was machst du?!<< In Martin behielt die Angst noch immer Oberhand. Doch Thomas antwortete nicht. Er drückte das Plissee mit seinen Fingern ein Stück nach oben und schielte hinaus. Aus dieser Position konnte er eine weitaus größere Fläche vor dem Haus überblicken. Alles wirkte genauso wie vorhin, als die drei das Grundstück betreten hatten.
>>Siehst du etwas?<<
>>Nein.<< Tom fasste wieder etwas Mut und positionierte seinen Kopf in der Mitte des Fensters, um eine noch größere Fläche einsehen zu können.
>>Unser Auto steht ungefähr hundert Meter weiter hinten. Ansonsten ist alles ruhig.<<
>>Bist du dir sicher!?<<
>>Es ist halt verdammt dunkel.<<
>>Kannst du den Polizisten sehen?<<
>>Nein. Da ist niemand.<<
Tom verharrte noch weitere Minuten an dem Fenster und beobachtete nur. Durch seine Paranoia und dem Adrenalinschub in diesem Moment würde er jede noch so kleine Bewegung ausmachen können.
Martins Schockzustand wich mit jeder Minute ein klein wenig mehr aus seinem Körper. Sein primärer Trost galt jedoch Valentina, die sich aufgrund seiner unmittelbaren Nähe ebenfalls beruhigte. Jetzt löste sich Thomas aus seiner starren Position und schritt leise zur Eingangstür. >>Ich werde jetzt raus gehen.<<
>>Was...!?<<
>>Martin, wir können uns doch nicht die ganze Nacht hier verkriechen.<<
>>Aber sei Vorsichtig<<, entgegnete Martin und hielt den Blick kontinuierlich auf seinen Bruder gerichtet.
Thomas positionierte sich seitlich neben einer der Flügeltüren und drückte sie Zentimeter für Zentimeter auf. Schließlich war der Durchlass breit genug um einen Schritt hinaus zu treten.
Alles war nach wie vor unverändert. Der Streifenwagen stand auf seinem üblichen Platz und die angrenzenden Grundstücke waren verlassen. Allerdings endete Toms Blick auf Höhe der Scheinwerfer, welche ihn permanent blendeten. Weder der Mazda, noch die weiterführende Straße waren einzusehen. Thomas hielt eine Hand schützend vor seine Augen und hoffte, dem Licht damit Einhalt gebieten zu können. Es war erfolglos. Die Xenon-Scheinwerfer waren zu grell.
Dann fiel sein Blick auf den Boden vor ihm. An der Stelle, wo der Parkplatz endete und die Straße begann, lag etwas. Tom war sicher, dieses Objekt bei der Ankunft nicht gesehen zu haben. Was war das?!
Klein, schwarz und an manchen Stellen metallisch glänzend.
Er blickte sich noch einmal nach allen Seiten um und wandte sich dann wieder ins Innere.
>>Es ist niemand mehr da. Kommt raus.<<
Während Thomas an der Tür wartete und sie seinen Begleitern aufhielt, traten Martin und Valentina vorsichtig hinaus. Auch diese sahen sich genauestens die Umgebung an und blieben dicht beieinander.
>>Wo ist der Polizist? Hast du ihn gefunden?<<, fragte Martin. Seine Angst hatte weiterhin Bestand, allerdings galt sie vielmehr seiner Tochter, als ihm selbst. Unter keinen Umständen sollte sie ein zweites Mal einer solchen Gefahr ausgesetzt werden.
>>Nein<<, antwortete sein Bruder. >>Vielleicht ist er noch im Auto!?<<
Auch Martin versuchte unter Zuhilfenahme seiner Hand etwas hinter den blendenden Scheinwerfern zu erkennen. Zwecklos.
>>Hallo?! Sind sie noch da drin?!<< Toms unvorhergesehener Ruf ließ Martin kurz zusammenzucken. >>Bist du verrückt?!<<
>>Wenn er noch im Wagen ist, sieht er uns doch sowieso!<<
Er ging die Treppe hinunter und überquerte den Parkplatz. Martin glaubte, er würde zu seinem Auto gehen, doch nach einigen Metern blieb Tom plötzlich stehen. Sein Blick verharrte auf dem Boden.
>>Was ist das?<<, fragte Martin.
