Frank Hille

Gefangen - Unter Wasser und Beton


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Schutzbauten. Alles das kannte er. Da das Heft 24 Seiten hatte und er schon 11 gelesen hatte keimte der Verdacht, dass Manfred Recht gehabt hatte. Also doch Heimatverein. Ihm fielen fast die Augen zu und Bettschwere machte sich breit. Schluss für heute sagte ihm sein Ich. Geh‘ in die Falle. Morgen fährst du nach München, pack‘ das Heft ein, lies‘ es im Zug in Ruhe. Er schnappte sich noch einen Grappa, sah im Vorbeigehen, dass der Anrufbeantworter blinkte, Robert hatte angerufen, schaute auf die Uhr, 23.47 Uhr, und beschloss, jetzt zu schlafen. Kurz gingen ihm noch die Ereignisse des Tages durch den Kopf und dann war innerhalb von zwei Minuten eingeschlafen.

      Die B 17 kroch am Himmel entlang, Brown hielt sie mühsam auf 400 Meter Höhe. Er hoffte, dass niemand mit ihnen rechnete. Sein Navigator hatte einen komplizierten Kurs festgelegt der sie von Großstädten fernhielt. Die Motoren brannten nicht mehr. Seinen Männern hatte er eingeschärft, den Luftraum zu beobachten, wozu, wusste er selbst nicht. Die Kiste würde beim geringsten zusätzlichen Schaden abschmieren.

      Wilson hockte im Rumpfmittelteil, Brown wollte ihm wenigstens die Chance geben mit dem Fallschirm auszusteigen, denn was sollte er noch im Kugelturm. An Verteidigung dachte er nicht, sollten sie die Deutschen stellen, würden sie versuchen alle abzuspringen. Nur Baker nicht.

      Um Göttingen war die Maschine herumgeschlichen. Durch Thüringen hatte ihm sein Navigator wegen der Gebirge einen Zickzack Kurs empfohlen. Für ihn war im Moment am wichtigsten, dass die beiden verbliebenen Motoren durchhielten und aus den Augenwinkeln sah er die Anzeigen der Instrumente, die keine Probleme signalisierten. Er versuchte nicht zu verdrängen, dass die Struktur der beschädigten Tragfläche über ihr Schicksal entscheiden würde und hatte Theodoris beauftragt, die Fläche zu beobachten und ihn sofort zu informieren, falls weitere Schäden auftraten. Bis jetzt hatten sie einfach nur Glück gehabt. Schon, dass die Maschine noch in der Luft war, erstaunte ihn. Aber die Beschussschäden waren nicht letal gewesen. Er schätzte, dass sie mehr als die Hälfte des Weges durch Deutschland geschafft hatten. Die Chancen stehen fifty fifty schlich sich leiser Optimismus bei ihm ein. Die Männer hockten schweigend auf ihren Positionen und blickten mit leeren Augen hinaus. Der Navigator meldete sich über die Bordsprechanlage und gab den neuen Kurs bekannt. Brown trat in das Pedal für das Seitenruder und die Maschine ging widerwillig in eine Rechtskurve. Ein eigenartiges Geräusch war zu hören, verstummte aber sofort wieder. Der Kurs gab ihm eine leichte Steigung vor, 500 Meter mussten jetzt erreicht werden um ohne Not über das Gebirge zu klettern.

      Er betätigte das Höhenruder und im gleichen Moment krachte es ohrenbetäubend, die Maschine rollte nach Backbord, er hörte Theodoris schreien „ ein Motor ist abgebrochen“, versuchte mit dem Seitenruder gegenzusteuern und ahnte, dass sie die Schweiz nicht erreichen würden. Pacino übernahm das Steuer und Brown kroch durch den Rumpf zur Position von Theodoris. In der Tragfläche klaffte an der Flügelspitze ein Loch in Höhe des äußeren Steuerbordmotors. Das Stahlgerippe der Flügelkonstruktion war deutlich sichtbar, die Beplankung aufgerissen. An der Flügelwurzel erkannte er einen Riss, der sich schon auf 2 Zentimeter ausgeweitet hatte. Das ist nur noch eine Frage der Zeit sagte er sich resignierend, an Aussteigen war jetzt nicht zu denken denn Pacino flog die Maschine gerade über eine Bergkette, die nur gut 200 Meter unter ihnen lag. Ihre letzte Chance war, den Sprung über die Berge zu schaffen, nochmals Höhe zu gewinnen und die Maschine dann zu verlassen.

      Der einfachste Weg dies zu tun wäre der Absprung durch den geöffneten Bombenschacht gewesen. Sofort nach dem Angriff der deutschen Jäger, als sie wieder in einigermaßen stabiler Fluglage waren, hatten sie immer wieder versucht die Bomben abzuwerfen, um leichter und schneller zu werden. Der Schacht ließ sich nicht öffnen, wahrscheinlich war er durch Splitter blockiert. Brown wusste, dass er jetzt seine Verantwortung für die Männer wahrnehmen musste. Er übernahm wieder das Steuer der nun schon wild bockenden Maschine und gab ihnen durch die Bordsprechanlage einen Befehl.

      „Springt ab, sobald wir die Berge passiert haben. Ich versuche noch weiter zu steigen, so dass die Höhe reicht. Springt aus dem Heckstand raus, dann seid ihr nicht durch die Tragflächen gefährdet. Legt Baker in den Rumpf, er hat nicht verdient, dass jetzt noch jemand auf ihm rum trampelt. Ich gebe das Zeichen, setzte das Steuerhorn fest und springe als Letzter. Gott mit euch. Viel Glück, Jungs.“

      Los, du alte Mühle führte er ein Zwiegespräch mit der Maschine, wir brauchen noch 5 Minuten. Die Bergkette blieb zurück, er war jetzt geschätzte 800 Meter über Grund.

      „Es geht los. Springt!“

      Einer nach dem anderen mühte sich durch den Rumpf. Er hatte für jeden 30 Sekunden veranschlagt und als mehr als

      2 Minuten vergangen waren, fixierte er das Steuerhorn mit einem Riemen und begab sich ebenfalls auf den Weg zum Heckstand. Er war fast an den Positionen der Waist Gunner in der Mitte des Flugzeuges angekommen, als die Tragfläche abbrach und wie ein welkes Blatt zu Boden taumelte, das Flugzeug nach rechts kippte und er an die Wand des Rumpfes gepresst wurde. Steil ging es abwärts und er war durch die Fliehkraft wie an die Rumpfwand genagelt, keine Chance, zu entkommen.

      Im Rumpf hörte er die anderen, die auch noch nicht gesprungen waren, aufschreien.

      Es ist vorbei sagte er sich und überschlug nüchtern die ihnen noch verbleibende Lebenszeit.

      Er kam auf 8 Sekunden.

      Nach 6 Sekunden schlug die Maschine auf.

      Er hatte sich ein letztes Mal geirrt.

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