Armin Odoleg

Ingenieure - Status und Perspektiven


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im normalen Umgang gar nicht. Eine gute Tat zum falschen Zeitpunkt kann katastrophale Folgen haben. Und gut und schlecht sind auch nur in der Wahrnehmung und Bewertung als solche vorhanden.

      Als Beispiel sind hier „Gutmenschen“ zu nennen, deren Ruf mittlerweile nicht mehr so gut ist. Vor einiger Zeit berichtete die Presse, dass Tierschützer in einer konzertierten Aktion Tiere aus ihren Ställen „befreit“ hatten. Die Tiere wurden dann so schlecht gehalten, dass man sie einschläfern musste. Dies zeigt, dass es kein „richtig“ und „falsch“ gibt. Selbst Immanuel Kants „Kategorischer Imperativ“, der da lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ hilft hier nicht weiter, da die Tierschützer sich sicher waren, ethisch korrekt zu handeln. Dies bedeutet, dass man in den seltensten Fällen sagen kann, ob bei menschlichen Entscheidungen etwas richtig oder falsch gemacht wird.

      Die Aktionen stehen zunächst frei im Raum. Paul Watzlawick weist darauf hin, dass die gegenteilige Aktion zu einer falschen Aktion nicht korrekt sein muss. Manchmal ist es besser, man tut nichts. Alles das stellt sich meist erst viel später heraus. Was auch heißt, dass die Käfighaltung der Tiere nicht unbedingt gut war. Die Alternative war aber zumindest zu diesem Zeitpunkt schlechter.

      Bei Ingenieuren oder ähnlichen Berufsgruppen ließe sich allerdings der Großteil von „Richtig oder Falsch“ durch Berechnungsformeln oder Gestaltungsrichtlinien für das entsprechende Bauteil entscheiden. Und die Kompetenz der entsprechenden Personen lässt sich meistens über die Anwendung derselben bewerten.

      Dem Autor ist bewusst, dass dieses Kapitel deplatziert ist. Es ist der Vollständigkeit halber erwähnt. Insbesondere deshalb, da der „Kantsche Imperativ“ offensichtlich nicht immer ausreicht.

      Mittlerweile kann man denke ich resümieren, dass es richtig und falsch, schwarz und weiß, gut und böse nicht gibt20 . Nach der griechischen Definition der Philosophie, die die absolute Wahrheit suchte, nach der es ein richtig oder falsch gibt, müsste man jetzt den Kopf in den Sand stecken und beschließen, dass es von der Argumentation her einfach nicht weitergeht. Denn nur aufgrund einer Wahrheit, die absolut ist, kann man einen richtigen Entschluss fassen, wie er auch absolut richtig ist. Wird aus dieser Wahrheit, deren Anspruch es ist, allgemeingültig zu sein, nur eine „Gewissheit“, also eine persönliche Wahrheit, so kann auch nur eine persönlich richtige oder falsche Entscheidung getroffen werden.

      Dies bedeutet, dass die Kriterien, die in den vorigen Kapitel angesprochen wurden, häufig nicht „greifen“. Wenn jemand im ingenieurtechnischen Bereich oder auch privat eine Entscheidung treffen will oder muss, so kann er oder sie diese lediglich nach bestem Wissen und Gewissen treffen.

      Dies ist analog zu den Naturwissenschaften, in denen man Naturgesetze nicht validieren kann. Man kann sie nur falsifizieren. Dies bedeutet, dass man Hunderte von Experimenten durchführen kann, die zeigen, dass eine Formel richtig ist. Aber es reicht ein einziges Experiment aus, das die gewünschten Ergebnisse nicht bringt. Und damit erweist sich die Formel als falsch. Dies bedeutet, dass die Gültigkeit dieser Formel eventuell eingeschränkt ist und/oder man sie erweitern muss, damit sie wieder richtig wird.

      Wenn also die Kriterien des Richtig und Falsch nicht greifen, benötigt man andere Kriterien. Wenngleich wir hier hauptsächlich von Firmen sprechen, so fallen mir ad hoc zunächst einmal Verhaltensmaßregeln ein, auf deren Grundlage jede Gesellschaft funktioniert. Es sind Richtlinien des Handelns und sie betreffen den Umgang miteinander. Dieser verläuft nach „Spielregeln“. Diese sind zwar auch nicht absolut eindeutig, aber doch für alle Gesellschaften sehr ähnlich.

      In unserer westlichen Zivilisation sind sie durch das Grundgesetz beziehungsweise die Verfassung festgelegt. Beispielsweise heißt es hier, dass die Würde des Menschen unantastbar sei. Eine ähnliche Sammlung von Spielregeln beziehungsweise Verhaltensregeln sind die zehn Gebote der Bibel. Und wenn in der einen Verhaltensregel die Ausdrucksweise mehr ethischer Natur ist, also die Würde des Menschen betrifft, so gibt die Bibel die Regeln nach eher praktischen Gesichtspunkten: „Du sollst nicht lügen“. Denn wenn man jemanden belügt oder betrügt oder so uneindeutig kommuniziert, dass das Gegenüber nur verlieren kann, so verletzt man die Würde desselben.

