Heidi Oehlmann

Gefühlschaos


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- außer bei Lisa - aus dem Weg. Gerade bei dem Typen, den ich kaum kannte, hätte ich seine Reaktion vorher nicht abschätzen können. Er hätte meinen Korb entweder vernünftig aufnehmen und akzeptieren oder sich zurückgestoßen fühlen und austicken können. Bei den vielen Spinnern, die es auf dieser Erde gibt, kann man nichts ausschließen. Und wenn die Aussprache an einem abgelegenen Ort, wie in meiner Wohnung - wo keiner ist, der mir notfalls helfen könnte - stattfände, wäre mir das Risiko zu groß. Da ist es schon besser, wenn man sich einfach nicht mehr meldet, getreu dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn!

      Durch dieses Erlebnis habe ich begriffen, vorsichtiger mit der Herausgabe meiner persönlichen Daten zu sein - vielleicht bin ich deshalb so zurückhaltend bei den Chatgesprächen mit Konstantin. Meine Nummer werde ich jetzt jedenfalls erst nach reiflicher Überlegung preisgeben. Ich denke schon darüber nach, ob ich mir für solche Zwecke ein Handy mit Prepaidkarte anschaffen sollte. Dann wäre ich immer erreichbar, und wenn mich wieder so ein aufdringlicher Typ belästigt, kann ich die Karte einfach austauschen. Bei der Herausgabe meiner Adresse sieht es anders aus. Ich kann mir schlecht eine zusätzliche Wohnung anmieten, nur um irgendwelchen durchgeknallten Kerlen eine Anlaufstelle zu bieten, wo sie mich antreffen könnten. Bevor ich jemandem verrate, wo ich wohne, muss ich mir also wirklich sicher sein, dass derjenige es wert ist und keine schizophrenen Züge an sich hat.

      Ich stupse Carmen, die neben mir sitzt, an und mache sie auf Lisa aufmerksam. In ihren Augen kann ich sehen, wie erstaunt sie ist.

      Nachdem sie ihre Worte wiedergefunden hat, sagt sie zu Sybille und Marta: »Mädels, schaut mal da drüben!«

      Die beiden starren fassungslos zu dem Paar und scheinen nicht zu glauben, was sie sehen.

      Wir vier können den Blick nicht von dem Paar lösen. Keine von uns scheint es je für möglich gehalten zu haben, Lisa mit einem vorzeigbaren Mann zu sehen. Und so, wie sie sich gibt, hat sie von den anderen Mädels neben mir bestimmt noch keine gesehen. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, Lisa ist glücklich oder wenigstens zufrieden und hat nichts zu meckern.

      »Das glaube ich nicht«, sagt Sybille. »Das kann nicht Lisa sein.«

      »Glaubt ihr die haben ein Date?«, fragt Marta. Ihre Stimme klingt so verwundert, als hätte sie soeben ein UFO entdeckt.

      »Keine Ahnung«, antwortet Carmen.

      »Ich kann mir nicht vorstellen, dass zwischen den beiden etwas läuft. Schaut sie euch doch mal an. Die passen überhaupt nicht zusammen«, sage ich in einem ziemlich gehässigen Ton.

      Jeder anderen aus der Clique würde ich den Kerl gönnen, aber das ausgerechnet Lisa so einen Mann abbekommt, scheint mir ungerecht zu sein.

      »Ich kann mir auch nicht vorstellen, was dieses Leckerchen von Lisa will. Wollen wir uns jetzt wirklich von Lisa trennen? Ich meine, vielleicht können wir den Typen ja kennenlernen«, schlägt Marta vor.

      »Also Marta, was du für Ideen hast«, antwortet Sybille prompt.

      »Warum? Marta hat doch irgendwie recht«, stimme ich zu.

      »Ihr wisst echt nicht, was ihr wollt, oder? Erst wolltet ihr Lisa unbedingt loswerden und nun wollt ihr so tun, als wäre alles in Ordnung. Sorry Mädels, aber bei so einer Heuchelei mache ich nicht mit!«

      Die Ansage von Carmen war eindeutig. Wir hätten uns denken können, wie wenig unser Temperamentbündel von der Idee hält. Sie ist ohnehin nicht der Typ Frau, der Intrigen gut findet. Am liebsten würde sie jedem Menschen, der ihr begegnet, direkt ins Gesicht sagen, was sie von ihm hält. Und jetzt wo Karl sich von ihr getrennt hat, habe ich den Eindruck, nimmt sie es mit der Ehrlichkeit noch genauer.

       Ich kann ja verstehen, dass sie im Moment die Schnauze voll von Männern hat, aber deshalb müssen wir nicht gleich alle, wie die Apostel leben. Einer von uns - außer Lisa - könnte sie dem gut aussehenden Typen ruhig gönnen.

