Sebastian Fleischmann

DIE, DIE NICHT STERBEN


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      >>Hallo?! Ist jemand da?! Ich komme von nebenan!<<

      Wieder blieb er regungslos stehen und lauschte, ob er Stimmen aus dem Inneren hören konnte. Er wurde abermals enttäuscht. Jetzt griff er nach seinem Handy und blickte auf das Display. Noch immer kein Empfang.

      >>Das gibt's doch nicht.<< Frustriert ließ er es zurück in seine Hosentasche gleiten. Er nahm die Möglichkeit wahr, durch eines der Erdgeschossfenster zu blicken. Tom musste sich auf die Zehenspitzen stellen, damit er ausreichend über den Sims ragte. Er legte eine Hand seitlich an seinen Kopf zwischen Scheibe und Gesicht, damit er der Spiegelung seiner Lampe entgegenwirken konnte.

      Das Licht traf im Inneren auf einen Tisch. Darauf befand sich ein Spielbrett, deren Plastikfiguren noch immer aufgereiht standen. Tom hatte Mühe, durch den Vorhang zu blicken und erkannte immer nur Konturen. Als er das Licht langsam von einer Seite zur anderen gleiten ließ, stellte er fest, dass es sich um die Küche handeln musste. Alles schien normal. Hinter dem Tisch führte eine Tür in ein weiteres Zimmer. Doch die Überreste des Lichtstrahls - die durch den Vorhang drangen - verloren sich knapp hinter dem Holzrahmen.

      Schließlich ließ Tom wieder vom Fenster ab. Sein Atem hatte auf der Scheibe eine hauchdünne Frostschicht hinterlassen. Für einige Sekunden blieb er vor dem Haus stehen, überlegte. Wo könnten sich seine Eltern noch aufhalten, wenn nicht bei ihren liebsten Nachbarn?! Der Mann entschied sich wieder zu seinem Bruder zurückzukehren. Mehrere Gedanken durchfluteten sein Gehirn.

      Vielleicht sind sie bei anderen Nachbarn?

      Eventuell ist ihnen etwas passiert und sie sind zum Arzt gefahren!?

      Warum steht dann ihr Auto noch in der Einfahrt?

      Und warum verflucht hat man immer genau dann kein Netz, wenn man dringend telefonieren muss?!

      Ein kurzer Anflug von Wut fuhr durch seinen Körper, welchen er allerdings sofort wieder verwarf. Diesmal schloss er die Tür hinter sich, als er erneut das Haus seiner Eltern betrat.

      >>Hast du sie gefunden?<<, fragte Martin.

      >>Nein. Drüben ist auch niemand.<< Tom war wieder bei seinem Bruder angekommen und schaltete die Taschenlampe ab.

      >>Aber wo sind sie dann?<<, wollte Valentina wissen.

      >>Ich weiß es nicht, mein Schatz<<, entgegnete ihr Vater.

      Die beiden saßen noch immer auf ihren Plätzen. Valentina hatte es sich bereits gemütlich gemacht und ihre Schuhe ausgezogen. Das Zimmer hatte inzwischen eine angenehme Temperatur angenommen, vom Feuer ausgehend. Tom verspürte dies mit wohlwollen, als positiven Gegensatz zur knochigen Kälte im Freien.

      Martin erkannte, dass Tom unruhig geworden war. Er konnte sich nicht wirklich entspannen und lehnte mit verschränkten Armen im Durchgang zum Wohnzimmer.

      >>Ich verstehe das nicht, Martin. Vielleicht sollten wir...<< Tom stockte. Noch während des Satzes fiel ihm ein, dass er Valentina nicht unnötig beunruhigen wollte.

      >>Vielleicht sollten wir was?<<, fragte Martin mit in Falten gelegter Stirn.

      >>Ach, ich weiß auch nicht.<< Doch nach kurzem Besinnen musste Tom es doch loswerden.

      >>Valentina, du hast doch Hunger, oder?<<

      >>Ja, voll.<<

      >>Sollen wir dir schon mal was zu Essen bringen? In der Küche steht bestimmt etwas, das bereits fertig ist.<<

      >>Gerne. Einen riesigen Teller.<< Ihr Gesicht erhellte sich mit zunehmender Fröhlichkeit.

