Kerry King II

GANZ OBEN.


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       Imprint

      GANZ OBEN.

      Reise durch ein eigentümliches Land.

      K. King

      epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Copyright: © 2012 K. King ISBN 978-3-8442-4153-2

      Vorwort

      Dieses Buch hätte nicht geschrieben werden müssen. Es handelt von Begebenheiten, die bereits 10 Jahre zurückliegen und in Vergessenheit geraten waren. Vielleicht zu recht.

      Es handelt vom Versuch eines jungen Mannes, die Leere im Leben zu füllen – vielleicht entstanden durch die fehlende Gelegenheit, einschneidende Erlebnisse wie die Eroberung fremder Ländereien mitzumachen. Dies ist den Angehörigen der Generationen, denen die „Gnade der späten Geburt“ nachgesagt wird, bekanntlich weitgehend verwehrt, angesichts der übermäßigen Inanspruchnahme dieser einstmals hierzulande sehr beliebten „Freizeitgestaltung“ durch die Altvorderen.

      So wird die Zeit der Ausbildung und des Studiums so lange wie möglich ausgedehnt, um dem Hedonismus ungestört frönen zu können. Das führt jedoch unweigerlich zu Phantomschmerz und um die 30 zu dem Gefühl, etwas Entscheidendes verpasst zu haben.

      Als letztes Abenteuer, bevor der Ernst des Lebens unweigerlich beginnt, schien der „Krieg auf der Straße“ ein einigermaßen akzeptables Substitut.

      Man hätte es dabei, die damit verbundenen Erfahrungen gemacht zu haben, belassen können.

      Nachdem ich mich allerdings nun durch mehr als 300 Seiten literarische Wanderung durch Nordspanien[1] gequält habe (der beschriebene Marsch selbst war wohl weniger anstrengend) und dieses „Ereignis“ es auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste schaffte, kann Deutschland dieses Buch nicht mehr vorenthalten werden.

      Die Geschichte ist bewusst kurz gehalten. Dies entspringt der tiefen Überzeugung des Autors, dass es nur einen graduellen Unterschied bedeutet, einem anderen das Leben zu nehmen oder übermäßig seine Zeit zu beanspruchen. So gesehen stellt das erwähnte Wanderbuch möglicherweise sogar einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt dar, was aber hier nicht weiter verfolgt werden soll. Es geht auch anders:

      Ganz oben.

      Samstag, 20.3.,nachmittags

       „De Peter* fährt am Montachmorje um zwo Uhr fort, do fährste mit. Der weist Dr dann alles weitere“.

      Mit diesen dürren Worten des Seniorchefs Alfred beginnt mein Job bei der Spedition B. in W. Die Firma hat ein gutes Dutzend Lastzüge, die Hälfte ausgeflaggt in einer Niederlassung im Kreis Halle an der Saale mit lokalem Personal am Steuer und „SK“ auf dem Kennzeichen.

      Zwischen den schriftlichen Arbeiten und der mündlichen Prüfung zum ersten juristischen Staatsexamen war mir die Zeit etwas lang geworden, so dass ein „kleiner Aushilfsjob“ als LKW-Fahrer genau die richtige Beschäftigung zu sein schien.

      Das Studium der Jurisprudenz scheint allgemein nicht folgenlos an den Betroffenen vorbeizugehen, gemessen an den Ideen anderer im gleichen Stadium (etwa der Entführung von Bankiers-Söhnen) erschien mir die gewählte Ablenkung jedoch noch moderat. Relativ, wie die folgenden Wochen zeigen sollten.

      Montag, 22.3., 02:00 Uhr

      Dass die Information am Samstag vielleicht doch etwas arg knapp ausgefallen war, stelle ich fest, als ich meinen Fahrer Peter treffe.

       „Ist das alles, was De mitnimmst?“

      Ich weiß nicht, worauf er hinaus will.

       „Wo haste denn Dei Klamotte? Hat der Alfred Dir nix davon gesacht, dass De vor Freitag net mehr heimkommst? Das iss so typisch Alfred (lacht). Steig ein, wir müsse los!“.

      Ein Beginn so richtig nach meinem Geschmack also, aber irgendwie symptomatisch, wie sich noch zeigen sollte.

      Peter ist ein Trucker vom alten Schlag - das heißt, er ist von seinem äußeren Erscheinungsbild irgendwann in den achtziger Jahren stecken geblieben: lange, ungepflegte Haare, Schnauzer wie Walross Antje, knallenge Röhrenjeans, Turnschuhe - erinnert irgendwie an dunkelste Speed Metal-Zeiten.

