Er selbst, seine Pläne und der ganze Mineralreichtum der Westlichen Provinz schienen plötzlich jeden Anflugs von Größe entkleidet. Der Eindruck war peinlich. Aber Charles Gould war nicht dumm. Er merkte schon, daß er gefiel; dieses schmeichelhafte Bewußtsein half ihm zu einem leisen Lächeln, das sein mächtiger Partner als ein Lächeln bescheidener und bewundernder Zustimmung deutete. Auch er lächelte leise; und sofort überlegte Charles Gould mit der geistigen Beweglichkeit, die man in Verteidigung einer teuern Hoffnung entfaltet, daß gerade die augenscheinliche Unwichtigkeit seines Vorhabens ihm zum Erfolg verhelfen würde. Er selbst und seine Mine würden Unterstützung finden, weil es damit nicht viel auf sich haben konnte für einen Mann, der seine Taten an einem so ungeheuren Schicksal maß. Und Charles Gould fühlte sich durch diese Erwägung nicht erniedrigt, da die Sache für ihn selbst so groß blieb wie nur je. Keines andern noch so weitreichende Auffassung vom Schicksal vermochte seiner eigenen Sehnsucht nach der Erschließung der San-Tomé-Mine etwas anzuhaben. Im Vergleich zu den scharfumrissenen Grenzen des eigenen Ziels, das mit Sicherheit in absehbarer Zeit zu verwirklichen war, erschien der andere Mann vorübergehend als ein weltfremder Träumer ohne Bedeutung.
Der Große Mann, massig und wohlwollend, hatte ihn gedankenvoll betrachtet; als er das kurze Schweigen brach, da geschah es, um zu bemerken, daß in Costaguana die Konzessionen in Schwärmen durch die Luft flögen. Jede einfältige Seele, die gerade nach einem Hereinfall verlangte, konnte eine solche Konzession auf den ersten Schuß herunterbringen.
»Unsern Konsuln wird damit der Mund gestopft«, fuhr er fort, ein Glitzern ehrlicher Geringschätzung in den Augen. Doch im Augenblick war er wieder ernst. »Ein gewissenhafter, aufrechter Mann, der sich zu Durchstechereien, Verschwörungen und Winkelzügen nicht hergibt und saubere Hände behalten will, bekommt sehr bald seine Pässe. Verstanden, Herr Gould? Persona non grata. Das ist der Grund, warum unsere eigene Regierung niemals genau unterrichtet ist. Andrerseits muß Europa aus diesem Erdteil draußengehalten werden, und für ein richtiges Einschreiten von unserer Seite ist die Zeit noch nicht gekommen, möchte ich sagen. Aber wir hier – wir sind ja nicht die Regierung dieses Landes, noch auch sind wir einfältige Seelen. Ihr Unternehmen ist schon recht. Die Hauptfrage für uns ist, ob der zweite Mann, und das sind Sie, vom rechten Schlage ist, um dem unwillkommenen Dritten, dem einen oder ändern aus dem großmächtigen Räubergesindel, das die Regierung von Costaguana in Händen hält, Widerpart zu halten. Wie denken Sie darüber, Herr Gould, he?«
Er beugte sich vor, um forschend in Charles Goulds Augen zu sehen, die seinem Blick standhielten. Charles Gould dachte an die große Kiste mit seines Vaters Briefen und ließ die angesammelte Verachtung und Bitterkeit vieler Jahre im Ton seiner Antwort mitklingen: »Soweit die Kenntnis dieser Leute, ihrer Methoden und Politik in Frage kommt, kann ich für mich gutstehen. Diese Kenntnis ist mir seit meinen Knabenjahren eingepfropft worden. Es ist herzlich unwahrscheinlich, daß ich etwa aus einem Übermaß an Optimismus in Fehler verfalle.«
»Herzlich unwahrscheinlich, wie? Das ist recht. Takt und ein steifes Rückgrat – das werden Sie nötig haben; und Sie können ruhig die Stärke ihres Rückhaltes ein wenig übertreiben. Nicht zu sehr, natürlich. Wir werden mit Ihnen gehen, solange die Sache glatt läuft. Aber wir wollen nicht in ernste Schwierigkeiten kommen. Das ist der Versuch, den zu machen ich bereit bin. Es ist ein wenig Gefahr dabei, und wir wollen sie auf uns nehmen; wenn aber Sie an Ihrem Ende nicht durchhalten, so werden wir unseren Verlust tragen, natürlich, dann aber – die Sache fallen lassen. Diese Mine kann warten; sie war schon einmal geschlossen, wie Sie wissen. Sie müssen sich klarmachen, daß wir unter keinen Umständen dafür zu haben sein werden, gutes Geld dem schlechten nachzuwerfen.<</p>
So hatte damals der mächtige Mann gesprochen, in seinem eigenen Privatkontor in einer großen Stadt, wo andere Männer (sehr bedeutend auch sie, in den Augen einer ahnungslosen Menge) dienstfertig auf einen Wink von seiner Hand warteten. Und mehr als ein Jahr später, während seines unerwarteten Erscheinens in Sulaco, hatte er nochmals seine unverbindliche Haltung mit einer Offenheit betont, wie sie ihm sein Reichtum und sein Einfluß erlaubten. Er hatte sich dabei vielleicht um so weniger Zurückhaltung auferlegt, als das, was getan, mehr noch die Art, in der es nacheinander getan worden war, ihm die augenscheinliche Überzeugung verschafft hatte, daß Charles Gould sehr wohl fähig war, »an seinem Ende durchzuhalten«.
