Sebastian Fleischmann

DIE, DIE NICHT STERBEN


Скачать книгу

drin.<< Er setzte sich auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. Martin legte den ersten Gang ein und brachte das Auto in Bewegung.

      >>Ich schätze, ein Kind hat damit gespielt und ihn einfach stehen lassen.<<

      >>Glaube ich auch. Aber jetzt hab' ich erstmal Lust auf ein kühles Bier<<, entgegnete Tom.

      >>Da schließe ich mich an.<<

      Wenige Augenblicke später bog Martin in die Einfahrt des Grundstücks ihrer Eltern und hielt schräg hinter deren Kombi. Die Scheinwerfer bestrahlten den Eingangsbereich des Hauses.

      Die äußeren Mauern des zweistöckigen Gebäudes waren noch nicht verputzt. Der Neubau besaß außerdem noch keine Garage, sondern lediglich eine festgefahrene Kiesauffahrt, welche am Wiesenrand des zaunlosen Gartens endete. Bis Mitte nächsten Jahres sollte das Grundstück in voller Pracht erstrahlen, was noch etwa sieben Monate Arbeit bedeutete. Auch hier hielt die Dunkelheit Einzug.

      >>Erwarten sie uns?<<, fragte Tom.

      >>Natürlich. Aber die genaue Uhrzeit wissen sie nicht.<< Martin stellte den Motor ab, ließ jedoch die Batterie eingeschaltet, damit die Scheinwerfer weiterhin Licht spendeten.

      >>Anscheinend doch.<< Tom bezog sich auf die Haustür, welche komplett offen stand.

      Martin schnallte sich ab und stieg mit seinem Bruder aus dem Fahrzeug. Es war absolut ruhig. Sie konnten bei jeder Bewegung den Kies unter ihren Schuhsohlen knirschen hören.

      >>Ich gehe schon rein und sag ihnen, dass wir da sind<<, meinte Thomas.

      >>Okay. Wir kommen gleich nach.<<

      Tom ging ein paar Schritte zum Eingang des Hauses und stieg die drei Stufen hinauf. Dann verließ er den Lichtkegel und trat ins Innere. Martin öffnete die Tür zum Rücksitz und beugte sich hinein.

      >>Aufwachen, mein Schatz. Wir sind da.<< Sanft berührte er mit einer Hand ihre Schulter.

      >>Wach auf.<< Seine Stimme klang ruhig, einfühlsam. Leicht bewegte er den Oberkörper des Mädchens. Es war vielmehr ein Streicheln, als ein Schütteln. Schließlich öffnete sie ihre Augen, brauchte jedoch ein paar Sekunden um sich zu orientieren, bis sie ihren Vater in der geöffneten Tür erblickte.

      >>Sind wir da?<<

      >>Ja. Lass uns reingehen. Oma und Opa warten schon auf dich.<<

      Trotz Valentinas anzumerkender Müdigkeit erkannte Martin ein Lächeln. Sie war froh, endlich ihre Großeltern wieder besuchen zu können. Das letzte Mal, dass Valentina sie gesehen hatte, war vor sechs Monaten gewesen.

      Noch leicht benommen vom Halbschlaf schnallte sie sich ab und stieg aus dem Wagen.

      >>Warum ist es hier so dunkel?<<

      >>Der Strom ist ausgefallen. Aber mach dir keine Sorgen. Das ist bald wieder vorbei.<< Überzeugt von seinen eigenen Worten ließ er hinter seiner Tochter die Wagentür ins Schloss fallen. Bis sie jedoch eine andere Lichtquelle finden würden, halfen weiterhin die Xenon-Scheinwerfer.

      Valentina Kruger war neun Jahre jung. Sie trug pinke, gefütterte Winterstiefel über einer schwarzen Thermoleggins. Der lange, modisch gestreifte Pullover reichte ihr bis zu den Oberschenkeln. Auf ihre Jacke verzichtete das Mädchen und ließ sie im Wagen zurück. Schließlich waren es nur ein paar Meter bis zum Haus ihrer Großeltern und der Schnee hielt noch keinen Einzug. Valentina war gerade in einem Alter, indem sie gerne Vorbildern nacheiferte, die sie aus Zeitschriften und dem Fernsehen kannte. So hatte ihre Haarfarbe derzeit einen rötlichen Schimmer, welches auf eine Sängerin zurückzuführen war. Ein plüschiger Haargummi formte ihre schulterlangen Haare zu einem Zopf, was nicht vollkommen verhinderte, dass dennoch einzelne Strähnen über ihre Stirn ins Gesicht hingen.

      Während Martin und seine Tochter die Stufen zur Haustüre hinaufstiegen, formte sich eine Silhouette aus dem Inneren und trat ins Licht.

      >>Ich finde sie nicht.<<

      >>Irgendwo werden sie schon sein, Tom. Jetzt lass uns erstmal reingehen.<< Die Gewohnheit ließ Martin den Lichtschalter betätigen. Nichts passierte.

      >>Hab’ ich auch schon versucht<<, sagte Tom. Die Blicke der drei versuchten das Dunkel zu durchdringen, doch über den Hausflur hinaus konnten sie nichts als Schwärze erkennen.

      Direkt links von ihnen befand sich die fichtenfarbige Holztüre zur Toilette, welche geschlossen war. Auf der rechten Seite stand ein antikes Mobiliar mit eingelassenem, großen Spiegel. Daneben befand sich ein fünfarmiger Garderobenständer, woran mehrere Jacken sorgfältig aufgereiht hingen.

      Vor ihnen erkannte Martin ein düsteres Flackern aus dem angrenzenden Zimmer. Es war kaum wahrzunehmen.

      >>Es ist voll unheimlich.<< Valentina fasste nach der Hand ihres Vaters.

      >>Keine Angst. Du weißt doch, in der Nacht ist auch nichts anders, als am Tag. Nur das es dunkel ist.<< Er schenkte seiner Tochter ein entspanntes Lächeln. Diese nickte ihm zu. Valentina wusste das natürlich. Dennoch konnte sie ihr Unbehagen nicht verbergen.

      >>Lass uns mal umsehen. Vielleicht finden ja ein paar Kerzen. Was meinst du?<<

      >>Ja, gut.<<

      >>Ich gehe zum Auto und hole die Taschenlampe<<, meinte Tom und lief nach draußen.

      Inzwischen gingen sein Bruder und dessen Tochter weiter ins Hausinnere. Mit jedem Schritt wurde es dunkler. Natürlich kannte Martin das Haus. Er war schon während des Rohbaus einige Male hier gewesen und ebenfalls als seine Eltern begannen es einzurichten.

      Sie ignorierten die Tür zur Küche und traten durch die offenstehende ins Esszimmer. Ein sanftes, rötliches Flackern ließ erkennen, dass der große Tisch bereits gedeckt war. Mehrere undeutlich sichtbare Gegenstände befanden sich darauf. Teller, Gläser und ein dreiarmiger Kerzenhalter.

      Martin wandte sich um und trat durch eine Durchgangszarge ins Wohnzimmer. Hier hatte das Flackern seinen Ursprung in einem Kachelofen. Das darin schwach lodernde Feuer war bis auf ein paar wenige, züngelnde Flammen erloschen. Das Holz zerfiel bereits zu Asche.

      Zwei verschiedengroße Sofas und ein Sessel waren um einen niedrigen Couchtisch platziert. Eine schulterhohe Pflanze ragte neben dem Fernseher in der gegenüberliegenden Ecke empor. Das Zimmer hatte den Anschein höchster Ordnung.

      >>Setz dich doch schon mal. Ich werde uns ein bisschen Licht machen.<< Martin wies mit einer kurzen Geste Richtung Couch.

      >>Papa, wo sind Oma und Opa?<<

      >>Das weiß ich nicht. Aber sie wussten auch nicht genau, wann wir ankommen. Sie sind bestimmt gleich hier.<<

      Valentina nahm auf dem Sessel platz und streckte ihre Füße auf dem gepolsterten Schemel vor sich aus. Martin trat inzwischen an den Ofen und öffnete die gläserne Front. Unter dem Sitzvorsprung - welcher sich um den gesamten Kachelofen erstreckte - befand sich sorgfältig aufgebahrt trockenes Holz. Martin legte ein paar davon in die Glut. Funken stoben auf. Die untergehenden Flammen griffen sofort nach dem Rohstoff und begannen ihn zu verzehren. Langsam erhellte das Feuer den Raum etwas mehr und entfaltete eine beruhigende Atmosphäre.

      Valentina griff nach der Fernbedienung und versuchte das TV-Programm einzuschalten. Mit einer leichten Enttäuschung musste sie feststellen, dass auch dieses nicht funktionierte.

      Während Martin ins Esszimmer ging und eine Vitrine öffnete, trat Tom wieder herein. Das Licht seiner Taschenlampe kam Martin sehr gelegen und erleichterte ihm die Suche.

      >>Wonach suchst du?<<

      >>Nach Kerzen.<<

      >>Auf dem Tisch stehen welche.<<

      >>Ich weiß. Aber sie haben doch bestimmt noch weitere irgendwo gelagert, wie ich sie kenne. Damit wir ein bisschen