Frank Hille

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 8


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ausmachen. An der Spitze fuhren auseinandergezogen zirka 15 T 34 und dahinter einige BT 7. Die Infanterie war knapp 1.500 Meter vor dem deutschen Grabensystem abgesessen und folgte den Panzern. Die schweren T 34 sollten die deutschen Stellungen aufreißen, und die BT 7 und die Fußsoldaten dann die deutsche Infanterie vernichten um weiter durchstoßen zu können. Als die ersten Panzer bis auf ungefähr 1.000 Meter herangekommen waren eröffneten die deutschen Panzer und Pak das Feuer, die Feldgeschütze beschossen die gruppenweise vorgehende russische Infanterie. Erste Männer gingen zu Boden, aber die Panzer kamen schnell näher. Sie fuhren mit Höchstgeschwindigkeit und bildeten so schwer zu treffende Ziele. Lahmann schoss zweimal daneben, erst die dritte Granate traf einen T 34 am Bugblech, schlug aber nicht durch. In diesem Moment beging die russische Artillerie einen verhängnisvollen Fehler. Am Tag zuvor hatte eine Polikarpow 2 Aufklärung geflogen und die Lage der deutschen Stellungen fälschlicherweise 200 Meter zu weit östlich angegeben. Die Männer an den russischen Geschützen gingen davon aus, dass die jetzt nicht mehr weiterrückende Feuerwalze direkt in die deutschen Stellungen einschlug. In Wahrheit gingen die Geschosse aber auf oder neben den eigenen Panzern nieder und vernichteten einige Fahrzeuge. Bei den Russen herrschte totale Verwirrung und diese undurchsichtige Situation nutzen die Deutschen mit dem Einsatz ihrer schweren Waffen aus. Panzer, Pak und sogar die Feldgeschütze schossen im direkten Richten auf die russischen Panzer und nochmals gingen einige Fahrzeuge in Flammen auf. Von den angetretenen ungefähr 20 russischen Panzern waren 16 abgeschossen worden und die übrig gebliebenen drehten ab. Die russische Artillerie hatte in der Annahme, dass die Gräben genommen worden wären, die Feuerwalze weiter nach hinten verlegt und ließ die Granaten jetzt auf die eigene Infanterie regnen. Damit brach der Angriff endgültig zusammen und artete zu einer panikartigen Flucht aus. Die sich mit Vollgas zurückziehenden Panzer walzten eigene Verwundete in den Boden und hinterließen eine blutige Spur. Die deutschen Geschütze setzten noch drei Salven in die Reihen der fliehenden Russen, dann stellten sie das Feuer ein.

      Fred Beyer hatte die Turmluke geöffnet und beobachtete die Gegend. Pulverdampf zog an seinem Körper vorbei nach draußen. Über dem Gefechtsfeld standen rußige Qualmwolken der ausbrennenden Panzer, ging in den zerstörten Fahrzeugen noch MG-Munition knatternd hoch und waren leise Rufe von Verwundeten zu hören. Der Kampf sah einen eindeutigen Sieger: die deutschen Einheiten. Es war nicht ihre Abwehrleistung gewesen, die den Ausschlag gegeben hatte, sondern der verherrende Fehler der russischen Infanterie. Die Russen hatten etliche Panzer und Infanteristen verloren, die Deutschen waren mit geringen Verlusten davongekommen. Für Beyer war klar, dass der Angriff wiederholt werden würde, aber momentan war damit nicht zu rechnen, die russischen Truppen mussten erst wieder formiert werden. Er stieg aus dem Panzer aus, die anderen Männer auch.

      „Jetzt werden bei den Iwans ein paar Köpfe rollen“ meinte Bergner „die haben doch direkt auf ihre eigenen Truppen geschossen, unfassbar. Wie kann so was bloß passieren?“

      „Also ich kann mir das gut vorstellen“ erwiderte Lahmann „ich sehe unsere Ziele durch die Optik direkt. Die Kanoniere stehen mit ihren Waffen aber ein paar Kilometer hinter der Front und müssen sich auf die Angaben der Aufklärung verlassen. Die sehen doch rein gar nichts. Und wenn die den Winkel der Rohrerhöhung um ein paar Grad ändern kann das eine ganze Menge an Abweichung bedeuten. Da kommst du ohne Mathematik nicht weiter. Wäre nicht mein Ding. Deins etwa, Anton?“

      „Ach, geh! Ich brauche in meiner Schmiede n gutes Auge und Kraft. Ich muss da nichts rechnen. Aber ich muss wissen, wie ich die Stoffe zu mischen habe und wann die richtige Temperatur erreicht ist. Das is auch nich so einfach.“

      Fred Beyer stellte sich vor, wie kompliziert es sein musste, über so große Entfernungen ein Ziel genau zu treffen. Er war froh, dass der Panzerkampf auf geringere Distanz erfolgte und er erfahrene Männer an Bord hatte.

