Gesicht trafen, auf das er einen lauernden, schläfrigen Blick heftete. Die Ziffer der kürzlich festgelegten Anleihe schoß ihm durch den Kopf. Er hob sein Glas: »Ich trinke auf das Wohl des Mannes, der uns anderthalb Millionen Pfund bringt.«
Er goß seinen Champagner hinunter und setzte sich schwerfällig, mit einem halb überraschten, halb trotzigen Blick über all die Gesichter ringsum und inmitten eines tiefen, förmlich entsetzten Schweigens, das auf den so glücklich gewählten Trinkspruch folgte. Sir John regte sich nicht.
»Ich glaube nicht, daß ich verpflichtet bin, aufzustehen«, murmelte er Frau Gould zu. »Diese Geschichte spricht ja für sich selbst.« Aber Don José Avellanos kam mit einer kurzen Rede zu Hilfe, in der er Englands Wohlwollen gegen Costaguana ausdrücklich erwähnte – »ein Wohlwollen«, fuhr er bedeutsam fort, »von dem ich mit einiger Sachkenntnis sprechen darf, da ich ja seinerzeit bevollmächtigter Gesandter am Hofe von St. James war.«
Da erst hielt es Sir John für angemessen, zu antworten, und er tat es sehr liebenswürdig, in schlechtem Französisch, durch wiederholten Beifall und das »hört! hört!« von Kapitän Mitchell unterbrochen, der ab und zu ein Wort verstehen konnte. Sobald er geendet hatte, wandte sich der Eisenbahnmagnat Frau Gould zu:
»Sie hatten die Güte, mir anzukündigen, daß Sie etwas von mir verlangen wollten«, erinnerte er sie ritterlich. »Was ist es? Seien Sie überzeugt, daß ich jede Ihrer Bitten als Bevorzugung meiner Person betrachten würde.«
Sie dankte ihm mit einem strahlenden Lächeln. Die Tafel wurde aufgehoben.
»Gehen wir auf Deck«, schlug sie vor, »dort werde ich Ihnen mein Anliegen auseinandersetzen.«
Eine ungeheure Nationalflagge von Costaguana, mit roten und gelben Querstreifen und zwei grünen Palmen im Mittelfeld, wehte träge vom Großmasttopp der Juno. Rings um die Rundung des Hafenbeckens wurde zu Ehren des Präsidenten mit anhaltendem Knattern ein ungeheures Feuerwerk abgebrannt. Dann und wann zischte ein Bündel Raketen unsichtbar in die Höhe und zerknallte in der Luft, ohne daß sich an dem klaren Himmel mehr als ein kleines Rauchwölkchen zeigte. Zwischen dem Stadttor und dem Hafen konnte man Menschenhaufen sehen, unter dem Wald vielfarbiger Flaggen, die an hohen Masten wehten. Undeutliche Bruchstücke von Militärmusik klangen herüber und fernes Geschrei. Eine Gruppe zerlumpter Neger am Ende des Kais war eifrig beim Laden und Abfeuern einer kleinen eisernen Kanone. Ein blasser, staubiger Dunst hing wie ein regloser Schleier vor der Sonne.
Don Vincente Ribiera machte, auf den Arm des Señors Avellanos gelehnt, unter dem Sonnensegel einige Schritte: rings um ihn hatte sich ein weiter Kreis gebildet, und man konnte sehen, wie das leere Lächeln seiner dunklen Lippen und das blinde Glitzern seiner Brille liebenswürdig in die Runde wanderten. Die ungezwungene Veranstaltung, die dem Präsidenten-Diktator hatte die Gelegenheit geben sollen, mit einigen seiner hervorragendsten Anhänger in Sulaco in kleinem Kreise zusammenzutreffen, näherte sich ihrem Ende. Etwas abseits saß General Montero, der sein kahles Haupt nun mit einem federgeschmückten Dreispitz bedeckt hatte, in einem Stuhl, nahe dem Oberlicht; er hatte die Hände in mächtigen Stulphandschuhen über dem Korb seines Säbels gefaltet, der gerade zwischen seinen Knien emporstand. Der weiße Federbusch, die Kupferfarbe des breiten Gesichts, das Blauschwarz des Schnurrbarts unter dem krummen Schnabel, die Unmasse von Gold auf Ärmeln und Brust, die hohen, glänzenden Stiefel mit ungeheuren Sporen, die arbeitenden Nüstern, der dumm-hochmütige Blick des glorreichen Siegers von Rio Seco: – dies alles schuf ein beängstigendes und unglaubliches Bild; es hatte die Übertreibung einer grausamen Karikatur, die Einfalt eines feierlichen Mummenschanzes, die groteske Grausamkeit eines Kriegsgötzen, der, von Azteken ersonnen und von Europäern bekleidet, nun die Andacht der Gläubigen erwartete. Don José näherte sich mit gewinnendem Lächeln dem düsteren Mann, der wie das unerforschliche Schicksal thronte, und Frau Gould wandte endlich ihren gebannten Blick ab.
