Evadeen Brickwood

Singende Eidechsen


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      “Klar, weiß ich. Trotzdem… Südafrika ist auch nicht gerade friedlich, oder?... Apartheid und das alles.”

      Genau ins Schwarze. Im Jahr 1988 steckte Südafrika nämlich noch mitten im Befreiungskampf. Das war mir auch zu unsicher, aber Claire war es egal.

      “Weißt du was, David? Du bist komisch!” fuhr ich ihn an, um meinen Kummer zu verbergen. “Verdammt, Claire will doch nur ihren Traum verwirklichen und sie hat einen Freund, der mit ihr geht. Ich frage mich, ob du das auch für mich machen würdest. Wohl kaum!”

      Ich weiß, das war unfair, aber ich ärgerte mich über David und ich ärgerte mich über Claire. Warum musste sie sich unbedingt in Gefahr bringen? David hatte einfach nur so dahergeredet, unsensibel wie immer. Aber was wusste er denn schon? England war seine Welt.

      Ob es mir gefiel oder nicht, Claire hatte mich dazu gezwungen mich mit dem Rest der Welt zu beschäftigen. Auch mit Afrika.

      Tony Stratton war seit 18 Monaten Claires Freund. Lehrer für Mathe und Wirtschaftslehre war er, und hatte sich auch gleich einen Job an einer Privatschule in Gaborone gesucht. Eigentlich ganz nett, dieser Tony. Wäre sie auch ohne ihn gegangen? Ganz bestimmt.

      David strich sich nervös das dichte braune Haar aus der Stirn. Er blickte sich in der Kneipe um. Starrten uns die Leute schon an? Wo blieben nur seine Freunde?

      “Das habe ich nicht kommen sehen!” David lachte und tat so als hätte ich etwas Lustiges gesagt. “Ach komm schon Bridsch, was ist denn so schlimmes daran, dass ich lieber in England bin? Alles was ich brauche ist hier. Afrika ist so…so anders. Vielleicht mal in den Ferien. Obwohl, dann vielleicht eher Mallorca. Aber wie man gleich nach Afrika ziehen kann - das verstehe ich nicht.” Er schüttelte sich.

      Das war zuviel.

      “Du kannst einfach nicht aufhören damit! Ich will nicht mehr darüber reden,” rief ich impulsiv, öffnete meine Tasche und bezahlte die Tagliatelle Alfredo.

      Für einen kurzen Moment hätte ich David schütteln mögen. Stattdessen benutzte ich eine Notlüge. Kopfschmerzen. Soviel Leidenschaft hätte ihn nur noch mehr erschreckt.

      Wir waren nicht gerade das, was man ein leidenschaftliches Paar nennen konnte. Ich ging zu Fuß nach Hause. Beim Gedanken an das gemütliche Haus in der Tenison Avenue wurden meine Schritte schneller.

      Im Sommer umrahmten rote Malven und blauer Vergissmeinnicht den grünen Rasen. Mitten drauf standen weiße Gartenstühle und ein runder Tisch. Hinny, unsere verwöhnte graue Katze, sah uns hier an warmen Sommertagen vom Balkon aus beim Teetrinken zu. Hier fühlte ich mich geborgen.

      Mein Zorn verrauchte schnell, aber Gedanken, denen ich bisher so erfolgreich ausgewichen war, überfielen mich hinterrücks. Claire ging fort und ließ mich zurück. Das tat weh. Mein Zwilling zog nach Afrika und ich steckte in meinem eintönigen Leben fest.

      Kino am Mittwoch, Abendessen in der Kneipe am Donnerstag, Sport am Freitag. Immer das gleiche und meist mit David. Würde das immer so weitergehen, während Claire sich ins Ungewisse stürzte. Das hatte ich mir noch nie so genau überlegt.

      Plötzlich war ich unzufrieden. Claire war die Würze in meinem Leben. War ich etwa egoistisch? Ich beschloss, Claire bald zu besuchen, und schritt nun etwas kräftiger aus. Selbst in der Dunkelheit zog mich die Wärme unseres Hauses an.

      Ich bog in die Sturton Street ein, dann in die Tenison Avenue. Ich sollte einfach mit Claire sprechen, dachte ich als ich die Tür aufschloss. Aber Claire war nicht zuhause.

      In den nächsten Tagen wimmelte mein Vater David am Telefon ab. Ich war zu feige, um mit ihm selbst zu sprechen. Wir sprachen nie über Gefühle und ich war voll verwirrender Gefühle. Dann hörten Davids Anrufe einfach auf. Die Trennung war kurz und schmerzlos. Auch gut. Meine Gefühle für Claire waren dafür umso schmerzlicher.

      “Lass mich doch nicht allein hier,” bettelte ich. “Ich will nicht dass du weggehst.”

