Hanna Julian

Alexas Verwandlung


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warum Ralf sich so schwer tat.

      »Es geht um Martin«, sagte er schließlich und machte eine Pause.

      Das war es also … Okay, ich hatte es ja kommen sehen. Mein zweiter Chef, Martin Hein, hatte, wie ich bereits erwähnte, schon länger mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Er war übergewichtig und depressiv, soweit ich es beurteilen konnte. Eigentlich hatte ich ihn nur zu Anfang regelmäßig im Büro gesehen, aber das war inzwischen schon lange her. Ralf war immer derjenige gewesen, der die Gespräche mit mir geführt hatte. Martin hingegen war meist an mir vorbeigegangen, einen kurzen Gruß murmelnd, bevor er in seinem Büro verschwand. Er hatte sich inzwischen aber schon monatelang nicht mehr blicken lassen, sondern nur ab und zu mal angerufen. Ich wusste, dass er ein paar Therapien hinter sich hatte, und dass er inzwischen geschieden war. Vermutlich wollte mir Ralf mitteilen, dass wir beide nun in der Firma auf uns allein gestellt sein würden, weil Martin endgültig ausstieg.

      »Er wird am Montag wiederkommen und ich wollte dich nur darauf vorbereiten, dass er sich ein wenig verändert hat.«

      »Wiederkommen?«, echote ich verwirrt.

      »Ja, er steigt jetzt wieder voll mit ein. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich darüber bin, denn es läuft wirklich richtig gut im Moment, was wir nicht zuletzt auch dir zu verdanken haben. Aber das alles wird mir langsam zu viel. Martin kommt genau zum richtigen Zeitpunkt zurück, und er bringt so viel Elan mit, dass ich denke, wir werden eine wirklich tolle und produktive Zeit haben.«

      Ich war immer noch nicht soweit, das alles richtig zu verstehen. Als ich Hein zum letzten Mal gesehen hatte, war sein Esprit der eines alten Küchenhandtuchs gewesen. Eingesunkene Augen in einem aufgeschwemmten Gesicht, graue Haut, eine gramgebeugte, noch fülligere Gestalt. Kurzum, er hatte sich von einem etwas propperen, aber eigentlich ganz gesund aussehenden Mann, in ein körperliches Wrack verwandelt. Die Gründe dafür vermutete ich in einem ernsten gesundheitlichen Leiden.

      »Dann geht es ihm jetzt also wieder besser?«, fragte ich und schlürfte an meinem heißen Kaffee. »So könnte man es sagen«, erwiderte Ralf, lächelnd verließ er die Küche. Ich hatte kein Problem damit, dass Hein zurückkam. Es war jedoch ungewohnt nach den vielen Monaten, die wir ohne ihn eigentlich ganz gut zurecht gekommen waren. Auch wenn ich zugeben musste, dass die Überstunden zahlreich geworden waren. Ich schnappte mir noch einen Schokoladenkeks aus der Packung, die ich am Vortag ins Regal gelegt hatte, und ging dann in mein Büro, um Frau Hegemaier anzurufen. Sie war mit meinem neuen Entwurf sehr zufrieden und hatte gleich einen weiteren Auftrag für mich.

      Auch der Rest des Tages verlief wirklich gut und ich hatte mir mein Wochenende redlich verdient. Nachdem ich das Büro verlassen hatte, ging ich noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen und dann nach Hause. Ich suchte gerade nach dem Haustürschlüssel, als gegenüber ein Auto hielt. Es kam mir vage bekannt vor und während ich in meiner Tasche herumkramte, stieg der junge Motorrollerfahrer aus. Ich hörte ihn einen Dank sagen, dann warf er die Beifahrertür zu. Als das Auto wegfuhr, trafen sich unsere Blicke. Er schien unsicher, dann grüßte er knapp. Ich lächelte zurück und zog mein Schlüsselbund hervor. In meiner Wohnung angekommen, stellte ich die Einkäufe in die Küche und setzte Teewasser auf. Während ich darauf wartete, dass es kochte, dachte ich darüber nach Eva anzurufen, um sie zu fragen, ob wir zusammen ausgingen. Wir ziehen gerne ab und an gemeinsam um die Häuser, probieren ein paar neue Diskotheken aus und haben zum Glück einen absolut unterschiedlichen Männergeschmack. Das sorgt dafür, dass wir uns so gut wie nie in die Quere kommen, wenn es darum geht, mit einem Kerl die Nacht zu verbringen. Und ich war mir sicher, dass ich die kommende Nacht nicht allein verbringen wollte. Ich griff zum Hörer und erläuterte Eva meinen Vorschlag.

      »Heute Abend? Klar, wann soll ich dich abholen?« Das liebe ich an Eva, sie ist praktisch immer gut drauf und liebt es, mit ihrem Audi Cabrio durch die Innenstadt zu düsen. Und sie ist die beste Rückwärtseinparkerin, die mir je begegnet ist. Wenn das Auto gerade noch so haarscharf in die Lücke passt, bekommt Eva es auch problemlos hinein. Sie hat dazu einen Spruch geprägt, der uns immer wieder zum Lachen bringt. Aber es ist ihr Spruch und deshalb sage ich nur soviel: Es hat etwas damit zu tun, dass Eva schon Rat weiß, wenn ein Typ mal nicht weiß, wie er ihn richtig rein bekommen soll. Ich muss zugeben, dass ich in Evas Gesellschaft immer noch etwas frivoler bin, als ohnehin schon.