      Wenn man nun diese Maßstäbe anlegt, so kann man leichter selbst entscheiden, was korrekt ist oder auch nicht. Dies bedeutet einen korrekten, klaren, so weit wie möglich eindeutigen Umgang mit seinem Gegenüber, also weder Beleidigung noch ähnliche andere Verhaltensweisen. Missverständnisse wird es immer geben; sie sind Bestandteil der Kommunikation. Es ist der einfache und nicht übermäßige Respekt vor dem Gegenüber, der die Kommunikation einfacher und (Problem)-Lösungen auch einfacher macht.

      Dabei ist es ganz sicher ein respektloser Vorgang, wenn man auch technische Argumente einfach ignoriert. Noch stärker wird dann die Respektlosigkeit, wenn man nach den Problemen, die durch die Ignorierung der Argumente auftreten, die Personen leiden lässt. Dies ist in später folgenden Kapiteln dargelegt.

      Die Kriterien zur Bewertung der Qualifikation von Ingenieuren werden vermutlich an Universitäten nicht offiziell gelehrt. Uns wurde dies in der letzten Stunde vor einer Prüfung beigebracht, als der Professor auf dem Pult saß, die Beine herumbaumeln ließ und „Geschichten aus dem Nähkästchen“ erzählte.

      Er fragte uns fast beiläufig, wie wir Studenten denn einen guten und einen schlechten Ingenieur erkennen würden. Sein Fazit war (nach Darstellung einer relativ komplexen Geschichte), dass sich die Qualifikation eines Ingenieurs daraus ergibt, dass er möglichst nahe an das Machbare herangeht und sich keine Sicherheitsreserven lässt; nur so wird das herzustellende Produkt konkurrenzfähig. Dabei muss man aber wissen, in welchen Bereichen diese Vorgehensweise wichtig ist: Wo nicht, reicht ein „gut genug“ aus.

      Umgekehrt ist es ja auch so, dass ein Produkt nicht mehr verkäuflich ist, wenn jeder Ingenieur Teile mit 50 % Sicherheitszuschlag konstruiert („Überdimensioniert“),.

      „Mein“ Professor war bei großen Flugzeugprojekten Abteilungsleiter. Bei Flugzeugen trifft diese Aussage besonders zu, da jedes zusätzliche Gramm eine direkte Reduktion der Nutzlast in derselben Größe verursacht und zusätzlich den Treibstoffverbrauch hochtreibt. Diese Anforderung des Nahe-an-das-Machbare-Herangehens fordert viel Kompetenz, denn nur kompetente Ingenieure wissen, wie sie dies erreichen.

      Hierzu ein Beispiel aus der Luftfahrtindustrie: Der Airbus A380. Hier gab es zunächst Projektverzögerungen durch die CAD-Systeme (Glossar), da Kabelbäume wenige Zentimeter zu kurz gefertigt worden waren. Hier hatten die Ingenieure, soweit ich es abschätzen kann, tatsächlich „geschlafen“ beziehungsweise die Schnittstellen ihrer CAD-Systeme nicht aufeinander abgestimmt. In diesem Fall gibt es viele Fehlermöglichkeiten. Diese hätte man durch Tests ausschließen können (also einen Probekabelbaum fertigen und dessen Länge ausmessen). Aber leider wurde (wie heutzutage üblich und auch verlangt) blind den Systemen bzw. den Computerprogrammen vertraut. Um dann festzustellen, dass es auf 50 m Länge 15 mm zu kurz ist. Oder so. Und so passierte, was eben passiert ist. Nun hatte die Presse ihren Aufmacher und einen Anlass, weiter über „Desaster“ zu berichten.

      Als nächstes wurde gemeldet, dass die Tragfläche beim statischen Festigkeitstest versagte und dies bei 145 % Last. Hierzu hätte man wissen müssen, dass die Tragfläche in der Luftfahrt einen Sicherheitsfaktor von 1,50 hat, wodurch sie 150 % Last ertragen muss. Mit 145 % liegt sie somit nur etwa 3 % unter den 150 %; eine sehr gute Leistung des Ingenieurwesens. Insbesondere, wenn man weiß, wie hoch Materialkennwerte streuen. Eine Tragfläche, die 160 % Last ertragen würde, wäre viel zu schwer und würde Nutzlast kosten. Und wenn die Presse wüsste, wie es bei Airbus zum großen Teil „zugeht“, dann würden sie nicht so schlecht über die Ingenieure berichten. Aber das wird ignoriert, weil man dann nichts Negatives schreiben kann. Der Zeitgeist bedarf seiner Befriedigung.

      Als Ingenieur sollte man das Rad möglichst nicht zum zehnten Mal erfinden. Häufig konstruieren Ingenieure in ihrem CAD-System jedes Teil neu. Dabei ist es in vielen Fällen einfacher und billiger, Kataloge aufzuschlagen und ein geeignetes Teil