»Dieser junge Bursche«, dachte er, »kann vielleicht noch eine Macht im Lande werden.«
Dieser Gedanke schmeichelte ihm, denn bisher hatte er über diesen jungen Burschen seinen Vertrauten keinen anderen Aufschluß geben können als diesen:
»Mein Schwager hat ihn in einem dieser alten deutschen Nester getroffen, in einem Bergwerksgebiet, und hat ihn mit einem Brief zu mir geschickt. Er ist einer von den Costaguana-Goulds, reinblütigen Engländern, doch alle im Lande geboren. Sein Onkel hatte sich auf die Politik geworfen, war der letzte Landespräsident von Sulaco und wurde nach einer Schlacht erschossen. Sein Vater war ein großer Geschäftsmann in Sta. Marta, versuchte sich von Politik fernzuhalten und starb, zugrunde gerichtet, nach einer Reihe von Revolutionen. Und da habt ihr ganz Costaguana in drei Worten.«
Natürlich war er ein zu großer Mann, als daß ihn selbst seine Vertrauten hätten über seine Beweggründe ausfragen können. Der Außenwelt wurde es freigestellt, ehrfürchtig über den verborgenen Sinn seiner Handlungen zu grübeln. Er war ein so großer Mann, daß die freigebige Begönnerung der »reineren Formen des Christentums« (die sich so kindlich im Kirchenstiften äußerte und Frau Gould solchen Spaß machte) seinen Mitbürgern als Ausdruck einer frommen und demütigen Gesinnung erschien. In seinen eigenen Kreisen aber, in der Finanzwelt, wurde das Aufgreifen einer Sache wie dieser San-Tomé-Mine zwar mit Achtung, doch auch als Anlaß zu leiser Heiterkeit angesehen. Es war die Laune eines Großen. In dem großen Holroydbau (einem Riesengebilde aus Eisen, Glas und Steinblöcken, an einer Straßenkreuzung, zuoberst von den Spinnweben der Telegraphendrähte gekrönt) tauschten die Vorstände der Hauptabteilungen mürrische Blicke und gaben einander damit zu verstehen, daß sie in die Geheimnisse der San-Tomé-Sache nicht eingeweiht waren. Die Post aus Costaguana (sie war nicht groß – ein mittelschwerer Umschlag) wurde uneröffnet geradewegs in das Zimmer des Großen Mannes getragen, und nie waren von dorther Weisungen wegen der Erledigung erfolgt. Die Beamten flüsterten untereinander, daß er persönlich antwortete – und die Antworten nicht einmal diktierte, sondern wirklich eigenhändig schrieb, mit Feder und Tinte, und, so mußte man wohl annehmen, in seinem Privatkopierbuch kopierte, das uneingeweihten Augen verschlossen war. Ein paar vorwitzige junge Leute, unbedeutende Rädchen in der elf Stock hohen Werkstatt, machten kein Hehl aus der Meinung, daß der Große Chef zu gutem Ende doch eine Dummheit gemacht habe und sich ihrer nun schäme; andere, ältlich und gleichfalls unbedeutend, doch voll romantischer Verehrung für das Geschäft, das ihre besten Jahre verschlungen hatte, raunten einander wissend zu, es sei ein schwerwiegendes Anzeichen; der Holroydverband gedenke nach und nach die ganze Republik Costaguana mit Stumpf und Stiel einzusacken. Tatsächlich aber hatten die recht, die ein Steckenpferd darin sahen. Es reizte den Großen Mann, sich persönlich um die San-Tomé-Mine zu bemühen; es reizte ihn so sehr, daß er sich durch die Vorliebe für dieses Steckenpferd bei der Wahl des Zieles für den ersten größeren Urlaub bestimmen ließ, den er seit einer erstaunlichen Reihe von Jahren nahm. Es war kein großes Unternehmen, das er dort auf die Beine gestellt hatte, keine Bahngesellschaft, kein Industriekonzern, sondern ein Mann! Ein Erfolg hätte ihm aus erfreulich neuen Gründen viel Spaß gemacht; andrerseits fühlte er aus dem gleichen Grund die Verpflichtung, beim ersten Anzeichen, daß die Sache schiefging, alles hinzuwerfen. Einen Mann kann man abschütteln. Unglückseligerweise hatten die Zeitungen über das ganze Land seine Reise nach Costaguana ausposaunt. Wenn ihm die Art Spaß machte, in der Charles Gould vorankam, so mengte er doch in die Zusage seiner Hilfe verstärkten Grimm. Sogar noch bei der letzten Unterredung, etwa eine halbe Stunde, bevor er aus dem Innenhof, den Hut in der Hand, hinter Frau Goulds weißen Maultieren abfuhr, hatte er in Charles Goulds Zimmer gesagt:
»Machen Sie auf Ihre eigene Weise fort, und ich werde Ihnen zu helfen wissen, solange Sie an der Stange bleiben. Aber Sie können versichert sein, daß wir gegebenenfalls wissen werden, Sie rechtzeitig fallen zu lassen!«
Darauf hatte Charles Gould nur geantwortet:
»Sie können die Maschinen absenden,