Heidi Oehlmann

Gefühlschaos


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      Meine giftige Ansprache klang nicht nur angesäuert. Sie war auch so gemeint. Ich bin stinksauer auf meine sonst so mitfühlenden Freundinnen. Wie können sie Carmen einfach so sich selbst überlassen und zur Tagesordnung übergehen?

      Ich lasse mich auf den Stuhl neben meiner spanischen Freundin fallen und lege ihr einen Arm auf die Schultern.

      »Jetzt spiel dich mal nicht so auf, Mia! Was sollen wir denn machen? Sollen wir Karl zwingen zu Carmen zurückzugehen?«, sagt die Streberin.

      Ich koche vor Wut, versuche, mich Carmen zuliebe zusammenzureißen. Ihr geht es sichtbar mies genug, da muss sie nicht auch noch einem Streit zwischen Lisa und mir ausgesetzt sein.

      Es ist typisch für Lisa, sie hat keinen Funken Mitgefühl und wenn, kann sie ihre Gefühle ganz gut verbergen.

      Wie ich es hasse, wenn Lisa mich so anmotzt. Immer wenn sie das tut, frage ich mich, wie sie zu uns stieß.

      Am Anfang gab es nur Carmen, Marta und mich in unserer fröhlichen Frauenrunde. Wir drei kennen uns aus der Schule. Vom ersten bis zum letzten Schultag drückten wir zusammen in einer Klasse die Schulbank. Wir drei verstanden uns seit der Einschulung blendend und sind seitdem unzertrennlich. Im Laufe der Jahre teilten wir alles - die Probleme mit unseren Eltern, die erste große Liebe und was man sonst für Sorgen als Teenager hat - miteinander. Das hält bis heute an. Wir können einfach über alles sprechen.

      Vor sieben Jahren schleppte Carmen, die nur ein Jahr ältere Frohnatur Sybille an. Die beiden lernten sich in der Tanzschule kennen und waren auf Anhieb auf einer Wellenlänge. Carmen wollte damals, die für ihre Heimat typischen spanischen Tänze lernen, sie ist in Deutschland geboren und kennt ihr ursprüngliches Herkunftsland nur aus den Urlauben.

      Marta und ich fanden Sybille auch von Anfang an sympathisch. Wir nahmen sie nach kurzer Zeit in unsere Mädelsrunde auf. Seitdem war sie bei jedem unserer Treffen dabei.

      Damit waren wir eigentlich schon komplett. Zu viert war es viel besser als vorher nur zu dritt. So konnten wir auch etwas in Zweiergruppen unternehmen, ohne, dass sich eine von uns ausgeschlossen fühlte. Von mir aus hätte sich die Runde nicht vergrößern müssen. Vor zwei Jahren kam die ein Jahr jüngere Lisa hinzu. So richtig mitgebracht wurde sie von niemandem. Irgendwann war sie einfach da. Wir saßen damals zu viert hier in unserem Stammcafé, als uns Lisa aus heiterem Himmel angequatscht hatte. Schüchtern war sie schließlich nie. Ich kann mich nicht mehr erinnern, weshalb wir ins Gespräch gekommen waren. Lisa verbrachte an diesem Tag gleich mehrere Stunden an unserem Tisch. An dem besagten Tag fand ich ihre Anwesenheit noch okay. Was danach folgte, grenzte schon an Dreistigkeit.

      Seit Jahren finden unsere Treffen freitags nach Feierabend - manchmal auch an anderen Tagen - meist in unserem Café statt. Von unserem Stammcafé aus starten wir unsere Unternehmungen. Es kommt selten vor, dass wir uns ganz woanders treffen.

      Das musste Lisa geahnt haben. Eine Woche später, so wie die darauf folgenden Freitage war sie wieder hier. Das hat sich bis heute nicht geändert. Bisher hat sich noch keine von den anderen Mädels dazu geäußert, ob sie mit Lisas Anwesenheit einverstanden sind. Ich bin mir unsicher, ob die anderen sie dulden oder mögen. Deshalb habe ich bisher auch nichts gesagt.

      So richtig warm bin ich mit Lisa in der ganzen Zeit nicht geworden. Vielmehr habe ich sie den anderen zuliebe geduldet. Ihre Art finde ich schrecklich. Ihr fehlt eine gewaltige Prise Herzlichkeit und Verständnis für andere Menschen. Außerdem könnte sie viel mehr aus sich machen. Sie läuft herum wie eine graue Maus. Durch ihren streng gebundenen Zopf wirkt sie irgendwie pädagogisch, so wie eine Lehrerin. Wahrscheinlich denkt sie deshalb, sie muss uns - speziell mich - auf Fehler aufmerksam machen und noch etwas beibringen, aber ich bin keine zwölf Jahre mehr alt. Meine Schulzeit habe ich hinter mir gelassen und muss mich mit meinen fünfundzwanzig Jahren nicht mehr ungefragt belehren lassen. Und schon gar nicht von jemandem, der ein Jahr jünger ist, als ich es bin.

