Sebastian Fleischmann

DIE, DIE NICHT STERBEN


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er sofort wieder zu verdrängen versuchte.

      >>Wirst du ohnmächtig?<< fragte Martin. Er konnte es im Gesichtsausdruck seines Bruders erkennen.

      >>Nein, ich denke nicht. Nur ein kleiner Schwächeanfall. Geht schon wieder.<<

      >>Gut, okay. Wenn doch nicht, versuch mir vorher bescheid zu sagen. Ich will nicht, dass du hier auf den Boden knallst.<<

      >>Schon klar. Aber es passt wieder. Danke.<<

      Martin lehnte sich schwerfällig etwas nach vorne und sah sich die Wunde genauer an.

      >>Weißt du, dass du echt scheiße aussiehst?!<< sagte Tom.

      >>Denk ich mir. Aber unterlass diese Ausdrucksweise.<< Er mochte es nicht, wenn jemand in der Gegenwart seiner Tochter fluchte, oder ähnliche Wörter benutzte.

      >>Entschuldige. Aber mal ehrlich, wie geht es dir eigentlich? Du hattest gerade einen Unfall.<<

      >>So ziemlich alles in meinem Körper tut höllisch weh und mein Kopf dröhnt unablässig. Aber das wird schon wieder. Die paar Knochen sind im Krankenhaus gleich wieder gerichtet.<<

      Thomas musste schmunzeln. Was blieb ihnen auch anderes übrig, als die Situation so gut es ging zu meistern.

      >>Das muss eigentlich genäht werden, Tom. Ich habe keine Ahnung, ob ein einfacher Verband reicht.<<

      >>Ich schätze, er muss reichen. Eine andere Option haben wir ja nicht?!<<

      >>Schon klar, aber ich will nicht, dass du hier verblu...<< Er versuchte es harmloser zu formulieren. >>Das du uns zusammensackst.<<

      Valentinas Blick verfinsterte sich erneut. Sie konnte es nicht ertragen, ihren Vater und seinen Bruder so verletzt zu sehen. Sie hatte Angst um die beiden; konnte die Situation noch nicht so verarbeiten wie Erwachsene. Martin war sich dem bewusst, konnte Valentina aber nicht alleine lassen, um sich ausgiebig um Thomas zu kümmern.

      >>Mach dir keine großen Gedanken, Vale. Das ist nur ein Kratzer. Das kriegen wir wieder zusammengeflickt.<<

      Tom lächelte das Mädchen an. >>Da habe ich schon weitaus Schlimmeres überstanden.<< Er zwinkerte ihr zu. Sie schien ihm zu glauben. Zumindest konnte Valentina sich gut zusammenreißen, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. Allerdings war das wohl die größte Lüge, die Tom je erzählt hatte. Was sollte er schon Schlimmeres als eine Schusswunde erlitten haben?! Er konnte bis eben noch nicht mal wirklich glauben, dass das alles überhaupt passiert war.

      >>Ich sage es wirklich nur ungern, aber wir sollten die Wunde trotzdem irgendwie verschließen.<<

      >>Und wie willst du das anstellen, Martin?<<

      >>Naja, keine Ahnung.<< Er sah sich in näherer Umgebung um, ob er im Schein der Lampe etwas Brauchbares erkennen konnte. Dann begann er im Verbandskasten zu kramen und legte sämtliche Gegenstände auf den Tisch. Mullbinden, eine Schere, Pflaster, Klebestreifen und noch weitere Dinge.

      >>Es muss doch ausreichen, den Arm einfach zu verbinden, oder nicht?!<<

      >>Ich bin kein Arzt, Tom. Aber es hört nicht auf zu Blu... es wäre schon besser, wenn uns etwas einfällt. Außerdem könnte es sich infizieren.<<

      >>Selbst wenn, so schnell breitet sich das nicht aus. Bis zum nächsten Krankenhaus schaffen wir das locker.<<

      >>Und wie willst du dahin kommen? Beide Autos sind Schrott und die Handys haben kein Netz.<<

      Jetzt begriff Thomas das Ausmaß der Situation. Martin hatte recht. Nochmals griff er in seine Hosentasche und holte das Handy hervor. Kein Signal. Es hatte sich nichts geändert.

      >>So ein verdammter...<< Gerade noch konnte er seine Worte zügeln. Valentinas Gemütszustand hatte sich nach wie vor nicht wirklich verbessert. Sie kämpfte mit den Tränen. Ab und zu schlich sich ein kleines Schluchzen über ihre Lippen.

