mich.
Mama zog beherzt die Gardine vor die Scheibe.
„Schau am besten gar nicht hin!“, ermahnte sie mich.
„Sie sehen in uns eben als Deutsche an. Du musst auf alles gefasst sein. Wir werden zur Sicherheit nächste Woche die Stadt verlassen und früher nach Zarskoje Selo reisen. Hier wird es einfach zu gefährlich.“
„Mama, du übertreibst immer so sehr. Es ist halt Krieg. Viele hungern und sind deswegen unzufrieden. Bald wird alles besser!“, widersprach ich halbherzig. „Irgendwann endet auch dieser Krieg.“ Die Wahrheit erschien mir zu bitter. Ich redete sie schön.
Mama verzog keine Mine. So reagierte sie immer, wenn sie anderer Meinung war. Sie versuchte jedoch nicht, mich zu überzeugen und brauchte sicher meinen pubertären Optimismus nicht.
Der Wagen hielt bald darauf und unser Chauffeur öffnete eifrig die Tür. Vor und hinter uns parkten die Autos unserer Leibwächter. Ohne diese konnten wir keine Fahrt mehr unternehmen.
Peter Carl Fabergé ließ es sich trotz seines hohen Alters nicht nehmen, seinen hohen Besuch vor der Eingangstür zu empfangen. Sein Haupthaar war noch dünner und grauer geworden. Sein Bart schien dagegen immer voller zu werden. Genau so stellte ich mir in meinem Inneren einen wahren Künstler vor. Nicht mit äußerlicher Exaltiertheit oder Auffälligkeit, wie bei den unzähligen un- oder halbbegabte Adepten, glänzte ein Meister dieser Zunft, sondern allein mit seinen grandiosen Werken. Sie entsprangen dem Geist der göttlichen Musen und nicht menschlicher Beschränktheit. Der berühmte Goldschmied hatte es nicht nötig, irgendjemandem Bedeutung oder Individualität vorzugaukeln, denn er besaß diese ganz natürlich aufgrund seiner göttlichen Talente. Jeder Besucher spürte sofort, dass er es mit einem ganz besonderen Menschen zu tun hatte. Der alte Fabergé stand mit seinen beiden Beinen fest auf dem russischen Boden. Aus seinem intelligenten Gesicht blickten uns warme und neugierige Augen an. Seine von vielen Falten gestaltete Stirn spiegelte vielfältige Emotionen, durchlebte Gefühle und Erfahrungen wider. Ab fünfzig Jahren hat jeder Mensch das Gesicht, welches er sich durch sein Leben verdient hat. Fabergé war zu diesem Zeitpunkt bereits über siebzig Jahre alt. Er trug einen gut geschneiderten, jedoch nicht unbedingt auffälligen dunklen Anzug, eine dazu passende Krawatte und ein weißes Hemd. Er glich in diesem für ihn typischen Aufzug mehr einem Gelehrten, denn einem Feinschmied. Auch er hatte wie wir zur Hälfte deutsches Blut. Vielleicht verband uns diese Gemeinsamkeit zusätzlich.
„Meine Zarin, Sie glänzen mit ihrem Besuch mehr als meine gelungensten Schmuckstücke!“, schmeichelte er galant und vertraut zugleich. „Wie schön, dass Sie mir hier die Ehre Ihres Besuches geben. Ich wäre selbstverständlich auch im Palast vorbeigekommen.“
„Ach gönnen Sie uns doch diese kleine Abwechslung!“, wiegelte Mama ab. Sie wirkte plötzlich so natürlich und ungezwungen in der Nähe dieses Da Vinci des Goldes. Die steife Monarchin fiel wie ein Mantel von ihr ab. So mochte ich sie am liebsten. Ich lächelte für einen Moment glücklich.
„Prinzessin Olga!“ Faberge küsste ungezwungen meine Hand. „Mein Gott, Sie sind noch schöner als bei unserer letzten Begegnung!“ Er hatte keinerlei Berührungsängste in Bezug auf den höchsten Adel dieser Welt, denn seine Kunst adelte ihn gleichfalls und machte ihn zu einem der unseren.
Ich klopfte dem Großväterchen vertraut mit meinem Fächer auf den Oberarm. Hoffentlich lebte er noch lange, denn ich mochte ihn gar zu gern und natürlich seinen Schmuck, der mich schon aus den Fenstervitrinen anfunkelte: Kauf mich!
Ein Angestellter hielt über das gesamte Gesicht willfährig lächelnd einladend die hölzerne Tür auf. Wir traten fröhlich ein.
Mein Gott, was war das für eine schöne heile Welt inmitten der Not um uns herum. Kein Wunder, dass der alte Mann so zufrieden wirkte. Er hatte sich sein eigenes goldenes Königreich geschaffen. Hier gab es keinen Krieg und kein Leid.
