Lene Levi

Tödlicher Nordwestwind


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Enno Fedders Gesichtsausdruck verfinsterte sich noch mehr, denn genau dieses »Ay, ay, Captain!« konnte er partout nicht ausstehen. Aber er verkniff sich eine abfällige Bemerkung. Als der Maat bemerkte, dass seine kleine Stichelei im Nordseewind verwehte, setzte er die Seilwinde in Gang. Das Tau straffte sich diesmal gleich so rückartig, dass zunächst der kleine Motor der Winde zu ächzen begann. Auch Enno spürte den unerwarteten Gegendruck am Ruder und ließ den tuckernden Dieselmotor erneut anspringen, so dass der Kutter manövrierfähig blieb.

      „Na, Junge! Diesmal scheint sich ja der Fang endlich gelohnt zu haben.“

      Hauke zwängte seinen breiten Kopf aus der Fensterluke des winzigen Führerhäuschens, um so das Einholen des Netzes besser kontrollieren zu können.

      „Sieht ganz danach aus, Enno.“

      Schon stemmte sich der Maat mit ganzer Kraft gegen das leicht verzogene Reepspill, um ein drohendes Herausspringen des Seils aus der Trommelwinde zu verhindern.

      „Hoffentlich hängt nicht wieder eine dieser verdammten Plastiktonnen mit Drecksabfällen drin, wie vor zwei Wochen“, gab der Maat zu bedenken.

      Enno verließ den Ruderverschlag, um Hauke bei der Arbeit zu helfen.

      „Nach dem Gewicht zu urteilen, müssten schon drei von diesen Dingern ins Netz gegangen sein.“

      Hauke legte sich schwitzend noch mehr ins Zeug.

      „Leg doch lieber noch ´nen Zahn zu. Das verdammte Ding ist ziemlich schwer.“

      Einige Minuten später hatte sich das gefüllte Netz der Meeresoberfläche so weit genähert, dass schon einige grau-silbrige Reflektionen des Sonnenlichts unter Wasser aufblitzten.

      „Granat ist das jedenfalls nicht, was da so schimmert. Da muss noch was anderes drin sein.“

      Enno beugte seinen Oberkörper über die Reling, um besser beobachten zu können, aber er konnte nichts Genaues erkennen.

      Endlich erhob sich das geschlossene Fangnetz über der Meeresoberfläche und schwang am Kurrbaum, durch den Seegang bewegt wie ein prall gefüllter Beutel auf und ab. Der Krabbenkutter neigte sich in diesem Moment spürbar zur Steuerbordseite. Ein breiter Wasserstrom ergoss sich aus dem Netz und rauschte ins Meer zurück.

      „Zieh den Ausleger dichter ran!“, kommandierte Enno. „Ja. Gut so! – Und jetzt lass ihn nieder auf Deck!“

      Beide Männer zogen nun gemeinsam an dem Tau, bis das Fangnetz direkt über dem Auffangbehälter auf der Decksmitte schwebte und sich der Motor der Seilwinde automatisch abstellte. Als Hauke die Schlinge des Fangnetzes löste, ergoss sich ein großer Teil des Inhalts in das darunter stehende Auffangbecken, das sofort überschwappte. Erst jetzt, nachdem sich das Netz zur Hälfte geleert hatte, wurde ein weiterer Teil des Fanges sichtbar. Enno war schon wieder am Steuer, als er von dort bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, denn Haukes Gesichtsausdruck sah sehr ernst aus.

      „Is was?“, rief er zu ihm hinüber. Der Maat antwortete jedoch nicht, sondern schaute nur gebannt und wie erstarrt auf die Planken.

      „Heiliger Strohsack!“, fluchte Enno. Erst jetzt reagierte Hauke auf seine Frage: „Komm her und sieh dir diesen Schiet an!“

      Enno verließ genervt das Steuerhaus und näherte sich mit ein paar Schritten der Decksmitte, auf deren Planken sich inzwischen eine Menge zappelnder Fische mit einer rotfleckigen Hand vermengten. Der Rumpf eines menschlichen Körpers lag unter dem Haufen des herabgesenkten Fangnetzes.

      „Ach du liebe Scheiße, eine Leiche. Verdammt, das bringt Unglück!“

      Enno hatte eigentlich damit gerechnet, illegal entsorgten Schiffsabfall von einem dieser Riesenpötte eingefangen zu haben. Zu seinem Leidwesen war es längst keine Seltenheit mehr, dass Behälter mit Chemikalien oder anderen giftigen Gegenständen von Bord der großen Frachtschiffe und Öltanker rücksichtslos ins offene Meer verklappt wurden. Anschließend kontaminierten diese dann die Fanggründe der Deutschen Bucht. Solch einen Dreck fand er häufiger im Netz vor. Die Klassifizierung des Wattenmeers als Nationalpark und Biosphärenreservat war deshalb aus seiner Sicht schon eine ziemlich verlogene Angelegenheit, da sich offenbar viele Seeleute nicht daran hielten oder zu wenige Kontrollen stattfanden. Enno zündete sich hastig eine Zigarette an. Nein, damit hat er nicht gerechnet. Eine Wasserleiche an Deck, das war ihm schon viele Jahre nicht mehr passiert.

      Er stand ziemlich fassungslos auf den glitschigen Planken seines Krabbenkutters und zog verzweifelt an dem inzwischen feucht gewordenen Zigarettenstummel.

      „Verdammt, das bringt Unglück!“, murmelte er noch einmal vor sich hin. Hauke dagegen hatte sich schon wieder gefangen. Mit seinem Gummistiefel versetzt er der Hand der Leiche einen kleinen Schlag.

      „Nicht für den hier, Enno. Der hat`s ja hinter sich.“

      Enno wandte sich ab und spuckte seinen Zigarettenstummel aus.

      Nachdem er einen Teil des Fanges mit einer Schaufel beiseitegeschoben hatte, beugte sich der Maat vorsichtig über die aufgedunsene und merkwürdig verkrümmte Leiche und versuchte ihren Kopf aus der dichten Masse des Granats herauszupuhlen: „Lange kann der da jedenfalls noch nicht im Meer herumgetrieben sein. An dem Kerl ist ja noch alles dran.“

      Schortens suchte nun auf dem Deck nach einem Gegenstand, mit dessen Hilfe er den toten Mann herumdrehen konnte, ohne ihn dabei mit den Händen berühren zu müssen: „Willst du mal sehen was er macht, wenn ich hier draufdrücke?“

      Hauke hielt plötzlich einen Netzreiter in der Hand, der an einem dicken Tampenende befestigt war. Mit dem verjagte er für gewöhnlich die Möwen von Bord. Jetzt drückte er damit der Leiche auf den aufgedunsenen Bauch: „Unser Netzinspektor streckt bestimmt gleich seine Zunge raus, nur um uns zu verarschen!“

      Doch Enno wollte jede Berührung der Leiche vermeiden. Er hasste diese Art von morbidem Sarkasmus, der vielen Seeleuten eigen war, und hielt das nicht für einen besonders liebenswerten Wesenszug.

      „Lass den Quatsch! Vor paar Jahren habe ich schon mal so einen Kerl herausgezogen. Der sah aber schon ganz anders aus; da krochen bereits die Aale …“

      Enno konnte seine letzten Worte nicht mehr vollständig artikulieren, da sich schlagartig ein heftiger Würgereiz in seiner Magengegend bemerkbar machte.

      „Was meinst du? Sollten wir ihn wieder dahin befördern, von wo wir ihn hergeholt haben?“, fragte Hauke. Doch Enno wankte bereits kreidebleich zur Reling und kotzte einen breiten Schwall seines Mageninhaltes ins Meer hinaus. Als er damit fertig war, wischte er sich mit dem Ärmel seines verschmierten Kapuzenpullis die Schweißtropfen aus dem Gesicht.

      „Nein, das geht nicht.“

      Der Maat ließ nicht locker: „Der Netzinspektor wird uns nur `ne Menge Ärger machen, glaub mir. Sollen ihn doch die Fische fressen.“

      Hauke ließ den Tampen fallen und spuckte angeekelt aus.

      „Halt die Klappe, Hauke! Auch dieser Kerl hat ein Recht darauf, ordnungsgemäß vom Pastor verscharrt zu werden. Vermutlich ist’s einer dieser neureichen Hamburger Yuppies, die sich hier in letzter Zeit mit Papis geleaster Yacht breitmachen und keinen blassen Schimmer von der Gefährlichkeit der Frachterautobahn haben, geschweige denn von der Nordsee.“

      Schortens richtete sich wieder auf und sah hinaus auf die offene See.

      „Wo er recht hat, da hat er nun mal recht, der alte Enno Fedder. Wie ein Penner aus Bremerhaven sieht der jedenfalls nicht aus.“

      Hauke zog einen Flachmann aus seiner Brusttasche und genehmigte sich einen Schluck. Dann reichte er den Schnaps an Enno weiter. Dieser winkte dankend ab.

      „Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass einer von denen mit einem Kaventsmann über Bord gegangen ist. Aber vielleicht ist der da ja auch nur ein ganz gewöhnlicher Selbstmörder? Was meinst du, Enno?“

      „Schon möglich“, erwidert Enno. Dann warf er doch einen genaueren Blick auf den toten Mann. Hielt aber genügend Abstand zu der Leiche.

      „Ist