war Berichterstatterin über Modeangelegenheiten. Da aber die Mode allein nicht genug Erträgnisse einbrachte, kümmerte sich Larissa auch um alle jene öffentlichen Dinge, die nach einer weitverbreiteten Meinung der weiblichen Natur »näherliegen« als der männlichen. Zum Beispiel um Mutterschutz, Waisenkinder, Wohltätigkeitsfeste, Lotterien und Scheidungsprozesse, Blumenausstellungen und Obdachlosenasyle. So sehr sich alle diese Angelegenheiten auch voneinander unterschieden, so blieb doch Fräulein Larissas Haltung gegenüber den Demonstrationen des Luxus wie jenen des Elends immer gleich, die Melodie ihrer Berichte – denn sie hatte statt eines Stils eine Melodie – immer dieselbe. Nur das Adjektivische wechselte. Hieß es einmal: »In den prachtvollen Räumen des ...Kasinos fand am 21. dieses Monats« usw., so stand das andere Mal: »In den düsteren Räumen des ... Obdachlosenasyls herrschte am 23. dieses Monats helle Freude ...« usw. Fräulein Larissas schriftliche Berichte waren von einer hellen, optimistischen Sachlichkeit, während ihre mündlichen Berichte sie selbst und den Hörer bis zu Tränen rühren konnten. Sie besaß einen Blick, das Rührende ausfindig zu machen, und eine Stimme, es zu erzählen. Den Worten aber, in denen sie es niederschrieb, fehlten die Wärme und die Anmut, kurz: »die Beseeltheit« ihrer Stimme. Zwischen den Zeilen schwebte verloren der Rest einer persönlichen Melodie, auch nur für sehr feine Ohren vernehmbar. Da der Lokalredakteur aber für »Substantielles im Blatt« war und von zwanzig Zeilen, die Fräulein Larissa geschrieben hatte, vierzehn zu streichen pflegte, entschwebte meist auch der Rest der Melodie für ewige Zeiten. Aus diesen und ähnlichen Gründen blieb Fräulein Larissa ein Objekt, ein Werkzeug, ein Organ des Luxus, auch wenn sie sich mit dem Elend befaßte. Und selbst ihre Berichte über aktuelle Angelegenheiten der öffentlichen Armut blieben liegen, weil man glaubte, es wären Berichte über Blumenfeste.
Von der besonderen Eleganz, die Fräulein Larissa äußerlich kennzeichnete, muß noch einiges gesagt werden:
sie ging, weil sie die besten beruflichen Verbindungen mit den großen Schneidern hatte, nicht etwa nach der »letzten Mode« gekleidet, sondern bereits nach der nächsten. Sie trug schon im Frühling die Sommerpelze und im Herbst die Winterhüte. Und so war sie selbst der zuverlässigste, der bestgelungene »Vorbericht über die nächste Modeseason«. Es gibt keine größere journalistische Vollkommenheit. Sie verwandelte sich selbst in ihre Artikel – und die Zeilen, die sie schrieb und die man ihr strich, waren vielleicht nur deshalb so unbeholfen, weil ihre äußere Erscheinung ihre journalistischen Fähigkeiten vorweggenommen hatte.
Ja, sogar ihre Gestalt schien sich den kommenden wechselnden Moden anzupassen. Sie bekam und verlor verschiedene »Linien«, Hüften, Büsten, Schultern. Und dennoch behielt das, was man ihr »eigentliches Wesen« nennen könnte, gleichsam die innerste körperliche Hülle ihrer Seele, etwas Unzeitgemäßes, Verschollenes, und immer war ein Abstand zwischen »ihr selbst« und der Persönlichkeit, der sie sich abwechselnd anpaßte. Vielleicht machte diesen Abstand ein vollkommener Mangel an Eitelkeit sichtbar. Fräulein Larissa demonstrierte die Kleider, die sie trug, wie etwa ein Physiker Experimente. »Sehen Sie«, konnte sie sagen, »so einen rechteckigen Fehbelag am Ärmel wird man nächstens tragen. Die Schöße werden wieder glockenförmig. So wie bei mir!« Und sie stand auf, machte eine Wendung, und man sah die Glockenform ihres Rocks.
Jeder Witz machte sie verlegen. Denn sie, die niemals eine Doppelsinnigkeit begriff, fürchtete immer eine »Anzüglichkeit«. Und sie wurde auf jeden Fall rot, auch wenn sie etwas Belangloses, Einfaches mißverstanden hatte. Das waren übrigens die Augenblicke, in denen sie schön wurde und in denen man sie hätte lieben können. Die Scham verzauberte sie. Sie war ein junges Mädchen. Ihr verkümmertes Gesicht weckte die Verlegenheit, die gleiche Verlegenheit, die man in der Anwesenheit eines jungen Mädchens empfindet: eine Verlegenheit, gemischt aus Väterlichkeit, Mitleid und Lust.
Fräulein Larissa starb am Typhus während des Krieges. Sie war Pflegerin gewesen. Sie starb in Bukarest. Dort wurde sie begraben. Zum ersten und zum letzten Mal stand ihr voller Name in der Zeitung. Sie hieß Larissa Schorr.
Der Nachtredakteur Gustav K
Gustav K. war ein Nachtredakteur.