Mama und ich gingen ein wenig im Geschäft umher und nahmen einmal dieses und einmal jenes Stück neugierig in die Hand.
„Sie sind ein wahrhaftiges Genie!“, bewunderte Mama in einem fort.
„Nun ja!“, stimmte der Besitzer indirekt zu, „die Zeit bringt eben Erfahrung!“ Er war schon stolz auf sein Werk, aber keineswegs überheblich. So ist es eben, wenn ein Genie genau weiß, was es kann und dies einfach nur ein Fakt ist. Falsche Bescheidenheit wirkt dann erst recht deplatziert.
„Ihr Auftrag war etwas ungewöhnlich!“, kam er gleich zur Sache. Zeit war für ihn mit zunehmenden Alter immer wertvoller. „Ansonsten bestellen Sie die Eier doch nur zu Ostern und über ihren Mann, den Zaren selbst!“
Mama sah sich um und winkte unserer Begleitung, sich aus dem Geschäft zu entfernen, bevor sie antwortete. Niemand sollte sie anscheinend belauschen können. Das machte mich neugierig. Um was ging es denn genau?
Erst als alle fort waren antwortete sie: „Es ist diesmal anders! Sind die guten Stücke fertig?“
„Ich habe sie hinten in meiner eigenen Werkstatt, damit ich sie dort endgültig verschließen kann.“
Er ging vor, wir folgten ihm. Ich war etwas irritiert.
„Mama?“, fragte ich leise.
„Dies bleibt unter uns!“, ermahnte sie mich nur. Sie wusste aus Erfahrung, dass ich kein Geheimnis verriet. Wir hatten inzwischen viele Monate gemeinsam in Lazaretten gearbeitet, um dort Verwundeten zu helfen. Die gemeinsame Erfahrung hatte uns verbunden. Wir waren durch diese schwere Arbeit nicht nur miteinander vertraut, sondern vertrauten uns. Auch dort hatten wir so manches erlebt, was meine jüngeren Geschwister lieber nicht wissen sollten. Das würde ihnen den Rest ihrer kindlichen Unschuld rauben.
Auf einer Werkbank standen zwei absolut gleich aussehende Schmuckeier, wie Vater sie stets zu Ostern anfertigen ließ und zumeist verschenkte. In diesem Zimmer arbeitete Fabergé allein. Niemand außer ihm durfte es betreten. Man hörte seine vielen Mitarbeiter woanders werken. Er beschäftigte über fünfhundert Kunsthandwerker allein in dieser Stadt und hatte zudem weitere Niederlassungen in Moskau, Odessa, Kiew, London und anderen Städten. Fabergé war nicht nur ein Künstler sondern auch ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann. Es sei ihm vergönnt.
„Ich nenne sie die Zwillinge!“, erklärte der Meister zu ihrer Ähnlichkeit.
Er wies auf eine Öffnung inmitten der Goldeinfassung.
„Ich habe das Geheimfach in der beschriebenen Größe eingearbeitet.“
Mama holte aus ihrer Tasche zwei der wertvollen Ampullen, die sie in meinem Beisein aus der Schatzkammer entnommen hatte. Dabei blickte sie mich einen Moment bedeutungsvoll an. Ich wusste was dies bedeutete und prägte mir das Geschehen gut ein.
Dann deponierte sie diese in den dafür vorgesehenen Öffnungen. Fabergé erhitzte eigenständig Silber und verfugte mit diesem jeweils ein ziseliertes Silberblümchen so, dass man keinesfalls dahinter einen verborgenen Schatz vermutete. Alles war gut vorbereitet und passte.
„Ich muss die Stelle noch ein wenig polieren, damit man wirklich nichts sieht!“ Die Arbeit ging ihm so geschickt von der Hand, als wäre sie von unbeschreiblicher Leichtigkeit, so dass jeder ein wenig Geschickte sie ausführen könnte. Ich bewunderte ihn. Er fragte nicht nach, was und wozu Mutter etwas in den beiden Eiern verbarg. Sicher war er ungewöhnliche Sonderwünsche seiner reichen Kundschaft gewohnt. So manches Geheimnis steckte sicherlich in seinen Werken.
Nach getaner Arbeit deponierte er die beiden relativ kleinen Schmuckeier in eigens bereitstehenden Schutzkisten.
„Fällt es ihnen eigentlich schwer, sich von ihren Kunstwerken zu trennen?“, fragte ich nun doch neugierig nach.
Er lachte. War die Frage zu naiv?
„In unserem Leben trennen wir uns pausenlos von Dingen, die uns am Herzen liegen. Ich sehe das als Übung an. Dann fällt es mir vielleicht leichter, mich irgendwann von dem Bedeutendsten zu trennen, das ich besitze!“
„Das wäre?“, mischte sich nun sogar meine Mutter ein.
Er