      Vor sieben Jahren, kurz, nachdem Sybille zu uns stieß, haben wir eine Art Pakt geschlossen. Bis zu unserem dreißigsten Geburtstag, was in fünf Jahren so weit ist - Sybille hat nur noch vier Jahre und Lisa hätte sechs Jahre Zeit, wenn sie mitmachen würde - wollen wir alle einen Mann gefunden haben. Es kommt uns nicht darauf an, an unseren Geburtstagen verheiratet zu sein. Uns würde es schon reichen, wenn bis dahin jede einen festen Freund hätte und wir uns endlich der Familienplanung widmen könnten.

      In den sieben Jahren schafften wir es kein einziges Mal, alle gleichzeitig einen Freund zu haben. Die Mehrheit war immer single. Genau wie jetzt. Die Einzige, die bis vor Kurzem noch vergeben war, ist Carmen. Seit heute sind wir alle fünf - wenn ich Lisa mitzähle - alleinstehend. Es wird also Zeit für einen neuen Plan. Zunächst müssen wir Carmen etwas aufmuntern. In ihrem jetzigen Zustand ist mit ihr kaum etwas anzufangen. Ich weiß, wie sehr sie Karl geliebt hat, ihn womöglich immer noch liebt. Gefühle kann man nicht nach Belieben ausblenden. Es macht aber wenig Sinn der Vergangenheit hinterher zu trauern. In so einer Situation hilft es nur, nach vorn zu schauen.

      »WAS WILLST DU JETZT VON MIR?«, schreie ich Lisa an.

      Ich kann einfach nicht anders. Sie sieht mich so abwertend an. Am liebsten möchte ich ihr eine scheuern, aber das verkneife ich mir. Stattdessen atme ich tief durch und wende mich wieder Carmen zu: »Willst du reden?«, frage ich.

      »Ach Mia. Das ist echt süß von dir, aber lass mal gut sein. Nach Reden ist mir jetzt gerade nicht zumute.«

      »Okay. Wie du willst.«

      Ich zucke mit den Schultern und schaue zu den anderen. Drei der Mädels sehen mich fragend an. Nur Lisa scheint Carmens Schicksal kalt zu lassen. Ihr Blick ist auf den Boden gerichtet.

       Vielleicht war ich gerade etwas zu hart zu ihr. Dennoch werde ich mich nicht bei ihr entschuldigen. Lisa entschuldigt sich schließlich auch nie bei mir, wenn sie mich angeblafft hat. Außerdem ist sie selber schuld! Warum musste sie mich wieder so blöd von der Seite anmachen?

      »Okay Mädels, was wollen wir heute noch Schönes machen? Wir können schlecht den ganzen Tag hier rumsitzen und Trübsal blasen. Lasst uns heute Abend weggehen!«, schlage ich vor.

      »Seid mir nicht böse, aber ich komme nicht mit«, antwortet Carmen so leise, dass ich sie kaum verstehen kann.

      »Ich auch nicht. Ich habe schon was vor«, sagt Lisa wie aus der Pistole geschossen. Anscheinend hat sie darauf gewartet, das zu sagen.

      »Was denn?«, fragt Sybille.

      »Ich habe ein Date.«

       Das war wieder so klar. Lisa muss sich ständig in den Mittelpunkt stellen. Was wird sie schon für ein Date haben? Wahrscheinlich handelt es sich um eine Verabredung mit ihren Büchern.

      »Mit wem?«, fragt wieder Sybille.

      »Kennt ihr nicht!«

      »Wo hast du ihn kennengelernt?«, mischt Marta sich ins Gespräch ein.

      »Gestern an der Tankstelle.«

      »Und? Wie sieht er aus?«, fragt Marta erneut.

       Wie soll er schon aussehen? Es wird bestimmt wieder so ein Langweiler sein.

      Bisher bewies Lisa keinen guten Männergeschmack. Die Männer, mit denen ich sie sah, waren eher solche Muttersöhnchentypen, die noch im Hotel Mama wohnen und eine Spielzeugeisenbahn im Keller haben. Ich habe keine Ahnung, ob es wirklich so ist. So stelle ich mir diese Typen jedenfalls vor. So verzweifelt könnte ich nie sein, mich mit so einem Kerl einzulassen.

      Das sage ich natürlich nicht laut, sonst ist gleich der nächste Streit vorprogrammiert. Stattdessen lausche ich dem Frage-Antwort-Spiel von Marta und Lisa.

      »Wie soll er schon aussehen? Ganz normal halt.«

      »Er wird ja sicherlich eine Figur, eine Augen- und eine Haarfarbe haben? Mensch Lisa, lass dir doch nicht jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen!«

      »Er ist ein paar Zentimeter größer als ich, hat eine normale Figur, dunkelblonde kurze Haare und blaue Augen. Gibt es sonst noch