Sebastian Fleischmann

DIE, DIE NICHT STERBEN


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am Regal beschäftigt war, entzündete Tom die Kerzen auf dem Esstisch. Dieser war bereits vollkommen angerichtet. Fünf Teller mit Besteck, entsprechend Gläser, zwei Topfuntersetzer und eine dezente Blumendekoration waren ordentlich aufgereiht.

      >>Naja, weit weg können sie nicht sein.<<

      >>Vielleicht sind sie kurz zu den Nachbarn gegangen, als der Strom ausfiel. Deswegen auch die offene Tür<<, entgegnete Martin.

      >>Bis sie wieder da sind mach' ich mir ein Bier auf. Willst du auch eins?<<

      >>Ja, gerne.<<

      Tom ging durch einen schmalen Torbogen in die Küche und somit an einer Theke vorbei, welche gleichzeitig die Durchreiche zwischen beiden Zimmern darstellte. Erstaunt starrte er für einen Moment auf die neue, moderne Kücheneinrichtung.

      >>Wow. Das ist mal eine geile Küche.<<

      >>Bringst du mir auch etwas zu Trinken mit?<<, rief Valentina ihm nach.

      >>Natürlich.<<

      Tom schwenkte seine Taschenlampe über die Anrichte und dem Herd. Töpfe mit Essen, eine Schüssel Salat und mehrere Utensilien waren darauf verteilt. Ein weiterer Blick ging in den Backofen und er wusste, was sie heute essen würden.

      >>Hey, es gibt Ente. Lecker.<<

      >>Fantastisch. Hab' ich schon lange nicht mehr gegessen<<, erwiderte sein Bruder aus dem Nebenzimmer.

      >>Kann ich etwas davon haben?<<, fragte Valentina.

      >>Ich würde doch sagen, wir warten noch auf Oma und Opa<<, entgegnete ihr Vater.

      >>Na, gut.<<

      Tom umfasste inzwischen den kühlen Metallgriff des Kühlschranks und öffnete ihn. Er war beinahe komplett gefüllt. Anscheinend wollten ihre Eltern, dass es ihnen an diesem Wochenende an nichts fehlte. Der Mann griff nach zwei Bierflaschen und klemmte sich einen Tetrapack Orangensaft unter den Arm.

      Als er sich wieder dem Esszimmer zuwandte, trat er auf etwas Hartes. Abrupt blieb er stehen und senkte seinen Blick. Der kegelförmige Schein seiner Taschenlampe zeigte auf etwas metallisches, welches das Licht reflektierte. Tom bückte sich und hob ein großes, etwa dreißig Zentimeter langes Küchenmesser auf. Kurzerhand legte er es auf ein Schneidbrett der Anrichte und ging zurück ins Wohnzimmer, wo Martin bereits einige Kerzen auf dem Tisch positioniert hatte und diese mit einem Feuerzeug entzündete. Tom öffnete die Flaschen und ließ sich auf das Sofa fallen.

      >>Eigentlich mal ganz entspannend, so mit Kerzen und sichtbarem Feuer.<< Er nahm einen kräftigen Schluck seines Biers. Der Raum war inzwischen in ein warmes, beruhigendes Licht getaucht. Die Taschenlampe benötigte er gerade nicht, also schaltete er sie ab. Schließlich setzte sich auch sein Bruder und atmete hörbar aus. Er genoss den ersten Moment der Ruhe, nach einer langen und schlauchenden Fahrt. Auch er trank genüsslich aus seiner Flasche.

      >>Ist die Autobeleuchtung eigentlich noch eingeschaltet?<<

      >>Hab' ich ausgemacht. Nur die Haustür steht noch offen, falls die beiden zurückkommen.<<

      Kaum hatte Tom das ausgesprochen, vernahm Martin einen kühlen Luftzug, welcher ihm die feinen Armhärchen aufstellen ließ.

      >>Ich ruf sie mal an und sag' ihnen, dass wir schon da sind.<< Er holte sein Handy aus der Hosentasche und begann im Telefonverzeichnis nach der Mobilfunknummer seines Vaters zu scrollen. Dann hielt er das Gerät an sein Ohr und wartete. Tom nahm einen weiteren Schluck und blickte wie gebannt durch die verglaste Front in das Feuer des Kachelofens. Die züngelnden Flammen hatten ihn in einen beruhigenden Bann gezogen.

      >>Ich habe gar kein Netz.<< Martin blickte auf das Display.

      >>Lass gut sein, ich ruf sie an.<< Tom griff ebenfalls nach seinem Handy und entfernte die Tastensperre.