      Peter scheint aber trotzdem ganz nett zu sein, er erklärt mir alles sehr ruhig und sachlich und gibt mir gute Tipps, die sich in den folgenden Tagen und Wochen noch als wertvoll erweisen sollen.

      Wir fahren mit dem Lastzug des im Urlaub weilenden Kollegen Dieter. Der Auflieger ist beladen mit Spanplatten für ein Möbelwerk in Ostwestfalen. Die Zugmaschine ist schätzungsweise 10 Jahre alt, ein Mercedes-Benz 1735 SK mit 350 PS, der Auflieger ist Baujahr 1982, so alt wie die Spedition selbst.

      Unterwegs stellt Peter fest, dass die Zugmaschine keinen Retarder[2] hat - der war defekt und wurde kurzerhand ausgebaut. Ist ja anscheinend auch nicht so wichtig.

      Auf der Sauerlandlinie halten wir auf einer Raststätte, um die Positionen zu wechseln. Ab jetzt fahre ich.

      Peter sagt, er will noch kurz nachsehen, wieviel Diesel im Tank ist; er springt in die Büsche, bricht einen Ast ab und peilt damit den Dieselstand im Tank. Die Tankanzeige ist defekt.

      So langsam komme ich mir vor wie auf dem Balkan, aber bei der Firma B. ist das anscheinend normal. Zum Glück ist es noch dunkel, so dass man nicht von jedem gesehen wird.

      In Herford liegt eine Brücke auf dem Weg, die nur mit 3,8m hohen Fahrzeugen unterquert werden darf. Wir haben gut 4,0m zu bieten, fahren aber trotzdem weiter, da der Umweg zu viel Zeit kosten würde. Unwillkürlich kommen mir als Wahl-Kölner die Berichte über die gescheiterten Aspiranten in den Sinn, die bei dem Versuch, dem Horror des Kölner Autobahnrings durch eine Abkürzung quer durch die Stadt zu entgehen, an der Eisenbahnbrücke über die Innere Kanalstraße regelmäßig scheitern. Ich sehe schon die Zeitungsschlagzeilen vor mir (EXPRESS: „Deutschlands dümmster Brummifahrer...“). Ein toller Einstand also.

      Doch wir haben Glück. Alles, was passiert: die Warnlampen an der Brücke leuchten auf. Jetzt darf nur keine Polizeistreife in der Nähe sein, sonst wird es teuer.

      Als wir gegen halb sieben bei dem Kunden in Bad Oeynhausen ankommen, sind schon drei Lastzüge vor uns da. Es gibt nur einen Staplerfahrer, also heißt es warten. Wir müssen anschließend nach Horn-Bad Meinberg. Aus dem dortigen Spanplattenwerk der Firma H. geht ein täglicher Shuttle-Verkehr in das Werk nach Nidda. Diesen Shuttle soll ich bis auf weiteres fahren. Es wird jeweils morgens bei einem Kunden in der Nähe von Horn abgeladen, spätestens um neun muss ich dann im Spanplattenwerk sein. Da Verzögerungen natürlich nicht einkalkuliert sind, wird es schon gleich stressig.

      Im Werk wird regelmäßig an vier oder fünf Stellen geladen. Die Ladung besteht aus einzelnen Teilladungen, die in Nidda auf andere Laster verteilt werden. Das bedeutet immer wieder Warten, die Ladung mühsam mit Gurten verzurren, nur um diese bei der nächsten Versandstelle wieder zu lösen. Dank der Erfahrung von Peter sind wir trotzdem relativ zügig fertig.

      Dann heißt es auf die Papiere warten. Da die Ladung aus zig einzelnen Positionen besteht, müssen entsprechend viele Lieferscheine geschrieben (und vom Fahrer unterschrieben) werden. Das dauert und bringt unseren Terminplan erneut ins Wanken. Die ganze Prozedur ist ein zeitraubender Papierkrieg, der täglich aufs neue ausgetragen wird. Angesichts des Umstandes, dass wir zwischen zwei Werken einer Firma unterwegs sind, wirkt das Ganze noch grotesker.

      Zeit spielt hier offensichtlich keine Rolle, die kann man ja auf der Straße wieder aufholen. Wir kommen erst nach Mittag los, um vier sollen wir in Nidda sein. Bei normaler Fahrweise braucht man dreieinhalb bis vier Stunden. Für eine Pause ist also keine Zeit.

      In Nidda warten andere Lastwagenfahrer oft seit Stunden noch auf ein einziges Paket aus unserer Sammelladung. Dass sie schon halbwegs in Österreich oder sonst wo sein könnten, wenn man das Paket am Tag zuvor schon nach Nidda gefahren hätte, interessiert bei der Firma H. natürlich niemanden; „just-in-time“ ist angesagt[3].

      Entsprechend