      Ich freute mich auf den gemeinsamen Abend. Und so stand ich etwas später prüfend vor dem Spiegel und rückte meinen Ausschnitt zurecht, der meine Brüste perfekt betonte. Außerdem hatte ich meinen neuen Spitzenschlüpfer angezogen, von dem ich hoffte, dass ihn mir ein Traum von Mann in den folgenden Stunden wieder ausziehen würde und wir eine Menge Spaß miteinander hätten. Rasch steckte ich mir zwei Kondome in die Handtasche und trug Lippenstift auf, nachdem ich mir vorab schon mal ein Glas Sekt genehmigt hatte. Noch ein Vorteil, wenn man eine Begleitung hat, die gerne Auto fährt: Man kann Alkohol trinken.

      Und schon klingelte es, also schnappte ich mir meine Jacke und meine Tasche und verließ die Wohnung.

      ~*~

      Evas Cabrio war nicht zu übersehen und mit ihr am Steuer zog es die Blicke sämtlicher Passanten auf sich. Manchmal erinnerte sie mich an Thelma aus Thelma und Louise, so attraktiv und unbefangen, wie sie sich gerne gab. Allerdings war ich nicht wild drauf, dass es mit uns beiden ein Ende wie im Film nahm, und daher möchte ich meinen Eindruck auch nicht überbewertet wissen.

      »Du siehst heiß aus, Alexa«, sagte sie, kaum dass ich neben ihr Platz genommen hatte. »Und du wie die pure Sünde«, entgegnete ich. Eva spielte gerne auf den biblischen Bezug ihres Namens an und ich wusste, dass sie mit Vorliebe die Sünde verkörperte. Sie lachte und im Nu waren wir im nächtlichen Stadtgewirr unterwegs.

      Der erste Club, den wir besuchten, war uns inzwischen vertraut. Das Publikum konnte sich sehen lassen und hatte zumindest soviel Klasse, sich nicht sinnlos zu besaufen. Ich habe wirklich nichts dagegen, Alkohol zu trinken, aber ich denke, man sollte dafür sorgen, dass man seine Würde behält. Warum das bei so vielen Jugendlichen heute schief läuft, erschließt sich mir nicht. Es ist nicht besonders sexy, seinem Date auf die Füße zu kotzen. Nun ja, ich habe zum Glück nicht den Auftrag, die Welt zu retten, aber ich achte darauf, mit wem ich mich amüsiere und wo.

      Die Musik im Club war mir etwas zu laut und auf der Tanzfläche war noch nicht allzu viel los. Ich bestellte einen Sekt, Eva nahm einen Orangensaft, dann sahen wir uns das Publikum an. Ich entdeckte keinen Kerl, der mir gefiel und hoffte auf weitere Besucher, die noch im Laufe der Zeit erscheinen würden. Ein paar Typen sahen zu uns und einer schien ganz besonders interessiert.

      »Der denkt doch nicht ernsthaft, er könne bei uns einen Fuß in die Tür bekommen«, sagte Eva. »Ich denke, der will was ganz anderes rein bekommen, als seinen Fuß in die Tür«, sagte ich und erntete Evas tadelnden Blick.

      »Nicht mal im Traum, möchte ich das näher wissen.« Ich nickte nur. Dann fiel mir jemand auf, der am gegenüberliegenden Stehtisch stand. Ich fragte mich, wie mir der attraktive Kerl bislang hatte entgehen können. Auch Evas Blick richtete sich jetzt auf ihn, sie wisperte: »Dunkles Haar, fast schulterlang. Groß und mit markanten Gesichtszügen. Genau dein Typ.« Damit hatte sie verdammt recht! Ich brauchte ihn nur auf die Entfernung zu sehen und wusste, dass ich ihn wollte. Eva hingegen stand mehr auf Männer, die so aussahen, als würden sie jedes Survival-Training problemlos überstehen. Sie mochte Muskeln und zog Kerle vor, die etwa ebenso groß waren, wie sie selbst. Außerdem konnte für Eva Männerhaar gar nicht kurz genug sein, während ich gerne meine Finger in etwas längerer Haarpracht vergrub.

      Ich war gerade dabei, mir zu überlegen, wie ich als nächstes vorgehen sollte, um den Traumtyp auf mich aufmerksam zu machen, als eine junge Frau auf ihn zuging und ihn besitzergreifend umfasste. Sie schlang ihre Arme um seinen Brustkorb und sah für einen kurzen Moment zu mir, bevor sie sich in eine andere Richtung wandte.

      »Oh, schade, er hat eine Freundin«, sagte Eva. Als ich nichts erwiderte, ergänzte sie: »Ich meine, er hat eine Freundin und hat sie auch noch dabei. Da ist wohl leider nichts zu machen.«

      Da ich immer noch nicht antwortete, sah mich Eva nun genauer an und fragte: »Was ist denn mit dir los? Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«

      »Hab