      Die Operation auf Bjelow war erstaunlich reibungslos verlaufen. Den Russen war vollkommen entgangen, dass sich eine größere deutsche Formation auf die Stadt zubewegte. Seitens der Deutschen war auf Luftangriffe verzichtet worden, um den Vormarsch so lange als möglich geheim zu halten. Außerdem waren die Einheiten nur nachts vorgerückt und blieben tagsüber in den dichten Wäldern in Wartepositionen. Günther Weber hatte mit Chaos beim nächtlichen Forcieren des Flusses gerechnet, aber die Pioniere hatten die beiden Pontonbrücken ohne größere Probleme errichten können und das Übersetzen der Einheiten verlief geordnet. Nachdem diese kritische Stelle passiert worden war bildete die Kampfgruppe zwei Stoßkeile, die sich auf Bjelow vorbewegten. Erst wenige Kilometer vor dem Ort waren die deutschen Truppen von den Russen entdeckt worden, aber diese hatten ihre Bereitstellungsräume bereits erreicht und gruben sich ein. Rechts und links von ihnen waren ebenfalls deutsche Einheiten eingetroffen und bildeten nun einen mehr als 25 Kilometer breiten Riegel vor der Stadt. Jetzt konnte die Luftwaffe auch aktiv werden und fügte den zusammengezogenen Truppen der Russen erhebliche Verluste zu. Die Artillerie schoss auf erkannte Bereitstellungen, und diese Feuerschläge brachten den Angriffsplan der Russen wohl zum Wackeln, denn sie blieben seltsam defensiv. Nachdem sich die Deutschen auch noch am folgenden Tag eingraben konnten, traten die Russen doch an.

      Günther Weber hatte die Männer seiner Kompanie so in den Gräben postiert, dass MG-Schützen ihre Waffen in recht regelmäßigen Abständen aufgebaut hatten. Dass die artilleristische Ausstattung und die Anzahl der Panzer nicht hoch waren wussten alle, aber sie waren zuversichtlich, den Angriff abwehren zu können, weil die überwiegende Anzahl der Panzer vom Typ IV Ausführung G waren. Außerdem waren einige Flak 8,8 Zentimeter eingegraben und schon auf den Erdkampf vorbereitet worden. In der Nacht zuvor hatten Pioniere noch ungefähr 300 Meter vor den Stellungen einen Minengürtel legen können, so dass die defensive Position ganz gut geschützt war. Gegen 10 Uhr begann die übliche artilleristische Vorbereitung des Angriffs durch die Russen. Diese wollten diesmal wohl nichts riskieren und hatten in dem Frontabschnitt eine große Zahl an Geschützen und Raketenwerfern konzentriert. Dazu flogen Bomber unterstützende Angriffe, deutsche Jäger waren nicht zu sehen. Als die ersten Bomben einschlugen konnten die Infanteristen nur auf ihr Glück hoffen, dass diese nicht in ihrer Nähe hochgingen. Die russischen Bomber verfügten über wenig taugliche Bombenwurfzielgeräte und hatten ihre Last zu spät abgeladen, so dass die Bomben größtenteils hinter den deutschen Stellungen explodierten und nur wenig Schaden anrichteten. Die deutschen Feldgeschütze schwiegen immer noch, aber kurz darauf paukten die Geschütze los, sie konnten allerdings bei Weitem nicht so eine Wirkung entfalten wie die russischen, sie waren in der Anzahl eindeutig unterlegen.

      Günther Weber hatte sich wie seine Männer eng an die Wand des Schützengrabens gepresst. Während des Beschusses fühlte er wieder diese Hilflosigkeit, jetzt gar nichts tun zu können, außer die Nerven zu behalten. Die ersten Salven der Russen hatten noch recht weit vor den deutschen Stellungen gelegen, aber die Einschläge kamen näher. Weber spürte die Wucht der Explosionen, die Erde bebte und der Gestank der Explosionsstoffe kroch über das Gelände. In das Krachen mischte sich jetzt noch ein jaulendes Geräusch, russische Werfer feuerten ihre Raketen ab. Vier von ihnen trafen direkt in einen Grabenabschnitt und zerrissen die dort kauernden Soldaten. Die Feuerwalze der russischen Artillerie wanderte jetzt kontinuierlich weiter auf die Gräben zu, und die ersten Granaten schlugen dort ein. Dann trommelte das Feuer weiter auf diesen Bereich, weitere Raketen explodierten nah den Stellungen. Der Lärm war ohrenbetäubend und ständig regneten Erdklumpen auf Weber und die anderen hinunter. Plötzlich gab es knapp 10 Meter von Weber entfernt einen furchtbaren Einschlag und diesmal fielen auch Körperteile auf die entsetzten SS-Männer. Wie durch einen Filter sah Günther Weber, dass einen halben Meter neben ihm ein abgerissener Arm lag. Die Russen schossen jetzt schon 25 Minuten und deren Kanoniere mussten wie im Akkord laden. Günther Weber erinnerte sich an Textstellen in Kriegsbüchern, in denen über Trommelfeuer geschrieben wurde. Er hatte schon oft unter Beschuss gelegen, aber der war deutlich kürzer gewesen. Wie die Männer in den Gräben des ersten Weltkrieges stunden- oder gar tagelange Kanonaden ausgehalten hatten war ihm unbegreiflich. Er musste immer wieder den Reflex unterdrücken aufzuspringen und den Graben zu verlassen. Die Pervitin Tablette, die er heute früh eingenommen hatte, half ihm aber über diese Krise hinweg und dann sagte er sich, dass er ohnehin keine Wahl hätte, er musste im Graben bleiben. Durch das fortwährende Krachen