      >>Ich glaube, ich habe eine Idee.<< Martins Blick war zur Kaffeemaschine gerichtet. >>Aber sie wird dir nicht gefallen.<<

      Tom blickte nun ebenfalls in die entsprechende Richtung. >>Wieso? Was meinst du?<<

      >>Ich weiß, wie wir die Wunde verschließen können.<< Martin stand auf und trat zum Regal, worauf sich der Kaffee befand. Dann öffnete er die Schublade und holte einen Esslöffel hervor. Als er sich erneut setzte, bat er Tom, ihm sein Benzinfeuerzeug zu geben. Dieser stellte es auf den Tisch. Dann sah er Martin gebannt in die Augen, welcher seinen Blick nur Stumm erwiderte. Thomas begriff, was er jetzt tun würde. Sie sahen sich für einige Sekunden nur stumm an. Jedoch verstanden sie, was jeweils im anderen vorging. Während Martin in Gedanken fragte, ob er das wirklich tun solle, grübelte Tom verbissen nach einer anderen Lösung. Er fand keine.

      >>Okay. Tun wir's.<<

      Martin wandte sich schließlich seiner Tochter zu. Leider konnte er ihr das jetzt nicht ersparen. Aber er musste versuchen, es ihr begreiflich machen.

      >>Valentina, hör zu<<, er redete sehr sanft, fast eindringlich. >>Das wird Thomas jetzt ein bisschen wehtun. Aber das ist nichts Schlimmes. Wir müssen das nämlich machen, damit es seinem Arm wieder besser geht. Es dauert auch nicht lange und ist gleich vorbei. Okay?<<

      Valentina nickte. >>Ja, okay.<<

      >>Wie gesagt, es wird nicht sehr schön aussehen, ist aber nichts Schlimmes. Danach geht es ihm wieder besser.<<

      >>Ist gut, Papa.<<

      >>Danke, mein Schatz.<< Er strich seiner Tochter eine Haarsträhne aus dem Gesicht und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, ständig bemüht, seine eigenen Schmerzen zu unterdrücken. Dann wandte er sich wieder Thomas zu.

      >>Bist du soweit?<<

      >>Ja. Aber mach es wenigstens schnell.<<

      Martin entzündete das Feuerzeug und stellte es zurück auf den Tisch. Dann griff er nach dem Löffel und hielt das schaufelförmige Ende über die Flamme. Hoch genug, dass sich kein Ruß ablagerte, aber tief genug, damit sich das Metall erhitzte. Niemand sagte seinen Ton. Für eine Minute herrschte Stille. Valentina sah den beiden zu und achtete wie gebannt auf jedes Detail. Tom versuchte sich mental auf die kommende Situation vorzubereiten. Martin konzentrierte sich weiterhin auf die Flamme. Er spürte, wie sich der Griff ebenfalls erwärmte. Das Metall wurde heiß. Wie lange sollte er es eigentlich über der Flamme lassen?

      Als er schließlich an dem Punkt war, dass ihm selbst der Griff zu warm wurde, wandte er sich zügig seinem Bruder zu, fasste ihn am Arm unterhalb der Wunde und drückte das äußere Metall der Löffelschale fest auf die Schussverletzung. Für eine Sekunde wehrte sich Thomas nicht, dann begann er die Schmerzen zu spüren. Er biss die Zähne zusammen und verzog das Gesicht. Erst drang nur ein Stöhnen aus seinem Mund, was sich Augenblicke später in lautes Schreien wandelte. Reflexartig griff er nach Martins Hand und versuchte sie von seinem Arm zu reißen. Doch dieser setzte dagegen und drückte nur noch fester zu. Der abscheuliche Geruch verbrannter Haut stieg ihnen in die Nase. Leichte, kaum sichtbare Rauchfäden schlängelten sich empor. Tom hielt den Schmerz kaum noch aus und zuckte immer unkontrollierter mit dem Körper auf dem Stuhl herum. Er wehrte sich instinktiv gegen den Schmerz. Tom wollte am liebsten aufspringen und dem Ganzen entgehen. Der plötzliche Schmerz erzeugte in ihm aufsteigende Aggressionen, die er nur zu gerne an seinem Bruder auslassen wollte. Er schien die Kontrolle zu verlieren.

      In dem Moment, als Tom seine rechte Hand zu einer Faust ballte, nahm Martin mit einem Ruck den Löffel von dessen Arm. Das Metall hatte sich inzwischen in die Haut gebrannt, sodass es die ersten Schichten mit abriss. Thomas' Schreien verstummte, gefolgt von tiefen Atemzügen. Er versuchte, sich wieder zu beruhigen. Martins Blick wanderte sofort zu seiner Tochter. Tränen liefen über ihre Wangen und die Unterlippe bebte.

      >>Wir haben es gleich geschafft,