Als Charles Gould hinzutrat, um sich von Sir John zu verabschieden, hörte er ihn, während er sich über die Hand von Frau Gould beugte, sagen: »Gewiß. Selbstverständlich, meine liebe Frau Gould. Für einen ihrer Protegés! Nicht die geringste Schwierigkeit. Betrachten Sie es als geschehen.«
Während er im gleichen Boot mit den Goulds an Land zurückfuhr, war Don José Avellanos sehr schweigsam. Sogar im Wagen der Goulds sprach er lange Zeit kein Wort. Die Maultiere trotteten langsam vom Kai weg, zwischen den ausgestreckten Händen der Bettler, die für diesen Tag in geschlossenen Haufen die Kirchenportale verlassen zu haben schienen. Charles Gould saß auf dem Rücksitz und sah über die Ebene weg. Zahllose Buden aus grünen Zweigen, aus Binsen, aus Bretterresten mit Leinwandfetzen darüber, waren ringsum für den Verkauf von Zuckerrohr, Dulces, Früchten und Zigarren aufgeschlagen worden, über glimmenden Holzkohlenhäufchen kochten indianische Frauen, auf Matten kauernd, das Wasser für die Mate-Kürbisse, die sie mit demütig schmeichelnden Stimmen den Landleuten anboten; in rauchschwarzen irdenen Töpfen brodelte Essen für die Vaqueros. Eine Rennbahn war abgesteckt worden, und weit weg zur Linken drängte sich die Menge um einen hohen, schnell errichteten Bau, der wie eine hölzerne Zirkusbude mit kegeligem Grasdach aussah: von dorther klang das tiefe Schwirren der Harfensaiten, das scharfe Klimpern der Gitarren, getragen von dem dumpfen Dröhnen einer Indianertrommel, das in strengem Gleichmaß den schrillen Gesang der Tänzer durchpulste.
Charles Gould sagte unvermittelt:
»Das ganze Stück Land hier gehört nun der Eisenbahngesellschaft. Hier werden keine Volksfeste mehr abgehalten werden.«
Es betrübte Frau Gould, daran denken zu müssen. Sie benützte die Gelegenheit zu der Mitteilung, sie habe eben von Sir John das Versprechen erwirkt, das Haus des alten Giorgio Viola solle unberührt erhalten bleiben. Sie erklärte, sie habe es nie begreifen können, warum die Vermessungsingenieure überhaupt davon gesprochen hätten, das alte Haus niederzureißen. Es stand der geplanten Zweiglinie nach dem Hafen nicht im geringsten im Wege.
Sie ließ den Wagen vor der Türe halten, um dem alten Genuesen, der bloßhäuptig an den Wagenschlag trat, sofort die beruhigende Gewißheit zu geben. Sie sprach natürlich italienisch mit ihm, und er dankte ihr mit ruhiger Würde. Ein alter Garibaldiner wisse ihr von Herzen Dank dafür, daß sie das Dach über den Köpfen seiner Frau und seiner Kinder erhalten habe. Er sei nun zu alt, um noch länger zu wandern.
»Und ist es für immer, Signora?« fragte er.
»Für so lange, wie Sie es wollen.«
»Bene. Dann muß das Haus einen Namen haben. Bisher schien es nicht der Mühe wert.«
Er lächelte trübe, wobei um seine Augenwinkel eine Unmenge Runzeln zusammenliefen. »Ich will mich morgen daranmachen, den neuen Namen zu malen.«
»Und wie soll das Haus heißen, Giorgio?«
»Albergo d'Italia Una«, sagte der alte Garibaldiner und sah einen Augenblick lang zur Seite. »Mehr zum Andenken an die, die ihr Leben gelassen haben«, fügte er hinzu, »als wegen des Landes, das uns Soldaten der Freiheit durch die Schliche der verwünschten Piemontesenrasse von Königen und Ministern gestohlen worden ist.«
Frau Gould lächelte ein wenig, beugte sich vor und begann nach seiner Frau und den Kindern zu fragen. Er hatte sie an dem Tage in die Stadt geschickt. Die Gesundheit der Padrona war nun besser; vielen Dank der Signora für die Nachfrage.
Leute gingen zu zweit und zu dritt vorbei, ganze Haufen von Männern und Frauen, von trippelnden Kindern gefolgt. Ein Reiter auf silbergrauer Stute hielt ruhig im Schatten des Hauses an, nachdem er vor der Gesellschaft im Wagen, die ihm mit Lächeln und vertraulichem Nicken dankte, den Hut gezogen hatte. Der alte Viola, offenbar sehr erfreut über die eben gehörte Neuigkeit, unterbrach sich einen Augenblick, um ihm mitzuteilen, daß durch die Güte der englischen Signora das Haus gerettet war, solange er es zu behalten wünschte. Der andere hörte aufmerksam zu, gab aber keine Antwort.
Als der Wagen anfuhr, zog er abermals den Hut, einen grauen Sombrero mit Silberschnur und Quasten. Die grellen Farben eines mexikanischen Serape leuchteten vom Sattelknopf; die riesigen Silberknöpfe an der gestickten Lederjacke, die Reihen glitzernder Silberknöpfe am Saum der Reithose, das schneeweiße Leinen, eine Seidenschärpe mit gestickten Enden, der Silberbeschlag am Kopfgestell und Sattelzeug