Thomas Hölscher

Später Besuch


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zu einem Teil an einen Händlerring im Ruhrgebiet und am Niederrhein verteilt; der andere Teil wurde in die Niederlande transportiert und bei einem Großhändler dieser Branche aus Amsterdam gegen härtere Drogen eingetauscht.

      Zum Zeitpunkt des Mordes an Carl Brenner war ein Transport nach Spanien unterwegs. Er musste am 28.8. in Algeciras sein und wurde am 3.9. zurück erwartet. Die ganze Strecke über wurde der LKW, der offiziell marokkanische Teppiche geladen hatte, observiert. Gleich bei der Ankunft sollte die Falle zuschnappen.

      Und dann war das Zuschnappen der Falle ein riesiges Debakel geworden. Auf bundesdeutschem Boden angekommen, hatte der Lkw auch nicht ein Milligramm des Rauschgiftes mehr enthalten, dessen Zuladung die Beamten in Algeciras doch beobachtet hatten. Über 400 Kilogramm Haschisch im Wert von rund eineinhalb Millionen Mark waren spurlos verschwunden. Niemand hatte sich erklären können, wo die Fahrer unterwegs das Zeug losgeworden waren. Vor allem aber hatte nie geklärt werden können, wer die beiden gewarnt hatte.

      Es hatte die schlimmsten Vermutungen gegeben: Die Kooperationsbereitschaft der spanischen und französischen Behörden war angezweifelt, Bestechlichkeit in Rechnung gestellt worden. Natürlich hatte man solche Vermutungen nicht einmal laut denken dürfen, aber letztlich war es auch ganz überflüssig gewesen: Es hatte nicht den geringsten Hinweis auf derartige Vergehen gegeben.

      Auch ein Zwischenfall bei den Kollegen vom 3.K. war später als möglicher Grund des Scheiterns der ganzen Aktion in Erwägung gezogen worden. Es war nämlich etwas geschehen, das für die Polizei äußerst peinlich war, und gerade dadurch, dass man es zunächst wohl hatte vertuschen wollen, noch peinlicher geworden war.

      Zwei übereifrige Streifenbeamte, die eigentlich wegen einer harmlosen Schlägerei in eine Discothek nach Buer gerufen worden waren, hatten bei dieser Gelegenheit einen Dealer festgenommen, aber eben nur einen ganz kleinen Fisch, der gerade ein paar Gramm Hasch an den Mann hatte bringen wollen. Solche Aktionen waren natürlich völlig unsinnig, da sie die einschlägige Szene nur verunsicherten und dazu führten, dass der Handel in andere, der Polizei nicht bekannte Gegenden verlagert wurde. Und für die nicht ganz so kleinen Fische war eine solche Aktion nicht einmal ein Nadelstich, eher ein willkommener Hinweis der Polizei auf zu unvorsichtige Mitarbeiter. Und die großen Fische konnten über so etwas ohnehin nur lachen.

      Doch den Beamten der Kripo war an jenem Abend das Lachen sehr schnell vergangen; denn bei der Feststellung der Personalien hatten sie bemerkt, wer den beiden übereifrigen Kollegen da ins Netz gegangen war: Es war ein 23jähriger Kollege von der Schutzpolizei gewesen, der unumwunden zugegeben hatte, dass er dealte, weil er mit den paar Kröten, die er bei der Polizei verdiente, nicht auskam.

      Vor allem für den Leiter des 3.K. sollte alles dann noch ein böses Nachspiel haben: Jeder Mitarbeiter glaubte nämlich zu wissen, dass sein Chef - Hauptkommissar Hehner - schwul war. Beweise dafür gab es nicht einen einzigen, nur Gerüchte, die hinter vorgehaltener Hand und im Flüsterton gehandelt wurden. Hehner hatte nun den jungen Kollegen damals nicht - wie es natürlich seine Pflicht gewesen wäre - festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt, sondern ihn zunächst laufen lassen. Er hatte sich einfach auf das Versprechen des jungen Mannes verlassen und auf keinen Fall durch solch eine Lappalie den Erfolg der ganzen Aktion gefährden wollen. Und wahrscheinlich war er auch so naiv gewesen, zu glauben, der Polizei den Skandal in der Öffentlichkeit überhaupt ersparen zu können.

      Aber genau das hatte ihm natürlich wenig später, als die Zusammenhänge deutlich geworden waren, niemand mehr abgenommen. Schließlich hatte der junge Mann gut ausgesehen, und die Gerüchteküche explodierte: Natürlich war Hehner schwul, und ebenso natürlich hatte er aus diesem Grund nichts gegen den jungen Mann unternommen! Obschon später selbstverständlich auch gegen den Jungen vorgegangen wurde und eine Untersuchung sehr schnell ergeben hatte, dass er auf keinen Fall für das Scheitern der Aktion gesorgt haben konnte, war Hauptkommissar Hehner ebenso schnell klar geworden, dass er in seiner alten Dienststelle kein Bein mehr an den Boden bekommen würde. Er hatte Ende 1984 um seine Versetzung gebeten.

