einem hier natürlich keiner (Ostwestfalen!). Ich bin konsterniert, dass man hier auf pünktlicher Pause besteht, obwohl ich es doch eilig habe und in Nidda alle warten.
Ich muss noch viel lernen. Vor allem, dass alle anderen Zeit haben, und es letzten Endes immer am Fahrer hängen bleibt. Und dass in derselben Firma längst nicht alle an einem Strang ziehen, es sei denn, an dessen Ende ist die Schlinge um den Hals des Fahrers einer Fremdspedition.
Die Damen im Schreibbüro haben natürlich auch viel Zeit. Ein bis zwei Stunden auf die Papiere zu warten ist normal. Also wird es wieder nichts mit Essen, denn im Werk gibt es nichts und für eine Pause zwischendurch ist es schon wieder zu spät.
Unterwegs genieße ich die Insignien der Macht eines Fernfahrers: Großraum-Fahrerhaus, C-Netz Telefon, CB-Funk.... alles da. Die einzige Freude in diesem Job, so scheint es.
Ich bin ganz oben!
Ich bin pünktlich, also aus Sicht der Wartenden zu spät in Nidda. Dort haben natürlich auch alle Zeit, außer den anderen Fahrern. Ich muss zusehen, dass mein Auflieger entladen wird, dann muss ich den vorgeladenen Auflieger für den nächsten Tag aufsatteln und die Ladung festzurren. Auch hier wieder Warten auf die Papiere. Es geht jedoch wesentlich schneller, da ich nur wenige Positionen für einen einzigen Kunden geladen habe. Die Post der gesamten Niederlassung muss natürlich auch noch mit, das spart Porto und Speditionsfahrer kann man ja schließlich nicht genug ausbeuten.
Bis spätestens 17.30 Uhr müsste ich wieder auf Achse sein, wenn ich noch durchs Edertal kommen will. Dort ist die Strecke nämlich ab 20.00 Uhr für LKW gesperrt, und zweieinhalb Stunden brauche ich bis Diemelstadt. Das interessiert in Nidda natürlich keinen, also komme ich viel zu spät weg und muss wieder über die Kasseler Berge...
Gegen halb elf abends bin ich in Schieder-Schwalenberg. Zum Glück habe ich einen Kollegen gefragt, wo genau das Möbelwerk liegt, und derjenige hat genaue Auskunft gegeben, ohne zu wissen, wovon er redet.
Ich verpasse also zielgerichtet die Abfahrt und lerne dabei zwangsläufig, einen 40-Tonnen-Sattelzug in einem Zug auf der Kreuzung einer engen Dorfstraße zu wenden. Man nennt das „kurz Herumziehen“. Bei voller Beladung ist das so richtig gut für die Reifen des Aufliegers. Zurück bleiben Radierungen eines unbekannten Meisters auf dem Asphalt.
Der Pförtner im Werk lässt mich nicht mehr herein und schickt mich stattdessen auf einen Parkplatz am Bahnhof, ich soll um halb sechs am nächsten Morgen wieder kommen. Wie sich herausstellt, ein wirklich guter Schlafplatz, denn hier fahren die Züge anscheinend im Viertelstundentakt....
Aber wen interessiert schon, ob ein LKW-Fahrer schlafen kann.
Mittwoch, 24.3.
Ich bin um 5.30 Uhr am Werkstor, und damit sind zunächst einmal alle froh. Das heißt natürlich nicht, dass jetzt zügig abgeladen wird.
Die beiden Ex-Knackis von der Warenannahme in Werk 23 fangen vor sechs Uhr grundsätzlich nicht an. Außerdem ist es kalt draußen, man traut sich anscheinend nicht so recht ins Freie. Also dauert es. Mich kotzt schon wieder alles an.
Dann versuchen die Ostwestfalen auch noch, Witze zu formulieren. Wer das Volk kennt, weiß, dass dieses Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Dort ist nämlich humorfreie Zone. Bis die Witzbolde in die Gänge kommen, ist es schon wieder spät. Zum Glück ist es nicht weit bis Horn, und da geht das ganze Drama ohnehin von vorne los. Effekt: Wieder kein Mittagessen.
In Nidda treffe ich auf den Kollegen Horst. Nein, nicht der nette Weihnachtsmann-Actros-Fahrer aus der Mercedes-Werbung, sondern ein Veteran der Wehrsport-Gruppe Hoffmann[7]. Horst ist ein Bild von einem deutschen Mann: Auf den einen Oberarm ein Hakenkreuz mit Reichsadler eintätowiert, den anderen Bizeps schmückt der Wahlspruch „Meine Ehre ist Treue“. Habe ich irgendwo schon mal gehört?!