      >>Na dann sehen wir mal, ob wir überhaupt so einen großen Teller finden.<< Tom erwiderte ihr Lächeln und wandte sich dann an seinen Bruder.

      >>Hilfst du mir dabei, Martin?<<

      >>Klar.<< Er lächelte Valentina zu und folgte Tom anschließend in die Küche. Er wusste, dass dieser mit ihm unter vier Augen reden wollte. Dort angekommen ergriff Tom direkt das Wort. Beide redeten mit gedämpften Stimmen, damit das Gesagte nicht bis ins Wohnzimmer drang.

      >>Kannst du mir erklären, was hier eigentlich los ist?!<<

      >>Woher soll ich das wissen?! So einen riesigen Stromausfall habe ich auch noch nicht erlebt.<<

      >>Maria und Gregor sind weder hier noch bei den Nachbarn.<<

      >>Ja, dass erwähntest du schon.<<

      >>Ich will damit sagen, niemand ist dort. Es ist genauso verlassen wie hier.<<

      Martin stutzte. >>Warst du im Haus?<<

      >>Nein. Aber ich hab' wie ein Irrer geklopft und durch ein Fenster gesehen.<<

      >>Es ist Freitagabend. Sie könnten sonst wo sein<<, meinte Martin und fuhr sich mit einer Hand über den Bart, bevor er sich rückwärts an die Küchenzeile lehnte.

      >>Und unsere Eltern? Könnten die auch sonst wo sein?!<<

      >>Keine Ahnung.<< Er neigte seinen Kopf zur Seite und versuchte wahrlich nachzudenken, wo sich ihre Eltern aufhalten könnten, wenn nicht hier, oder bei den Nachbarn.

      >>Die habe ich auch nicht. Ich meine ja nur, dass sie inzwischen längst wieder hier sein müssten.<< Tom machte eine gestische Handbewegung Richtung Ofen und Anrichte. >>Schließlich waren sie mitten am Kochen.<<

      Martin sah sich in der Küche um. Natürlich hatte sein Bruder recht. >>Und was schlägst du vor?<<

      >>Ich finde, wir sollten zur Polizei fahren.<<

      >>Zur Polizei?! Was glaubst du ist mit ihnen passiert?!<<

      >>Das weiß ich nicht. Vermutlich gar nichts. Aber wie lange wollen wir noch warten, bis wir uns entschließen, etwas zu unternehmen?<<

      >>Jetzt male nicht gleich den Teufel an die Wand. Wir sind ja erst seit Kurzem hier.<<

      Da meldete sich Martins Tochter aus dem Wohnzimmer. >>Papa, bringst du mir noch was zu Trinken mit?<<

      >>Natürlich, Valentina. Nur noch einen kurzen Moment.<< Martin bemühte sich zu einer normalen, sanften Tonlage.

      >>Okay, danke<<, rief es nochmals von nebenan, bevor er sich erneut seinem Bruder zuwandte.

      >>Du weißt doch gar nicht, ob das Polizeirevier noch geöffnet hat. Wir sind hier nicht in einer Großstadt.<<

      >>Na und?! Das ist die Polizei. Da wird doch wohl immer jemand sein<<, entgegnete Tom.

      Martin wandte seinen Blick in Richtung Valentina, dann wieder zurück zu seinem Bruder.

      >>Ich weiß nicht, ob dass nicht zu früh ist. Wie du schon sagtest, wahrscheinlich ist alles vollkommen harmlos.<<

      >>Und wenn nicht?<< Toms Blick festigte sich jetzt in den Augen seines Bruders.

      >>Lass uns noch zehn Minuten warten. Wenn sie dann nicht wieder hier sind, kannst du fahren.<<

      >>Okay. Aber du musst mitkommen. Als ich das letzte Mal hier war, gab es das Revier noch nicht. Ich habe keine Ahnung wohin ich muss. Und bei der Dunkelheit schon gar nicht.<<

      >>Dann fahren wir alle. Ich lasse Valentina auf keinen Fall hier allein.<<

      >>Na klar.<<

      Martin drehte sich zur Küchenzeile und nahm einen Teller aus einem der Wandschränke.

      >>Leuchte mal ein bisschen.<<

      >>Was willst du machen?<<

      >>Valentina etwas zu Essen bringen. Deswegen wollten wir ja schließlich in die Küche.<<

      Tom