bitte.<<
Thomas stand auf und ging zum Wasserspender hinüber. In dem Moment, als er sich erhob, wurde es ihm leicht schwummrig. Das waren wohl noch die Auswirkungen der großen Schmerzen und des Blutverlusts. Aber er konnte sich ziemlich schnell wieder fangen und griff nach zwei Pappbechern.
Martin stellte das Feuerzeug auf den Rand des Waschbeckens und blickte in den Spiegel vor sich. Geronnenes Blut klebte an seinen Mundwinkeln und färbte den Bart rostbraun. Eines seiner Augen musste blutunterlaufen sein, da es dunkler war, als das andere. In dem fahlen Licht, dass er zur Verfügung hatte, konnte er das nicht so genau feststellen. Sein Nasenbein war tatsächlich an mittlerer Stelle gebrochen und stand in kleinem Winkel vom Rest des Knochens ab. Das Periost hatte die Haut an der besagten Stelle durchschnitten, welche inzwischen vom geronnenen Blut wieder verschlossen war.
>>Na toll. Du siehst wirklich beschissen aus.<< Er sprach zu seinem entstellten Spiegelbild, da der Mann erst jetzt seine Verletzungen zum ersten Mal begutachten konnte. Ihm war klar, dass er den Bruch richten musste. So schwer konnte das schließlich nicht sein. Er hatte diese Situation schon in zahlreichen Filmen gesehen, worin es nie länger als ein paar Sekunden gedauert hatte.
>>Also, dann mal los.<< Martin umfasste die Nase mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, atmete einmal tief durch und drückte die beiden Finger anschließend kräftig zusammen. Er spürte einen Widerstand. Der Untere Knochen muss sich über den anderen geschoben haben. Schmerzen schossen wie Blitze in seinen Schädel, als bekäme er einen plötzlichen Anfall von Migräne. Er unterdrückte einen Schrei, damit Valentina ihn nicht hören konnte. Seine Zahnreihen knirschten aufeinander, als Martin die Kiefer zusammenpresste. Dann ließ er von seinem Vorhaben ab.
>>Oh shit! Ist wohl doch nicht so einfach.<< Martin bemerkte im Spiegel, dass er die Wunde wieder aufgerissen hatte. Erneut rann Blut bis zu seinem Bartansatz und wurde von den Haaren gestoppt.
Er lehnte sich mit beiden Händen auf das Waschbecken und sah sich abermals im Spiegel an. Vielleicht musste er seine Nase etwas nach unten ziehen, damit der Knochen wieder in die ursprüngliche Stellung rutschte. Er wusste, dass dies noch viel heftiger schmerzen würde. Genau wie sein Bruder vorhin bereitete er sich seelisch auf die folgenden Qualen vor. Dann fasste Martin erneuten Mut und griff zum Nasenbein. Mit einem Ruck zog er den unteren Knochen nach vorne und versuchte ihn einzurenken. Es funktionierte nicht. Der Schmerz war beinahe unerträglich. Jedoch wollte er es jetzt beenden, um nicht einen dritten Anlauf wagen zu müssen. Martin zog noch fester und bog die Nase abwechselnd nach links und rechts. Die Schmerzen waren so überwältigend, dass er keine andere Verletzung seines Körpers mehr spürte. Alle Emotionen waren nunmehr auf diese gebrochene Stelle konzentriert. Der Mann drückte seine Finger noch fester zusammen, beinahe martialisch. Seine Augen tränten - fest zusammengekniffen. Dann verspürte er einen Ruck und vernahm ein Knacken. Dieses Geräusch drang bis in Mark und Bein. Das musste es gewesen sein.
Er ließ von seiner Nase ab und öffnete die Augen. Sein Gesicht um diese Stelle war blutig, ebenso wie seine Hand. Jedoch verlief das Nasenbein wieder geradlinig hinauf zur Wurzel. Für einen weiteren Moment stütze er sich abermals auf das Waschbecken und versuchte seinen angespannten Körper zu beruhigen, bevor er den Wasserhahn aufdrehte und sich die Hände wusch. Dann tat er dies ebenso mit seinem Gesicht. Allerdings vorsichtig. Ganz vorsichtig.
Als er erneut in den Spiegel blickte war nur noch ein dünnes Rinnsaal roten Blutes aus dem kleinen Cut der Wunde zu sehen. Martin öffnete die Verpackung der Pflaster, welche er aus dem Verbandskasten mitgenommen hatte, und klebte sich eines über die entsprechende Stelle. Nachdem er sein Gesicht mit einem Handtuch getrocknet hatte und somit auch die letzte Körperflüssigkeit beseitigte, nahm er das Feuerzeug vom Waschbecken und lief zurück in den Empfangsbereich, wo sich noch immer Thomas und seine Tochter aufhielten.