      >>Ich habe auch keinen Empfang.<< Irritiert blickte er seinen Bruder an. >>Ich erinnere mich gar nicht, dass hier das Netz so schlecht ist.<<

      >>Ist es eigentlich auch nicht.<< Martin erhob sich vom Sofa. >>Gib mir mal die Lampe, ich telefoniere vom Büro aus.<< Tom überreichte sie ihm.

      >>Meinst du, es funktioniert, wenn kein Strom da ist?<<

      >>Werde ich gleich merken.<< Martin verließ den Raum und ging über den Flur zum Büro seines Vaters. Er öffnete die Tür und trat vor den Schreibtisch, worauf das Telefon stand.

      Das Zimmer war karg eingerichtet. Lediglich ein Schreibtisch mit einem Computer prangte in der Mitte des Raums. Dahinter stand ein großer, lederner Chefsessel. Gegenüber befanden sich zwei weniger bequeme Stühle, welche wohl für Kunden gedacht waren. Ein schmaler Aktenschrank machte die Einrichtung komplett.

      Martin führte den Hörer ans Ohr und horchte für einen Moment hinein, bevor er ihn wieder auf die Feststation legte. Kein Freizeichen. Schließlich ging er zurück ins Wohnzimmer und setzte sich auf seinen ursprünglichen Platz.

      >>Hattest recht, Tom.<<

      >>Tja, dann werde ich wohl einfach hinüber gehen und hallo sagen.<<

      >>Du weißt doch gar nicht, ob sie wirklich dort sind. Bleib sitzen, genieß dein Bier und warte einfach noch fünf Minuten.<<

      >>Wo sollen sie denn sonst sein?! Viele Möglichkeiten gibt's ja nicht. Außerdem habe ich Hunger.<< Tom war bereits aufgestanden und hatte von seinem Bruder die Taschenlampe wieder an sich genommen. >>Also, bis gleich.<< Damit ging er aus dem Zimmer.

      >>Wo geht er denn hin?<< fragte Valentina.

      >>Tom geht zu den Nachbarn und sagt deinen Großeltern bescheid, dass wir da sind.<<

      Er verließ das Gebäude durch die Haustür, welche noch immer offen stand, ging die Stufen hinunter und marschierte zwischen beiden Autos hindurch auf das Nachbargebäude zu. Mit einem großen Schritt durchquerte er eine hüfthohe Baumreihe, welche an den Grundstücksgrenzen entlang gepflanzt war. Der Rasen war weich und gepflegt, trotz der kalten Jahreszeit.

      Vor ihm befand sich eine kleine Terrasse aus unbehandeltem Lärchenholz. Sie war umringt von einer Vielzahl an Gewächsen. In der Mitte führten zwei schmale Steinstufen zu den Gartenmöbeln hinauf; ein relativ großer Holztisch aus Eiche mit einer Eckbank und zwei Stühlen. Daneben befand sich ein Kugelgrill, der scheinbar noch in tadellosem Zustand war. Vermutlich hatten sie ihn mehr zur Dekoration, als zur Nutzung. Die übergroße Terrassentür schien verschlossen. Der Vorhang dahinter war zugezogen.

      Tom wandte sich nach links und marschierte ums Hauseck zur Vordertür an der Straßenseite. Immer wieder fiel ihm die absolute Stille auf. Er kam aus einer Großstadt, daher war Thomas Motorengeräusche und Stimmengewirr gewohnt. Es war, als könne Tom die Stille hören. Langsam kroch sie in seine Glieder und verlieh ihm ein unbehagliches Gefühl.

      Ein kurzer Luftzug streifte seinen Hinterkopf. Er spürte, wie sich die feinen Nackenhärchen aufstellten. Kälte, gefolgt von einem hauchzarten Geräusch sich dehnenden Leders. Für einen kurzen Moment glaubte Tom, eine Bewegung über sich auszumachen. Etwas, das noch schwärzer war, als die Nacht.

      Er blieb stehen und richtete die Taschenlampe in den Himmel. Der Lichtkegel verlor sich irgendwo in der Dunkelheit. Für ein paar Sekunden stockte der Mann in seinen Bewegungen und lauschte in die Nacht. Abgesehen von der auffällig ungewöhnlichen Stille nahm er für den Bruchteil eines Wimpernschlags noch den schwachen Geruch von Fäulnis wahr - ähnlich vergammeltem Fleisch. Tom verharrte in seiner lautlosen Stellung, doch alles blieb unauffällig.

      Dann entschied er sich, weiter zur Hautür zu gehen. Dort, auf der Schwelle stehend, drückte er die Klingel. Noch im selben Moment, als er diese betätigte, fiel ihm ein, dass sie ohne Strom nicht funktionieren konnte. Tom hob die Hand und klopfte ein paar Mal gegen das Holz der schweren Eichentür. Sekunden verrannen. Nichts passierte. Er hob erneut