Das Blatt erschien jeden Morgen um drei Uhr. Jede Nacht um elf Uhr dreißig erschien der Nachtredakteur.
Er war frisch rasiert, frisch gewaschen, ausgeruht, nach Seife duftend und Menthol. Ein vorausgeeilter Teil des nächsten Morgens.
Er schien die Müdigkeit der anderen nicht zu begreifen. Erfrischt von seiner Morgenwanderung durch die nächtlichen Straßen betrat er ahnungslos die Gesellschaft der Erschlafften, klopfte den Stehenden auf die Schultern, den Sitzenden auf die Knie und wunderte sich, daß sie zusammenfielen, morsche Gerüste.
Er schien sich für den Gesundesten zu halten. Ja, es war, als ob er sich jede Nacht aufs neue seine eigene Stärke absichtlich demonstrierte, um sein schwächliches Aussehen, seine mageren Glieder, sein blaßgelbes Gesicht zu dementieren.
Zwei Stunden später war auch er verwandelt. In zweimal sechzig Minuten hatte er einen zwölfstündigen Arbeitstag zurückgelegt.
In seinem dünnen Angesicht flossen die Schatten der Sorgen mit den zufälligen fetten Spuren der Druckerschwärze zusammen, die ein achtloser Finger hinterlassen hatte. Die gescheitelten dünnen, schwarzen Haare standen wie Drähtchen und winzige Spirälchen. Die Ränder der Fingernägel waren auf einmal schief geschnitten, wenigstens schienen die lila Flecken unaufhörlich nachgespitzter Tintenstifte die Unregelmäßigkeit der Nagelformen sichtbar zu machen. Als wäre die Arbeit am Schreibtisch ein unfehlbares Haarwuchsmittel, begann der Bart des Nachtredakteurs, kaum eine Stunde, nachdem er rasiert worden war, üppig und grauschwarz aus den Poren der Wangen zu dringen. Die weißen Manschetten klebten am Handgelenk, dahin war ihr halbgesteifter Glanz. Der Knoten der Krawatte wurde locker, schob sich zwischen die Wände des »Stehumlegkragens« und ließ ein glänzendes goldenes Knöpfchen sehen, an dem nicht nur der Kragen und das Hemd, sondern auch die ganze Kleidung des Mannes, ja er selbst zu hängen schienen. Erhob sich Gustav K. aus seinem Lehnstuhl, so sah man plötzlich die Holzwolle aus einem Loch im dünnen Lederbezug dringen – und zwar mit einem solchen Ungestüm, daß man glauben konnte, das Loch wäre früher nicht dagewesen, sondern erst von der Wirbelsäule des Redakteurs ausgebohrt worden. Er selbst ging mit vorgeneigtem Oberkörper und lockeren, seitwärts schlendernden Beinen die Stiege zur Setzerei hinauf. Er erinnerte an einen Lahmen, der die Krücken abgelegt hat. Oben, in der Setzerei, lehnte er sich mit aufgestützten Ellenbogen an einen der langen, metallbeschlagenen Tische, einen Kopierstift zwischen den Lippen, den er hin- und hergleiten ließ wie eine natürliche Fortsetzung der Zunge. Der Bleistift begleitete so die Bewegungen der Augen, die einen Bürstenabzug lasen. An der und jener Stelle blieben sie haften, und auch der Bleistift stand still. Manchmal löste sich die Hand von der Wange, der Ellenbogen vom Tisch. Gustav K. ergriff ein Stück Papier, zerknüllte es langsam, formte es zu einem Ball und schleuderte es einem der ahnungslosen Setzer zu, der eine erschrockene Bewegung machte. Das war ein Witz gewesen. Es war, als hätte sich der Nachtredakteur nur überzeugen wollen, ob er noch zielen könne. Einen Augenblick nur hatte sein Angesicht den Ausdruck einer knabenhaften Verspieltheit gezeigt. Man konnte ihn sehen, wie er in kurzen Höschen vor dreißig Jahren am Ufer eines Wassers Steinchen in die Wellen schleudert.
Er wurde sofort wieder ernst. Er vergaß nicht einen Augenblick, daß er die »ganze Verantwortung« für »das Blatt« trug und daß er unaufhörlich Gefahr lief, eine falsche Nachricht für eine richtige zu halten, eine richtige für falsch, eine wichtige für belanglos, eine Kleinigkeit für wichtig.
Er kannte die ganze Welt, obwohl er nur einen kleinen Teil von ihr gesehen hatte. Wenn ein Telegramm aus Peru meldete, eine Brücke wäre eingestürzt, so schien es Gustav K., weil er mit Peru so vertraut war, daß der Einsturz der Brücke wichtig genug sei, in Borgis gesetzt zu werden. Kam ein Bericht über Heuschrecken im Kaukasus, so hätte Gustav K., weil er die Heuschrecken so genau kannte und den Kaukasus, am liebsten einen Aufsatz von einem Naturforscher gebracht. Für ihn gab es keine geographische Ferne. Er beschwerte »das Blatt« mit fünfzig überflüssigen Nachrichten. Hielt ihm der Chefredakteur am nächsten Abend vor, daß die Nachricht über den General Correira in Mexiko niemanden etwas angehe, so erwiderte Gustav K.: