Thomas Hölscher

Später Besuch


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ging es bei diesen Streitereien?"

      "Ich weiß es nicht, ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich sah auch gar keine Veranlassung, Carl danach zu fragen. Ich habe ihn noch nie nach persönlichen Dingen gefragt. Wenn er etwas auf der Seele hatte, ist er immer zu mir gekommen."

      "Sie sprachen von einem Verdacht. Ich muss Sie bitten, uns das genauer zu erklären."

      Frau Brenner war dann unsicher geworden, oder sie hatte zumindest sehr geschickt so getan. "Bitte missverstehen Sie mich nicht! Ich will hier niemanden beschuldigen. Und schon gar nicht eines Mordes." Sie hatte noch einmal gezögert. "Aber es ist ein Faktum, dass Carl gestern Abend bei Herrn Wels war."

      "Woher wollen Sie das wissen?"

      "Carl hat es mir gesagt, als er losfuhr nach Dortmund."

      "Dadurch ist es noch kein Faktum. Hat er gesagt, was er bei Wels wollte?"

      "Nein."

      "Da sind Sie ganz sicher?"

      "Ja."

      "Welchen Grund hätte Wels denn haben können, Ihren Sohn zu ermorden?"

      Frau Brenner hatte Bremminger ganz erstaunt angesehen. "Um das noch einmal klarzustellen: ich will mit keinem Wort behauptet haben, Herr Wels habe meinen Sohn umgebracht! Aber auch wirklich mit gar keinem Wort! Ich habe lediglich sagen wollen, dass Sie den Mörder meines Sohnes mit Sicherheit in diesem schäbigen Schwulenmilieu zu suchen haben. Sonst habe ich gar nichts behauptet."

      Bremminger hatte dann seinen Notizblock geschlossen. "Gut, lassen wir es für heute. Aber haben Sie vielleicht ein Bild von diesem Wels?"

      Frau Brenner war dann sofort aufgestanden, hatte gesagt, sie wisse es nicht ganz genau, hatte den Raum verlassen und war kurz darauf mit einer Brieftasche zurückgekommen. "Dies sind die Papiere meines Sohnes. Wenn er ein Bild von Wels hat, dann ist es am ehesten hierbei."

      Natürlich hatten sie in der Brieftasche ein Bild von Wels gefunden; Bremminger hatte es sofort an sich genommen und gesagt, es werde für die weiteren Ermittlungen gebraucht. Anschließend hatten sie noch die Räume inspiziert, in denen Carl Brenner gewohnt hatte. Gefunden hatten sie nichts. Auf die Tatsache, dass es sich um die Wohnräume des Juniorchefs einer großen Spedition gehandelt hatte, hatte aber auch wirklich gar nichts hingewiesen.

      Als sie sich schon verabschiedet und an der Tür gestanden hatten, hatte Bremminger plötzlich gefragt: "Ach, Frau Brenner, seit wann ist Ihr Sohn eigentlich zuckerkrank gewesen?"

      Die Frau hatte ihn erstaunt angesehen. "Carl war nie zuckerkrank. Weshalb fragen Sie?"

      "Weil er mit einer gehörigen Dosis eines Diabetesmittels vergiftet wurde. Ich dachte, Sie wüssten das."

      "Nein, woher denn?"

      Bremminger hatte wie geistesabwesend den Kopf geschüttelt. "Ich dachte, ich hätte es Ihnen gesagt."

      "Nein, haben Sie nicht."

      "Dann haben Sie wohl auch nicht danach gefragt. Ihr Sohn ist jedenfalls durch dieses Medikament in einen Schockzustand geraten, was dann den Unfall verursachte. Man kann dieses Mittel übrigens kaum nachweisen. Es war, wenn Sie so wollen, ein Glücksfall, dass wir es konnten."

      Die Frau hatte in diesem Augenblick ihre Selbstsicherheit ganz offensichtlich verloren und sogar einen ängstlichen Eindruck gemacht. Ihr Blick war auf Bremminger gerichtet gewesen, als dürfe ihr nichts entgehen von dem, was er sagte. So wie jemand, der darauf gefasst sein musste, dass der andere ihm eine Falle stellte.

      "Was war Ihr Sohn überhaupt für ein Mensch?"

      "Das habe ich Ihnen doch gesagt."

      "Sie haben bis jetzt nur gesagt, dass er in homosexuellen Kreisen verkehrte. Und das haben Sie sogar sehr ... sehr bereitwillig erklärt. Aber ich meine, war er ein lustiger Mensch, war er eher depressiv, konnte er sich durchsetzen? So etwas meine ich."