      »Das heißt, es bleibt dabei, dass du nächsten Freitag mit ihr reden willst?«, hake ich nach.

      »Ja! Obwohl, warum bis Freitag warten? Wenn sie schon mal hier ist, können wir es doch sofort hinter uns bringen. Also Mädels, auf geht es!«

      »Ist das dein Ernst? Du willst jetzt zu ihr rüber gehen und ihr sagen, dass wir nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen? Damit versaust du ihr nicht nur den Abend, sondern auch gleich ihr Date«, argumentiert Sybille.

      »Hm, meinst du wirklich?«, fragt Carmen nachdenklich. »Na gut, vielleicht hast du recht. Dann machen wir es eben doch am Freitag bei dem nächsten Treffen«, stimmt Carmen zu.

      Ich bin erleichtert und atme auf.

       Gott sei Dank. Auf so ein peinliches Theater hätte ich jetzt überhaupt keine Lust. Lisa würde uns mit Sicherheit eine lautstarke Szene machen, die alle anderen Gäste mitbekommen. Darauf kann ich gut verzichten.

      »Das ist ganz schön trostlos hier. Es wird Zeit, dass endlich mal ein paar mehr Leute kommen, vor allem ein paar Männer«, ertönt Sybille.

      »Ja, wenn das so weiter geht, mache ich mich bald vom Acker. Da ist das Fernsehprogramm bestimmt spannender«, antwortet Marta.

      »Freitags kommt doch nichts im Fernsehen. Da würde ich es mir eher vor dem Computer bequem machen und mit ein paar interessanten Männern chatten.«

      »Das war klar, Mia. Du denkst schon wieder an deinen Konstantin«, stachelt Marta mich an.

      »Ach quatsch. Das war auf die Allgemeinheit bezogen. Außerdem was heißt hier mein Konstantin? Bisher haben wir uns nur nett unterhalten.«

      Marta liegt mit ihrem Verdacht richtig. Gerade habe ich an ihn gedacht. Ich stelle mir immer wieder vor, wie er aussehen mag. In meiner Fantasie ist er natürlich hübsch - ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Ob er es im realen Leben auch ist, wage ich bei meinem Glück zu bezweifeln, aber das ist im Moment unwichtig. Solange ich nicht weiß, wie er aussieht, kann ich ihn mir wenigstens vorstellen und unsere Gespräche in vollen Zügen genießen.

      Statt mich hier zu langweilen, würde ich jetzt wirklich lieber mit Konstantin schreiben. Das wäre mit Sicherheit spannender, als hier herumzusitzen, aber ich weiß nicht, ob er an einem Freitagabend zu Hause ist. Am Wochenende wird er bestimmt auch vor die Tür gehen. Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich eigentlich kaum etwas über ihn weiß. Vielleicht sollte ich ihn in unseren nächsten Gesprächen gezielter danach fragen, was er so macht. Andererseits wird er im Gegenzug mehr über mich wissen wollen. Dann habe ich wieder das Dilemma mit meinen persönlichen Daten. Ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Wahrscheinlich ist es besser alles so laufen zu lassen, wie es ist. Wenn ich nachher nach Hause komme, werde ich auf jeden Fall schauen, ob er online ist.

      »Ich hoffe, bei dem Speed Dating nächstes Wochenende ist mehr los als hier!«, sagt Sybille.

      »Was denn für ein Speed Dating?«, ertönt eine Stimme hinter uns.

      Wir vier drehen uns zeitgleich um und entdecken Lisa, die nun vor uns steht.

       Toll, jetzt hat sie das auch noch mitbekommen!

      Ich ärgere mich, dass keine von uns die Streberin auf uns zukommen sah. Wir waren einfach zu sehr in unser Gespräch vertieft und haben für einen Augenblick Lisas Anwesenheit vergessen.

      »Ähm«, versucht Sybille zu erklären. Doch sie weiß nicht, was sie sagen soll.

      »Wir haben uns vorhin bei einem Speed Dating für das kommende Wochenende angemeldet«, nuschelt Carmen, die obwohl sie nicht viel verträgt, schon ihren dritten Cocktail schlürft. Dabei sind wir noch keine halbe Stunde hier. Wenn das so weiter geht, ist der Abend bald gelaufen, weil wir in Kürze Carmen nach Hause tragen können.

       Na toll, jetzt weiß Lisa auch davon. Das hätte jetzt nicht sein müssen!

      »Ach so. Das klingt interessant. Vielleicht melde ich mich auch an. Aber jetzt muss ich wieder zurück. Ich wollte euch nur schnell Hallo sagen«, sagt Lisa und deutet auf den Tisch, an dem ihr Begleiter auf sie wartet. Sie wirkt arrogant wie immer.