von Woche zu Woche erheblich, bis Tom seine Lehre schließlich beendete.
Thomas war keiner von den Menschen, die ihre Arbeitslosigkeit genossen. Ganz im Gegenteil. Er zerbrach sich täglich den Kopf darüber, welcher Berufszweig wohl zu ihm passen und wofür er sich gerne engagieren würde. Nach unzähligen Telefonaten konnte er schließlich einen Praktikumsplatz bei einer sehr angesehenen Firma in Berlin ergattern, welche sich auf Bauarchitektur spezialisierte. Angetan von den zukünftigen Möglichkeiten die sich ihm eröffnen würden begann er ein Studium und hielt im Anschluss Einzug in das Unternehmen. Zu Beginn musste er sich - wie alle Berufsanfänger - erst beweisen. So absolvierte er nach seiner theoretischen Ausbildung mehrere Jahre den praktischen Dienst, bevor er sich endlich in der Architektenliste eintragen durfte.
Thomas war immer sehr engagiert und arbeitete mit Leib und Seele an den Projekten. Daher kam sein anstrebender Erfolg nicht unerwartet. Wenige Zeit später gestattete es ihm sein Gehalt sich ein entsprechend großes Loft zu mieten, dessen verglaste Fensterfront einen traumhaften Blick über die Stadt Berlin ermöglichte.
Beruflich nahm er sich vor, immer tadellos und professionell zu wirken, weshalb er sich für das Tragen vornehmer Anzüge entschied. Tom fand schnell gefallen an dem Ansehen, dass andere Menschen ihm entgegen brachten, wodurch sein beruflicher Stil ebenso im privaten Bereich zur Tagesordnung wurde. Hemd, Sakko und Krawatte waren ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von ihm weg zu denken. Fast schon penibel begann Thomas auf sein Äußeres zu achten, was einen kurzen, modischen Haarschnitt und eine stets glatte Rasur mit beinhaltete.
Neben seinem Job besuchte er regelmäßig drei Mal die Woche ein Fitnessstudio, wobei er es weniger auf Muskelaufbau anlegte, sondern vielmehr auf gut definierte Proportionen und Ausdauer.
Bei Frauen hatte Thomas nie sonderliche Probleme. Er hatte einige Freundinnen in seinem Leben, falls das überhaupt die passende Bezeichnung für die Art von Beziehungen war. Tom besuchte viele Partys und ließ nie eine Feier aus, wobei er sich mit einigen Personen des anderen Geschlechts anfreundete. Jedoch ließen sich seine Beziehungen eher in Wochen und Monaten rechnen, als in Jahren. Dies lag nicht etwa an der Furcht vor Bindungen, sondern vielmehr an seiner Liebe zur Freiheit - wie er es selbst einmal definierte. Thomas liebte Frauen, aber er konnte sie nicht in seiner Nähe haben.
Seine Wohnung war immer sehr aufgeräumt und sah makellos aus. Für Menschen, die sie das erste Mal betraten, konnte die Ordnung fast zwanghaft wirken. Die Zimmer glichen beinahe Vorlagen für Werbemagazine von Möbelhäusern, die bei möglichen Kunden einen nicht zu vergessenen Eindruck hinterlassen wollten. Schon aus diesem Grund konnte sich Tom kaum vorstellen seine Wohnung längerfristig mit einem Menschen zu teilen.
Anders als bei seinem Bruder verringerte sich der Kontakt zu seinen ehemaligen Freunden und seinen Eltern. Nicht, weil er die Verbindung zu ihnen absichtlich trennen wollte, sondern weil sein jetziges Leben kaum mehr Gedanken daran aufkommen ließ.
Jenes Wochenende mit Martin und dessen Tochter sollte die Beziehung zu seinen Eltern wieder verbessern, wofür er ausnahmsweise auch Krawatte und Stoffhose zu Hause ließ. Vermutlich lag es daran, dass Thomas unterbewusst einen Kontrast setzen wollte, da sein derzeitiges Leben mit dem früheren kaum noch etwas gemein hatte.
Allerdings empfand er große Freude, seine Eltern wieder persönlich sehen zu können - vorausgesetzt sie würden endlich ihren Weg nach Hause finden.
03 - Angst
>>Bist du dir sicher, dass das die richtige Straße ist?<<, fragte Thomas.
>>Ich glaube schon<<, entgegnete sein Bruder und lenkte den Mazda in eine kleinere Nebenstraße zu seiner Linken. Für einen Moment beleuchteten die Autoscheinwerfer das leer stehende Fahrzeug und die Reflektoren der Speichen des Fahrrads, welche sie bei ihrer Ankunft passiert hatten. Mit dem Abbiegen des Wagens wischte der Lichtkegel vorüber und die schemenhaften Konturen verblassten abermals in der Dunkelheit.