      Wie jemand, der nach einer kurzen Hilfestellung den Faden wiedergefunden hatte, war auch Frau Brenner zu ihrer ursprünglichen Selbstsicherheit zurückgekehrt. "Carl war ein Träumer, vielleicht sogar ein Spinner. Durchaus kein typischer Geschäftsmann, wenn Sie wissen, was ich meine."

      "Aber Ihr Gatte, der war ein typischer Geschäftsmann?"

      "Das will ich wohl meinen."

      "Ist er eigentlich schon entmündigt?"

      Börner konnte sich nicht mehr daran erinnern, was die Frau genau auf diese Frage geantwortet hatte. Er wusste nur noch, dass sie zunächst die über eine derartige Frage Empörte gespielt, die Frage letztlich aber hatte bejahen müssen. Weitere Erklärungen hatte sie dann nicht mehr abgeben können, weil Bremminger sich verabschiedet hatte und gegangen war.

      Am frühen Nachmittag waren Bremminger und er nach Dortmund gefahren, zur Wohnung von Wels. Frau Brenner hatte ihnen die Adresse gegeben.

      Auch Wels wohnte noch bei den Eltern, aber das Milieu war sehr unterschiedlich von dem der Brenners. Die Familie wohnte in einem ziemlich heruntergekommenen Mehrfamilienhaus aus den 50er Jahren im Stadtteil Dorstfeld. Der Mann war Rentner. Früher hatte er bei einer Firma als Schlosser gearbeitet.

      Die beiden alten Leute hatten beim Auftauchen der Polizei einen völlig verstörten Eindruck gemacht; sie waren erst am Morgen aus dem Urlaub irgendwo an der Mosel zurückgekommen und hatten ihren Sohn noch gar nicht gesehen. Über den vergangenen Abend konnten sie natürlich keine Auskünfte geben.

      Nachdem sie die näheren Umstände erfahren hatten, war überhaupt erst klar geworden, dass sie von allem nicht die geringste Ahnung hatten. Den Namen Brenner hatten sie noch nie gehört, und auf Bremmingers Bemerkung: "Ihr Sohn steht in dem dringenden Verdacht, den Tod des Herrn Brenner verursacht zu haben", hatte Frau Wels plötzlich angefangen zu weinen.

      Dann hatten sie noch in Erfahrung gebracht, dass Wels Diabetiker war. Ja, hatte die alte Frau gesagt, ihr Sohn sei zuckerkrank; das habe er wahrscheinlich von ihr geerbt. Und dann hatte die völlig verwirrte Frau ihnen auch noch das Medikament gebracht, welches ihr Sohn täglich benötigte.

      Als sie gegangen waren, war die Wohnung der beiden alten Leute immer noch von der Spurensicherung auf den Kopf gestellt worden; und während sie durch den nach Mittagessen riechenden Hausflur, von dessen Wänden die Farbe abblätterte, zum Wagen zurückgegangen waren, war Börner sich vorgekommen wie ein Schwein.

      Noch am Nachmittag war dann eine Pressenotiz an alle Zeitungen gegangen, die am nächsten Tag in den Lokalteilen mehrerer Städte erschienen war. Am Schluss hieß es: "Dringend der Tat verdächtigt und gesucht wird der 25jährige Landschaftsgärtner Raimund Wels aus Dortmund."

      8

      Börner nahm einen Schluck Bier und zündete sich eine Zigarette an; das lange Reden hatte ihn ermüdet. Erwartungsvoll sah er Bremminger an.

      Der schien in keiner Weise beeindruckt zu sein. "Wenn das alles irgendetwas erklären sollte, muss ich dich enttäuschen. Bis jetzt habe ich nur verstanden, dass du die alte Brenner nicht leiden konntest und dass die Eltern von Wels dir leidgetan haben. Ich kann noch nachvollziehen, dass dich der Fall von dem Augenblick ganz besonders interessiert hat, als du erfahren hast, dass Brenner und Wels auch schwul waren. Ob solch eine Motivation für die Arbeit eines Polizisten allerdings sonderlich erstrebenswert ist, wollen wir noch mal dahingestellt sein lassen. Nicht aus Gründen, die du mir jetzt wohl am liebsten wieder unterstellen möchtest; es geht mehr um Dinge wie Befangenheit und Voreingenommenheit. Und was das alles mit deiner seltsamen Mordtheorie zu tun hat, das will mir schon gar nicht in den Kopf."

      "Das hatte es aber." Börner zögerte einen Moment; er wusste, dass Bremminger nun wieder lachen würde. "Auf meine Version der Wahrheit bin ich zunächst durch das Bild von Wels gekommen."

      "Durch das Bild von Wels?", fragte Bremminger ungläubig.

      Börner nickte nur. "Ich habe mir zu Hause stundenlang die Bilder von Wels und auch von Brenner angesehen, und irgendwann stand für mich fest, dass es zwischen diesen