>>Siehst du, dein Vater ist wieder wie neu.<< Beide lächelten ihn an, als er sich auf seinen Platz setzte und Tom das Feuerzeug übergab. Es war schön für Martin anzusehen, dass sein Bruder es geschafft hatte, Valentinas Angst ein wenig zu zügeln.
>>Tja, allerdings bin ich jetzt nur noch so hübsch wie dein Onkel.<<
>>Das ist wohl mehr als genug.<< entgegnete Tom.
Dann wurde es Zeit die Ernsthaftigkeit ihrer Lage neu aufzugreifen.
>>Wir sollten allmählich aufbrechen<<, meinte Martin.
>>Und wo willst du hin?<< entgegnete Thomas.
>>Ich dachte daran, wieder zurück zu laufen. Zu Mom und Dad.<<
>>Das ist gar kein so kurzer Weg zu Fuß. Fühlst du dich fit genug?<<
>>Natürlich. Das werde ich schon schaffen.<<
>>Warum steigen wir nicht in irgendein Haus und holen uns einen Autoschlüssel?<<
>>Sollten wir das wirklich tun? Ich meine, wir wissen weder wo die Leute die Schlüssel aufbewahren, noch was uns da erwartet. Ich bin der Ansicht, wir sollten unsere Zeit nicht unnötig mit Suchen vergeuden und den einfachsten Weg nehmen.<<
>>Glaubst du, das Polizeiauto fährt noch?<<
>>So wie die hinteren Räder ausgesehen haben würden wir mit Sicherheit nicht weit kommen. Hast du eigentlich noch die Waffe?<<
>>Ja, hier.<< Tom holte die Pistole vom Rücken hervor und übergab sie an seinen Bruder. >>Aber ich glaube sie funktioniert nicht mehr.<<
Martin sah sich die Sig Sauer genauer an; drehte und wendete sie mehrmals. Er versuchte sich an die Grundausbildung der Bundeswehr zu erinnern. Dann fiel sein Blick auf den am linken Griffstück befindlichen Entspannhebel.
>>Hier. Die Abzugssicherung war noch drin.<< Martin stellte den Hebel auf dessen zweite Position.
>>Jetzt müsste sie funktionieren.<<
>>Das ist alles? Sie war nur gesichert?<<
>>Ja.<<
>>So ein... Warum hat der Typ sie wieder gesichert?!<<
>>Keine Ahnung. Jetzt ist sie scharf. Schieß dir aber nicht versehentlich in den Hintern.<<
>>Ich hoffe nicht.<< Tom steckte sie zurück in den Gürtel am unteren Rücken.
>>Da hat sich der Wehrdienst doch endlich einmal ausgezahlt<<, gab Martin zu verstehen und stand auf. Sein Bruder tat es ihm gleich.
>>Also los, Valentina. Jetzt gehen wir nach Hause.<< Ihr Vater fasste sie an der Hand und geleitete sie zum Ausgang.
>>Endlich. Ich will wirklich nicht länger hier sein.<<
Tom nahm die Taschenlampe und folgte nebenher. >>Wenn wir ankommen und unsere Eltern sind noch immer nicht da, dann schnappen wir uns ihr Auto und fahren zur Polizei in die nächst größere Stadt.<<
>>Dagegen habe ich nichts einzuwenden.<< Die drei passierten die Flügeltüre und traten ins Freie. Thomas leuchtete absichtlich geradeaus, damit das entstellte Wesen für Valentina im Dunkeln verborgen blieb. Doch irgendwas irritierte Tom. Irgendetwas stimmte nicht. Er konnte nicht genau sagen, was es war, aber im Augenwinkel zeichnete sich etwas Merkwürdiges aus den Schatten. Schließlich schwenkte er die Taschenlampe zu den beiden Fahrzeugen und erstarrte.
>>Martin.<< Er forderte seinen Bruder auf, ebenfalls dorthin zu sehen. Dieser kam der Aufforderung nach und erschauderte ebenfalls.
>>Wo ist...?<< Thomas stockte.
>>Wie ist das möglich?!<<
Beide starrten gebannt zu den Unfallwagen. Valentina klammerte sich an ihren Vater und war abermals den Tränen nahe. Angst stieg in ihr empor. Martin und Thomas erging es nicht anders.
>>Kann es sein, dass es noch...<< fragte Tom.
>>Ich