Horst ist so ein harter Typ, dass er auch im Winter nur mit Träger-Shirt herumläuft, obwohl die Heizung in seinem Laster kaputt ist (wie sollte es auch anders sein, Horst fährt schließlich auch für die Firma B.). Böse Zungen behaupten allerdings, der harte Aufzug diene lediglich dazu, die ungestörte Aufmerksamkeit den hübschen Tätowierungen zuzuführen.
Ansonsten ist Horst aber ein herzensguter Kerl (die Beschreibung erinnert nur zufällig an einen Kampfhund. Man kennt das: „Keine Angst, der will nur spielen“!). Keine Ahnung, ob die Gerüchte stimmen, dass er schon mal jemanden „umgelegt“ hat. Wundern würde es mich aber nicht.
Das Ganze erinnert ein wenig an die „Gowgy-Situation“.
Gowgy habe ich als Jugendlicher in der Disco „kennen gelernt“. Gowgy war ein „Templer“[8]. Die „Templer“ traten immer in kleinen Gruppen in voller Club-Montur (Kutten) und leidlich schweren Bikes auf, waren aber trotzdem eher geduldet als gefürchtet.
Die „Templer“ konnten uns Metaler nicht leiden und es gab ständig Stress. Der Grund war, dass auch wir Kutten trugen und in kleinen Gruppen auftraten. Die Sorge der harten Rocker war, dass der durchschnittliche Spießbürger nicht zu unterscheiden wusste zwischen Rocker und Metalkids und den Ärger, den wir anrichteten, den „Templern“ anhängen würden. Seitdem hatte ich für die Typen nur noch Verachtung übrig.
In der Disco hielten sie sich immer in der Nähe der Klos auf, dort störten sie nicht weiter. Eines Tages war ein mir bis dahin unbekannter, sicherlich mehr als zwei Meter großer und entsprechend breiter Typ dabei. Ich schaute mir den Neuzugang etwas genauer an, was diesem irgendwann auffiel. Unsere Blicke kreuzten sich, seiner war durchdringend und hasserfüllt. Nun hatten wir die „Gowgy-Situation“.
Mir wird unmittelbar klar, wenn ich jetzt wegsehe oder blinzele, wird mein Gegenüber dies als Schwäche auffassen und mich fertig machen. Also schaue ich ihm weiter in die Augen, er erwidert den Blick und wartet, dass ich schwächele. So stehen wir uns dann eine gefühlte Viertelstunde gegenüber. Irgendwann wird dem Typen die Sache offenbar zu langweilig und er zieht ab. Ich lege es ihm als Schwäche aus und entscheide, auf Unterlegene nicht auch noch einzuprügeln.
Der wahre Grund für den Abgang war wohl, dass er sich in der gerade wieder gewonnenen Freiheit nicht gleich wieder einschränken lassen wollte. Man klärt mich anschließend auf, dass ich wohl gerade extremes Glück hatte. Dem Letzten, der dem Typen dumm kam, war dies nicht vergönnt.
Gowgy kam nämlich gerade aus dem Knast. Er wurde in Frankfurt verhaftet, als er auf offener Straße mehrere Polizisten verprügelte. Diese wollten angeblich einen Mann retten, den der nette Gowgy gerade mit Benzin übergossen und angezündet hatte. Das – so wurde kolportiert - entfachte den Hass des Rockers und er ging auf die Polizisten los:
„Ihr scheiß Bulle, haut ab und lasst mein Türk brenne!“.
Nach dieser Aktion war er dann erst einmal weg von der Straße.
Man lernt aus solchen Erfahrungen, etwas vorsichtiger zu agieren, wenn man es mit offensichtlichen Exzentrikern zu tun hat, deren Hintergrund man nicht so genau kennt.
Kollege Horst lacht sich jedenfalls kaputt, als er hört, dass ich Shuttle fahre. Shuttlefahren ist nichts für unseren Horst. Ein echter Trucker muss nämlich in die große, weite Welt.
Außerdem könnte er dann nicht jeden Abend zu Hause vorbeifahren (die große weite Welt sollte also nie zu weit weg von Mutti enden), dort schläft es sich nämlich angenehmer als im kalten Führerhaus (im Falle von Horst scheint mir dieser Begriff durchaus angebracht).
Fernfahrer Horst fährt also so gut wie täglich nach Hause zur treuen Doris. Das sieht der Alfred zwar nicht gerne, aber irgendwie hat unser Pitbull sich dieses Recht ertrotzt. Wer ihn kennt, weiß warum er eine gewisse Narrenfreiheit hat.
Man legt sich nicht gerne mit Horst N. („Nazi-Horst“) an. Jedenfalls ziehe ich es vor, zu den Leuten zu gehören, die der Horst in sein großes Kämpferherz geschlossen hat.
Ich fahre mal wieder notgedrungen über die A 5/7 Richtung Kassel. In Alsfeld fahre ich auf die Raststätte, weil ich vor Hunger kaum noch stehen kann (wozu auch, ich sitze ja sowieso die meiste Zeit). Da ich mich irgendwie immer noch