>>Seine Pistole.<< Das Metall der Waffe fühlte sich kalt an, als Thomas sie aufhob.
>>Warum hat er sie weggeworfen?<<
>>Warum ist er nicht mit seinem eigenen Auto gefahren?! Ich habe keine Ahnung!<< Tom ging mit der P226 zurück zu seinem Bruder. >>Aber wenigstens kann er jetzt nicht mehr auf uns schießen.<<
>>Okay, ich bin der Meinung, wir sollten von hier verschwinden und zurückfahren.<< Martins Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Das war bisher die wohl beste Idee.
>>Ich gehe zum Auto und werde sehen, ob es noch fährt.<<
>>Nein, Papa. Bleib hier!<< Valentina klammerte sich an ihren Vater. Dieser beugte sich zu seiner Tochter hinunter, damit er ihr auf gleicher Höhe in die Augen sehen konnte.
>>Ich werde nur für zwei Minuten dorthin gehen und komme gleich wieder zurück. Du kannst mich die ganze Zeit über sehen.<<
>>Aber ich will nicht, dass du jetzt dahin gehst!<<
>>Ich weiß, mein Schatz. Aber wenn wir hier weg wollen brauchen wir ein Auto. Verstehst du?<<
Valentina nickte mit trauriger Zustimmung.
>>Du bleibst inzwischen bei Thomas, damit er sich alleine nicht fürchtet.<< Sein bemüht liebliches Lächeln besänftigte Valentinas Gemütszustand nur in geringem Maße.
>>Also, ich bin gleich wieder da.<< Martin richtete sich auf und führte seine Tochter die wenigen Schritte zu Thomas hinüber. Dieser versuchte ihm möglichst leise etwas ins Ohr zu flüstern, damit Valentina es nicht mitbekam. >>Ist es nicht cleverer, wenn wir alle zusammen zum Auto gehen?<<
>>Nein. Wenn der Polizist immer noch so psychotisch ist, dann will ich das meine Tochter in sicherer Entfernung ist. Du hast jetzt eine Pistole. Also pass auf sie auf. Und bleibt auf Abstand.<<
Thomas nickte.
>>Wie schlimm bist du verletzt?<< Martins Blick wanderte zu Toms verletztem Arm. Dieser hatte seine Wunde aufgrund der gegenwärtigen Situation beinahe vergessen und bisher ignoriert. Sein blaues Hemd war inzwischen bis zum Ellenbogen in ein bräunliches Rot verfärbt.
>>Ich... ich bin mir nicht sicher. Jetzt wo du es sagst tut es auch wieder weh.<< Ein kurzes Schmunzeln fuhr über sein Gesicht, dann wurde ihm jedoch der Ernst der Lage bewusst. >>Ich glaube, es blutet gar nicht so stark.<<
>>Auf jeden Fall müssen wir es verbinden. Im Auto habe ich einen Verbandskasten.<<
>>Okay.<<
Martin fuhr seiner Tochter noch einmal durch die Haare und lächelte sie zuversichtlich an. Dann atmete er tief durch und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen. Langsam. Meter für Meter. Er vermied schnelle Bewegungen um möglichst ruhig zu wirken - sowohl für seine Tochter, als auch für den Fremden, der sich noch immer hinter der Barriere aus Licht befinden konnte.
Tom hielt Valentina in seiner einen und die Waffe in der anderen Hand. Wie gebannt folgten sie dem Voranschreiten Martins, dessen Konturen durch das Gegenlicht allmählich zu einer dunklen Silhouette verschmolzen.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Doch das machte ihn nur wacher, aufmerksamer. Die Hälfte des Weges hatte er beinahe geschafft. Je näher der Mann den Scheinwerfern kam, desto eingeschränkter wurde sein Blickfeld.
>>Wenn Sie noch da drin sind, dann bleiben sie bitte ruhig!<< Martin versuchte seiner Angst Herr zu werden, indem er dem Fremden gut zusprach. Vielleicht konnte er seine angespannte Stimmung dadurch etwas beruhigen.
>>Ich will Ihnen nichts tun! Ich möchte nur wissen, ob es Ihnen gut geht!<<
Keine Antwort. Stille. Gelegentlich glitten vereinzelte Laubblätter über die Straße, aufgewirbelt von zarten Windstößen. Selbst das konnte Martin wahrnehmen,