      Es konnte letztlich nie geklärt werden, wer dafür gesorgt hatte, dass der Rauschgifttransport aus Spanien gewarnt worden war. Nur dass es eine undichte Stelle gegeben haben musste, daran hatte nie ein Zweifel bestehen können. Der Drahtzieher, Dr.Keller, war ebenso verschwunden gewesen wie die 400 Kilogramm Haschisch. Die anschließend erfolgten zahlreichen Durchsuchungen von Häusern und Wohnungen angeblicher oder wirklicher Händler waren ein völliger Misserfolg gewesen. Zum Teil waren sie von der Presse sogar als mehr oder weniger schikanöse Racheaktion der Polizei beurteilt worden.

      Die Vollstreckung eines Haftbefehls hatte dann zu allem Überfluss auch noch einen Toten gebracht: Ein Fahrer der Firma Brenner war bei seiner versuchten Festnahme in Notwehr erschossen worden.

      Es war also alles andere als erstaunlich, dass dieser Fall einem so korrekten Beamten wie Bremminger auch nach über fünf Jahren immer noch schwer im Magen lag.

      6

      "Wenn ich mal davon ausgehe - was mir wirklich mehr als schwer fällt -, dass du in irgendeiner Weise diesen Ablauf tatsächlich inszeniert hast, dann verstehe ich eine Sache immer noch nicht." Bremmingers Stimme klang müde. "Warum das alles? Warum?“

      "Weil mich eure ganze Rauschgiftsache überhaupt nicht interessiert hat", sagte Börner schnell. "Ihr ward doch auf einmal alle ganz heiß darauf, an dem großen Fang teilzunehmen, ihr habt wahrscheinlich schon die riesigen Schlagzeilen vor Augen gehabt: Gelsenkirchener Kripo zerschlägt großen Rauschgiftring oder so was. Und dabei habt ihr ganz einfach eure eigentlichen Pflichten vergessen."

      Bremminger wurde bleich. "Welche Pflichten haben wir vergessen?"

      "Einen Mord aufzuklären."

      Nun war es um Bremmingers Fassung geschehen. Obschon es längst nach Mitternacht war, schrie er plötzlich los: "Jetzt reicht es, Börner! Du bist wirklich der Letzte, von dem ich mir das vorwerfen lasse! Ist dir eigentlich auch nur ansatzweise bewusst, was du angerichtet hast? Da arbeiten Kollegen monatelang, um einen solchen Ring von Rauschgifthändlern zu überführen." Börner schien Bremmingers Temperamentsausbruch nicht sonderlich zu interessieren, und plötzlich hielt es Bremminger nicht mehr auf seinem Platz. "Weißt du eigentlich, wieviel Arbeit das bedeutet? Wieviel Überstunden von Kollegen, die ihnen kein Mensch bezahlt? Da wird das BKA eingeschaltet, die Behörden in Spanien und Frankreich müssen informiert werden, Haftbefehle und Hausdurchsuchungen müssen bei verschiedenen Staatsanwaltschaften beantragt und genehmigt werden. Und dann kommt da so ein mieser kleiner Vogel wie du daher und macht alles zunichte." Nun stand Bremminger direkt vor Börner und stützte sich mit den Händen auf Börners Sessel. "Kannst du dir eigentlich die Konsequenzen auch für den einzelnen vorstellen? Ja? Kannst du das wirklich? Bei uns funktioniert das nämlich genauso wie in der Drogenszene: Wenn alles funktioniert, kassieren die dicken Fische den Gewinn und haben bei ihren Statements für die Medien immer schon alles gewusst und bestens vorbereitet. Aber geht es schief, dann wird dir als kleinem Fisch der Arsch aufgerissen bis an den Stehkragen, und du bist erledigt. Weißt du das eigentlich?"

      Börner nickte nur. Er wollte nicht, dass ihm sein ehemaliger Chef so nahe kam. "Wem sagst du das? Bin ich denn noch bei euch?" Er versuchte Bremmingers wütenden Blicken standzuhalten. "Nur habe ich noch nie gewartet, bis mir jemand den Arsch aufreißt. Vorher kündige ich lieber."

      "Ach ja!", rief Bremminger scheinbar belustigt und wandte sich von Börner ab. "Du kündigst einfach, und dann ist die Sache für dich erledigt!"

      "Ist sie eben nicht!" Börner musste beinahe lachen, als er sah, wie Bremminger mit ungelenken Bewegungen versuchte, ihm gegenüber wieder Platz zu nehmen. "Für mich ist die ganze Sache überhaupt nicht erledigt. Aber hast du denn schon jemals die Konsequenzen getragen für eine Kündigung? Weißt du eigentlich, wie das ist, wenn du von einem auf den anderen Tag keinen Pfennig Geld mehr hast und auch vom Arbeitsamt nichts bekommst? Dein Vermieter wartet nicht lange, und die Banken haben zwar am meisten Geld, aber am wenigsten Geduld. Und fressen musst du schließlich auch noch."

      Bremminger hantierte ungeschickt mit dem Öffner an einer Bierflasche. "Ich weiß nicht, wie das ist, und ich will es auch gar nicht wissen. Solch einen Schritt