      Ich war mir darüber im Klaren, wie erbärmlich das klang.

      “Das ist nicht fair Fumpy. Und außerdem…bist du ja nicht allein.” Claire sprach mit mir wie mit einem Kleinkind. “Da sind Mom und Dad und David und Sahida, Liz und Diane… und du bist doch gerne hier.”

      Nicht ohne dich, Claire, dachte ich trotzig, nicht ohne dich! Sie saß im Korbstuhl und lehnte sich an die Wand. Die Blätter draußen warfen hüpfende Schatten auf das David Bowie-Poster hinter ihr. Ich hatte Claire noch nicht erzählt, dass ich mich von meinem David getrennt hatte. Es war im Moment auch nicht so wichtig.

      “Und wenn dir was passiert?” grollte ich und drehte mich auf den Bauch. Ich lag quer über dem Quilt, mein Kinn in beide Hände gestützt.

      “Was soll mir denn schon zustoßen? Ich wohne doch in einem Firmenhaus mit einem Haufen Kollegen um mich. Ich werde wohl nie allein sein. Und dann ist da natürlich Tony. Er wird sich schon um mich kümmern,” versuchte Claire mich zu beruhigen, während sie auf einem leeren Umschlag herumkritzelte. Sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Wahrscheinlich bei Tony.

      Eine halbe Sekunde lang stieg Eifersucht in mir auf. Es war kurz von Heirat die Rede gewesen, aber soweit ich das beurteilen konnte, läuteten noch keine Hochzeitsglocken.

      “Wirst du mich den nicht auch ein wenig vermissen?” schmollte ich.

      “Natürlich werde ich dich vermissen! Überhaupt - du kommst mich ja bald in Gaborone besuchen, oder? Dann erforschen wir gemeinsam die Kalahari.”

      “Oh wie schön,” sagte ich unterkühlt, nur um Claire zu sticheln.

      “Ach komm’ schon, schau’ nicht so böse drein, Fumpy!” Sie schnitt eine Grimasse und ich musste lachen.

      Nur Claire hatte Unrecht gehabt. Ihr war etwas zugestoßen - ein paar Wochen später war Claire verschwunden.

      Als die Nachricht kam, war ich benommen vor Trauer und Sorge. Nichts machte mehr Sinn. So etwas konnte, durfte nicht passieren!

      Ich schlich mich auf Claires Zimmer, schmiss mich auf ihr Bett und schrie ins Kopfkissen bis ich keine Stimme mehr zum Schreien hatte. Dann kamen die Tränen.

      Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen, dachte ich nur immer wieder, ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen. Der nadelscharfe Gedanke stieß jede Logik beiseite. Als hätte ich die Macht dazu gehabt, meine starrsinnige Schwester von irgend etwas abzuhalten. Was sollte ich bloß tun?

      Die Nachricht schlug wie eine Bombe in unsere Kleinstadt ein. Zeitungen waren voll von Artikeln über Claire und ihr mysteriöses Verschwinden. War es Mord oder Entführung? Die Meinungen überschlugen sich. Man hatte es gleich gewusst: Afrika war ein gefährlicher Ort.

      Mir wurde schlecht, wenn ich die Schlagzeilen nur sah und kaufte keine Zeitungen mehr. Eine Woche später hatten Sportnachrichten Claire’s Verschwinden eingeholt.

      Ihr alter roter Mazda war von der Polizei in einem Feld in der Nähe von Motschudi gefunden worden. Der Name Motschudi sagte mir damals absolut gar nichts. Die Polizei verhörte die Einwohner, aber die hatten nichts gehört oder gesehen. Natürlich, was auch sonst!

      Die Fingerabdrücke waren alles andere als aufschlussreich, weil Kinder in dem Auto gespielt hatten. Sogar Mitglieder der britischen Spezialeinheit MI 5, die sich zufällig zu einer Art Training in Botswana aufhielten, konnten angeblich nichts Brauchbares herausfinden. Wir sollten uns auf alles gefasst machen!

      Claire war allein gefahren. Warum auch nicht? Tony konnte nicht mitkommen, weil er Zensuren ausrechnen musste. Wie hätte er auch wissen sollen was geschehen würde? Aber ich gab ihm trotzdem die Schuld. Am Anfang - für eine Minute oder so. Sie wollte bei Pierre und Karabo in Francistown vorbeischauen und hatte in einem abgelegenen Nationalpark, der sich Tuli Block nannte, eine Hütte gemietet, um dort ungestört Elefanten zu beobachten. Claire kam nie dort an.

      Wir warteten umsonst auf einen Anruf von Tony. Vielleicht hat er unsere Nummer nicht, dachte ich und schickte ihm einen Brief. Ich wartete auf eine Antwort. Und wartete. Ich glaube,