>>Wo genau fahren wir denn jetzt hin, Papa?<<
Martin haderte kurz mit sich, wie er die folgenden Sätze formulieren sollte, um seiner Tochter keine Angst zu machen.
>>Wir fahren zur Polizei.<<
>>Warum? Ist mit Oma und Opa etwas passiert?<<
>>Nein, mein Schatz. Aber vielleicht wissen die Polizisten wo sie gerade sind. Dann müssen wir nicht mehr so lange auf sie warten.<<
>>Ja, das wäre schön.<<
Martin fuhr mit mäßiger Geschwindigkeit. Er konnte nur vermuten, wo sich das neu gebaute Revier befand, da er noch nie persönlich dort gewesen war und das eingeschränkte Sichtfeld erschwerte ihm die Orientierung zusätzlich.
Sie passierten einige Vorgärten, welche alle sehr gepflegt und ansehnlich erschienen. Manche wurden von weißen oder schwarzen Zäunen umrahmt; wieder andere von Hecken, oder robusten Pergonen. Auf den Straßen parkten nur vereinzelt Fahrzeuge, da fast alle Grundstücke mit Garagen oder Carports ausgestattet waren.
In einer Auffahrt erkannte Tom einen Familienvan mit geöffneter Heckklappe und mehreren Einkaufstüten. Eine davon war herausgefallen und hatte ihren Inhalt auf das Quarzitpflaster verteilt. Tom glaubte zu erkennen, dass die Eingangstür des Hauses ebenfalls offen stand, konnte allerdings keinen zweiten Blick erhaschen, da das Stillleben weiter an ihm vorbeizog und den erhellten Bereich somit verließ. Gelegentlich passierten die drei weitere Abzweigungen, blieben jedoch auf gerader Strecke.
Thomas legte die Stirn in Falten. Man konnte an seinen Gesichtszügen erkennen, wie sich seine Gedanken überschlugen. Für eine knappe Minute drang nur das monotone Geräusch des Motors in den Innenraum des Wagens, bis schließlich Tom das Schweigen brach.
>>Halt mal an.<<
>>Warum? Was ist los?<<, fragte sein Bruder.
>>Halt einfach mal an. Ich will nur was prüfen.<<
Martin stoppte den Wagen, legte den Leerlauf ein und zog die Handbremse an. Noch bevor er fragen konnte was Tom gesehen hatte, war dieser schon ausgestiegen und lief auf direktem Weg zum nächstgelegen Haus.
>>Mach wenigstens die Tür zu!<<, rief Martin ihm nach. Vergebens. Schließlich schaltete er die Heizung zwei Stufen höher und richtete die Lüftung auf Valentina und sich neu aus. Er konnte beobachten, wie Tom sich auf der Schwelle zur Haustür positionierte und mehrmals gegen das Aluminium klopfte. Krampfhaft versuchte er anschließend durch die schmale, eingearbeitete Milchglasscheibe - welche sich mittig von oben nach unten erstreckte - einen Blick ins Innere zu erhaschen.
>>Was macht Thomas da?<<, wollte Valentina wissen und verfolgte neugierig die Handlungen ihres Onkels.
>>Ich habe keine Ahnung. Er wird es uns mit Sicherheit gleich sagen.<< Auch Martins Blick haftete weiterhin auf seinem Bruder.
>>Ich mag es nicht, wenn es so dunkel ist. Das macht mir Angst.<<
Jetzt wendete sich Martin seiner Tochter zu und sah ihr liebevoll in die Augen. Dann begann er sie mit sanfter Stimme zu beruhigen.
>>Hör zu, Valentina. In der Nacht gibt es nichts, was es nicht auch am Tag gibt. Du brauchst dich vor nichts zu fürchten. Und um den Stromausfall kümmern sich in diesem Moment bestimmt die Arbeiter des Umspannwerks. Dann ist das Problem mit Sicherheit bald wieder behoben. Und wir werden uns nachher gemütlich mit Oma und Opa an den Tisch setzen, ein paar Kerzen anzünden - ich werde den Kachelofen noch einmal anschüren - und dann machen wir uns endlich über das leckere Essen her, das sie vorbereitet haben. Was sagst du dazu?<<
>>Das schmeckt bestimmt leckerer als die Brote, die du mir vorhin gemacht hast.<<
Martin konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
>>Ja, das glaube ich auch. Und dann kannst du ihnen auch gleich von deiner neuen Lehrerin erzählen, die du so magst.<<
>>Ja, Frau Wittmann ist wirklich super. Neulich hat sie mir einen Stern für Schönschrift gegeben und gesagt, ich kann vielleicht sogar