eine Decke und schlief wohlig gewärmt ein.

      Mitten in der Nacht hörte ich Wogar reden, und eine sehr tiefe Stimme schallte aus großer Höhe zu uns hinab. Ich richtete mich auf und sah den Glaubenskrieger neben einem gewaltigen Bein stehen.

      Ein Waldriese hatte sich unbemerkt genähert und das Gespräch aufgenommen.

      »… und mein Name ist Wulock«, donnerte der Riese freundlich. »Ich streife hier mit zwei weiteren Hütern durch den Wald, und als ich die Spuren der Reittiere fand, war ich neugierig, wer denn Neues in den Wald gekommen ist.«

      »Geht denn eine Bedrohung von dem Wald aus, dass Ihr hier Streife geht?«, fragte Wogar.

      »Nein«, kam dröhnend die Antwort, »der Wyrm schläft schon seit langem und so ist der Wald sehr friedlich.«

      »Hallo, Wulock«, gab ich mein Erwachen zu erkennen, »wie schön, Eure Bekanntschaft zu machen. Ihr seid ein Hüter des Waldes?«

      »Dem ist so.« Er überblickte unser kleines Lager. »Und von wem kann ich meinem Dorf berichten?«

      »Sagt ihnen, die neuen Herren der Ostmark sind eingetroffen. Ich bin Crish, und mit Wogar habt Ihr bereits gesprochen. Die Markgräfin Moi’ra befindet sich dort, und Yana hier ist meine Gefährtin.«

      »Welch überraschend freudige Kunde«, tönte sein tiefer Bass. »Ich werde die Nachricht weitergeben und alsbald mir möglich Ostmark besuchen.«

      »Ihr seid gerne eingeladen«, bot ich an. »Da Ihr ein Hüter der Gegend seid, so sind Euch doch sicherlich einige besondere Orte bekannt. Wir haben lediglich eine Karte und einige Informationen über die Dörfer erhalten.«

      »Zeigt mir doch bitte die Karte, dann werde ich einige Örtlichkeiten vermerken.« Mühelos setzte sich der Riese auf den Platz und studierte im fahlen Licht einer Fackel das in seinen Händen winzige Stück Papier.

      »Hier«, deutete er mit seinem kleinsten Finger an, so groß wie meine ganze Hand, »liegt das Lager der Nachtelben. Und hier unten sind die Trollsiedlungen. Die Ortschaften sind bereits eingetragen, aber die Waldränder stimmen nicht mehr.« Er reichte mir die Karte. »Der Wald ist beunruhigend, neuerdings. Er wächst, viel schneller, als in der Vergangenheit. Dabei sind die Stämme im Norden stark und gesund, im Süden schleicht sich jedoch eine Krankheit durch den Wald. Eine Erklärung dafür kann ich nicht geben, aber die Zeichen sind eindeutig.«

      »Das sind wahrlich keine guten Nachrichten«, bestätigte ich betroffen, »aber ich danke Euch für diese Information. Wo können wir Euch finden?«

      »Unsere kleine Siedlung liegt hier, Nordöstlich der Stadt, wo neben meinen Hütten auch die einiger Oger zu finden sind. Dort leben auch die drei Hexen der Ostmark.«

      »Die Hexen leben unter euch?« Verwundert zog ich eine Augenbraue hoch.

      »Nicht ganz«, korrigierte mich Wulock väterlich, »sie hausen in einer Höhle direkt in der Nähe unserer Siedlung. Sie waren schon dort, als ich noch ein kleiner Riese war. Im Süden streunen viele urtümliche Wesen durch den Wald und über offene Felder.«

      »Vielleicht wegen der kranken Natur der Narbenlande?«, mischte sich die erwachte Moi’ra in das Gespräch.

      »Ja«, brummte Wulock, »das wäre möglich. Aber es sind nicht nur die Narbenlande, die hier Aufmerksamkeit erregen. Es existieren auch einige verwunschene Orte im Wald. Hier, diese alte Zwinge, liegt nun vom Waldrand umringt. Noch vor nicht vielen Jahren lag sie weit vor dem Wald, ein deutliches Zeichen für den Wuchs des Waldes. Sie war schon verlassen, als mein Urgroßvater noch jung war. Einst muss die Zwinge ein Schutz gewesen sein, in der Zeit der großen Kriege, nur gegen was, wurde nicht überliefert.

      Und im Waldsee befindet sich eine Bastion, wo einst Magier lebten. Nun ist auch sie verlassen und verfallen.

      Von dem Drachen im Wyrmberg habe ich ja bereits erzählt. Er ist alt für einen Drachen. Als mein Urgroßvater noch jung war, erschlug der Wyrm seinen Vater.«

      Da wir uns im Wald befanden, hatte ich keinen Zweifel, dass es sich bei dem Wyrm um einen grünen Drachen handelte. Diese liebten dichte Wälder und bewaldete, von Grotten durchzogene Hügel.

      »Welchen Namen trägt der Wyrm?«, wollte Wogar wissen.

      »Der Name ist mir nicht bekannt. Vielleicht wissen die Hexen davon. Wie dem auch sei, ich muss jetzt weiter.«

      »Nochmals Dank für die begrüßenden Worte. Ich freue mich schon auf unser nächstes Zusammentreffen«, verabschiedete ich mich höflich.

      »Eine gute Weiterreise wünsche ich« und der Waldriese verneigte sich kurz. Seine ausholenden Schritte hörte ich kaum und mir schien, kein Halm wurde dauerhaft unter den Tritten gekrümmt.

      Als nach den weiteren Wachwechseln der Morgen graute und wir um ein kleines Feuer herum das Frühstück einnahmen, tätschelte Wogar seinen neuen, kleinen Freund.

      »Ich habe mich entschieden«, verkündete uns der Halbdrache, »den Drachen Turgan zu nennen.«

      »Na denn, guten Morgen, Turgan«, grinste ich und zog meinen Finger zurück, als das garstige Tier danach schnappte.

      »Vorsicht, Crish, er ist hungrig«, warnte mich mein Gefährte.

      »Na, dann pass auf, dass er nicht das leckerste Fleisch